Jobcenter muss Hartz-IV-Empfängerin nach Fehlgeburt weiterhin ungekürzte Miete für angeblich zu teure Wohnung zahlen.
Jobcenter muss Hartz-IV-Empfängerin nach Fehlgeburt weiterhin ungekürzte Miete für angeblich zu teure Wohnung zahlen.

In seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2015 kam das Sozialgericht Heilbronn zu dem Ergebnis, dass das Jobcenter einer Hartz-IV-Empfängerin nach einer Fehlgeburt weiter die ungekürzte Miete für eine angeblich zu teure Wohnung zahlen muss. Für missverständlich erklärten die Heilbronner Richter*innen, die Aufforderung des Jobcenters, die Unterkunftskosten auf eine angemessene "Kaltmiete" zu senken.


Die 1987 geborene, schwangere Hartz IV-Empfängerin zog im Oktober 2012 in eine Mietwohnung nach Crailsheim. Von dem Jobcenter Schwäbisch HalI wurden im Hinblick auf die bevorstehende Geburt die vollen Kosten der Unterkunft in Höhe von 450 Euro (300 Euro "Grundmiete" zzgl. Heiz- und Nebenkosten) übernommen. 


Nachdem die Frau jedoch eine Fehlgeburt erlitten hatte, wies das Jobcenter darauf hin, zukünftig nur noch die für eine Person ermittelte "angemessene Kaltmiete" in Höhe von gut 250 Euro zu zahlen, sofern die Leistungsempfängerin nicht ausreichende Bemühungen nachweise, die Unterkunftskosten zu reduzieren. Ab November 2013 zahlte das Jobcenter lediglich die Miete in "angemessener Höhe", was eine Reduzierung der bisherigen Leistungen von knapp 50 Euro monatlich ausmachte.

Hilfebedürftiger muss vom Jobcenter ausreichend über Differenz zwischen tatsächlichem und angemessenem Mietpreis aufgeklärt werden.

Die gegen die Leistungskürzung gerichtete Klage der Klägerin war erfolgreich. Im Rahmen der Begründung machte sie geltend, dass sie sich im fraglichen Zeitraum aufgrund ihrer traumatischen Fehlgeburt nicht um einen Wohnungswechsel habe kümmern können.


Nach der Entscheidung des Sozialgerichts Heilbronn könne es offen bleiben, ob das "schlüssige Konzept", auf das sich das Jobcenter berief, rechtmäßig sei. Denn das Jobcenter habe bereits deshalb die kompletten Unterkunftskosten zu übernehmen, weil es die Frau mit Verweis auf eine angemessene "Kaltmiete" unzureichend über ihre Pflicht aufgeklärt habe, die Mietkosten zu senken. 

Der Hartz IV-Empfänger muss erkennen, was von ihm verlangt wird

Nur wenn ein Hilfebedürftiger die Differenz zwischen tatsächlichem und dem laut Jobcenter angemessenem Mietpreis kenne, so die Richter*innen der 5. Kammer, könne dieser entscheiden, welche Kostensenkungsmaßnahmen er ergreife. 


Dieser Aufklärungs- und Warnfunktion genüge der missverständliche Hinweis auf eine angemessene "Kaltmiete" nicht. Denn hierunter könne sowohl die Netto-Kaltmiete (Wohnraumkosten pro qm ohne Nebenkosten) als auch die Brutto-Kaltmiete (incl. "kalter Nebenkosten" für Müllabfuhr, Wasser, Abwasser etc.) verstanden werden. 


Ohne einen Wert, der auch diese kalten Betriebskosten umfasse, könne eine Wohnungssuche aus Sicht eines Hartz IV-Empfängers aber nicht vernünftig betrieben werden, weil gerade diese Kosten einen ganz erheblichen Teil der Unterkunftskosten ausmachten. Dies gelte umso mehr, als die Jobcenter selbst bei Einhaltung der ihrer Auffassung nach angemessenen Netto-Kaltmiete nicht quasi "automatisch" die kalten Betriebskosten in tatsächlicher Höhe übernähmen - wie eine erhebliche Anzahl beim Sozialgericht anhängiger Verfahren zeige, in denen ausschließlich um die Übernahme dieser "kalten Nebenkosten" gestritten werde.

 

Das Urteil des Sozialgericht Heilbronn vom 14.12.2015 – Az: S 5 AS 204/14 – finden Sie hier im Volltext:


Im Praxistipp: Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - § 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - § 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Wenn die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II werden diese Leistungen in der Regel für längstens 6 Monate gewährt.
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Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954)
§ 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.
(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll.
(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben außer Betracht.
(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind; der für den Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger ist zu beteiligen.
(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn
1. die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3. ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.
(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.
(7) Soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn
1. Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2. Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3. konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4. konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.
(8) Sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.
(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:
1. den Tag des Eingangs der Klage,
2. die Namen und die Anschriften der Parteien,
3. die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4. die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5. den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.