Der Kläger des Verfahrens erkrankte bereits im Alter von 16 Jahren an einem Immundefekt. Zur Behandlung dieses Immundefektes musste er sich einer Chemotherapie unterziehen. Diese brachte die Gefahr eines Fertilitätsverlustes mit sich, also der Unfruchtbarkeit des jungen Mannes.
 

Der Arzt empfahl die Einlagerung von Samenzellen

Sein Arzt empfahl ihm daher vor Beginn der Behandlung körpereigene Samenzellen einzulagern. Der Kläger folgte dieser Empfehlung. Allerdings entstanden dafür Kosten. Die Krankenkasse lehnte die Übernahme der Kosten von Beginn an mit der Begründung ab, es handle sich hierbei nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
 
Zwischenzeitlich bezog der Kläger Hartz IV. Knapp 300 € fielen für die jährliche Konservierung seiner Spermazellen an. Er selbst konnte das nun nicht mehr zahlen und beantragte beim Jobcenter die Übernahme dieser Kosten. Auch das Jobcenter lehnte ab. Die Konservierung stelle keine Maßnahme zur persönlichen Familienplanung dar. Sie diene auch nicht dazu, den Lebensunterhalt zu sichern. Schließlich stelle die Einlagerung von Samenzellen keinen Bedarf dar, der nach dem Gesetz nicht abgewiesen werden dürfe.
 

Sozialgericht und Landessozialgericht entschieden unterschiedlich

Das Sozialgericht wies die Klage des jungen Mannes ab. Das Landessozialgericht sah das anders und verpflichtete das Jobcenter zur Zahlung. Das Landessozialgericht meinte, die Kosten für die Konservierung der Samenzellen seien Bestandteil eines menschenwürdigen Existenzminimums. Sie stünden außerdem in engem Zusammenhang mit der eigentlichen Krankenbehandlung.
 
Die gesetzliche Krankenversicherung sei keine Vollversicherung. Dadurch übernehme diese nicht alle Kosten, die Versicherten entstünden. Das wiederum sei der Grund dafür, dass auch Gesundheitspflegeleistungen im Zusammenhang mit dem Regelbedarf von Bedeutung seien. Das Jobcenter könne den Kläger nicht darauf verweisen, die Kosten aus der Versicherungspauschale des Regelbedarfes zu bestreiten.
 

Das Bundessozialgericht widersprach dem Landessozialgericht

Das Landessozialgericht ließ die Revision zum Bundessozialgericht zu. Dies hat nun entschieden - allerdings zum Nachteil des jungen Mannes. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass das Jobcenter ihm die Kosten für die Einlagerung der Samenzellen erstatte. Dies gelte, obwohl solche Kosten zweifelsfrei nicht in den Regelbedarf eingeflossen seien.
 
Das Gesetz sehe zwar in Härtefällen vor, dass Mehrbedarf erstattet werden könne. Diese Voraussetzungen seien beim Kläger allerdings nicht erfüllt. Die dem Kläger entstandenen Kosten seien kein unabweisbarer, besonderer Bedarf. Sie seien auch nicht Teil des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die Konservierung menschlicher Samenzellen stelle keine medizinisch notwendige Behandlung dar. Durch sie könne die natürliche Zeugungsfähigkeit des Betroffenen nicht wiederhergestellt werden.
 

Die spätere Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung bleibt erhalten

Die eingelagerten Samenzellen sicherten nur die Möglichkeit einer späteren künstlichen Befruchtung mit eigenem Erbgut. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber, Ehe und Familie zu schützen. Daraus könne jedoch der Kläger eine so weit reichende Pflicht zur Förderung nicht ableiten.
 
Für dieses Ergebnis spreche, dass es zwischenzeitlich eine Regelung zur Einlagerung männlicher Samenzellen gebe. Der Gesetzgeber habe dazu eine spezielle Vorschrift erlassen. Die Krankenversicherung müsse dementsprechend weiterentwickelt werden. Das komme letztlich auch den dort versicherten Arbeitslosengeld-II-Empfängern wie dem Kläger zugute.

BSH Pressemitteilung - Urteil vom 26.11.2020

Das sagen wir dazu:

Das Urteil des Bundessozialgerichts liegt derzeit nur in einer Pressemitteilung vor. Der Hinweis auf die gesetzliche Änderung im Recht der Krankenversicherung ist für Menschen, die momentan vor der Frage stehen, Samenzellen zu konservieren, von großer Bedeutung.

Mit der Pressemitteilung bleibt aber offen, wie es um die Erstattung der Kosten steht, wenn die Einlagerung der Samenzellen bereits Jahre zuvor erfolgt ist. Grundsätzlich wird eine rückwirkende Kostenübernahme wohl nicht in Betracht kommen.

Im hiesigen Fall ist der Kläger jedoch noch recht jung. Möglicherweise möchte er seine Samenzellen noch für mehrere Jahre konserviert lassen. Ob das Bundessozialgericht die geänderte Rechtslage in seiner Situation bezogen auf die Zukunft für anwendbar hält, er also alle künftigen Kosten erstattet bekommen kann, ergibt sich aus der Pressemitteilung nicht. Allen Betroffenen sei aber durchaus empfohlen, zu überlegen ob in der Zukunft wegen des geänderten Gesetzes ein Zahlungsanspruch gegen Krankenkasse oder Jobcenter geltend gemacht wird.

Rechtliche Grundlagen

§ 21 VI SGB II; § 27 a IV SGB V

§ 21 Mehrbedarfe
(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.
(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.
(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.
(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.
(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.
(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.

Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.
(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.


§ 27a Künstliche Befruchtung
(1) Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

1.
diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,
2.
nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, daß durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist,
3.
die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,
4.
ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und
5.
sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a erteilt worden ist.

(2) Absatz 1 gilt auch für Inseminationen, die nach Stimulationsverfahren durchgeführt werden und bei denen dadurch ein erhöhtes Risiko von Schwangerschaften mit drei oder mehr Embryonen besteht. Bei anderen Inseminationen ist Absatz 1 Nr. 2 zweiter Halbsatz und Nr. 5 nicht anzuwenden.
(3) Anspruch auf Sachleistungen nach Absatz 1 besteht nur für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben; der Anspruch besteht nicht für weibliche Versicherte, die das 40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Vor Beginn der Behandlung ist der Krankenkasse ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen. Die Krankenkasse übernimmt 50 vom Hundert der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden.
(4) Versicherte haben Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Absatz 1 vornehmen zu können. Absatz 3 Satz 1 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(5) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 4.