

Mit Urteil vom 22.12.2015 kam das Sozialgericht Hildesheim zu dem Ergebnis, dass Schüler, die Hartz IV – Leistungen beziehen, notwendige Schulbücher nicht unbedingt von ihrer Regelleistung oder aus dem sogenannten Schulbedarfspaket bezahlen müssen.
Wenn eine Schulbuchausleihe nicht möglich ist, sind die erforderlichen Schulbücher als laufender unabweisbarer und besonderer Bedarf anzusehen. Hierfür, so die Richter*innen der 37. Kammer des Hildesheimer Sozialgerichts, hat das Jobcenter vollumfänglich
aufzukommen.
Mit dieser Entscheidung bekamen zwei auf Hartz IV- Leistungen angewiesene Gymnasiasten Recht. Die Geschwister hatten einen Zuschuss zu notwendigen Schulbüchern in Höhe von jeweils 235,45 Euro beantragt, insgesamt also 470,90 Euro. Da es in Niedersachsen keine Lernmittelfreiheit mehr gibt und deshalb die Ausleihe der notwendigen Bücher nicht möglich war, konnten die Brüder die Bücher nicht bezahlen.
Jobcenter lehnt volle Kostenübernahme mangels besonderen Bedarfs ab
Das Jobcenter lehnte die volle Kostenübernahme ab. Bewilligt wurden für jeden Schüler lediglich 100 Euro jährlich. Begründet wurde dies damit, dass dieser Betrag dem sogenannten Schulbedarfspaket entspreche. Dass die Schüler Bücher für den Schulbesuch benötigen, so das Jobcenter, sei bekannt und somit planbar. Ein besonderer Bedarf bestehe nicht. Die Gymnasiasten müssten daher die Kosten für die Bücher aus ihrer regulären Hartz-IV-Leistung ansparen. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liege - wie für eine Kostenerstattung verlangt - kein „laufender Bedarf“ vor, da die Bücher nur einmal jährlich angeschafft werden müssen.
Ablehnung der Kostenübernahme wird auch mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründet
Im Übrigen habe das Bundessozialgericht entschieden, dass der Bildungsbedarf nicht auf die Jobcenter abgewälzt werden dürfe, so das Jobcenter. Vielmehr liege es in der Verantwortung der Schulen, dass mit den erforderlichen Büchern der Schulunterricht durchgeführt werden kann.
Kläger verweisen auf verfassungswidrige Vorschrift
Der Auffassung des Jobcenters traten die beiden Schüler mit dem Argument entgegen, dass sie ohne den Kauf von Schulmaterialien die Schule nicht erfolgreich besuchen könnten. Als völlig unzureichend bezeichneten sie die im Rahmen des Schulbedarfspakets gezahlten 100 Euro jährlich. Die entsprechende Vorschrift sei verfassungswidrig, da die Schulbuchkosten weder in dem jährlichen Pauschbetrag noch im Regelbedarf enthalten seien.
Die durch das Jobcenter verweigerte Übernahme der Kosten für notwendige Schulbücher sei widersinnig. Denn Folge der fehlenden Bücher seien schlechtere Noten. Um zu besseren Noten zu gelangen, bedürfe es dann des Nachhilfeunterrichts, dessen Kosten vom Jobcenter voll gezahlt würden.
Sozialgericht folgt der Argumentation der Kläger
Das Sozialgericht folgte den Argumenten der Kläger und sprach ihnen die volle Kostenerstattung für die erforderlichen Bücher zu. Begründet wurde dies mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nach Auffassung der Verfassungsrichter*innen habe der Staat für sogenannte Hartz-IV-Kinder alle „Befähigungskosten“ zu tragen, die sich aus dem Schulbesuch ergeben. Wenn im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht, müsse dieser Mehrbedarf anerkannt werden.
Die Schulbücher seien „unabweisbar“. Andernfalls drohe den hilfebedürftigen Kindern „der Ausschluss von Lebenschancen“, so das Gericht. Ein ausreichendes Ansparen aus dem Regelsatz sei nicht möglich. Denn dieser sehe für Bildung lediglich 1,39 Euro pro Monat vor. Auch aus Einsparungen bei anderen Bedarfen im Regelsatz könnten die Schulbuchkosten nicht gedeckt werden.
Im Übrigen bestehe bei den Schulbüchern ein „laufender Bedarf“, auch wenn dieser nur einmal jährlich anfalle. Es dürften hier keine „überhöhten Anforderungen“ gestellt werden, betonte das Sozialgericht Hildesheim.
Da in einigen Bundesländern Lernmittelfreiheit bestehe, komme es zu einer Ungleichbehandlung ohne Kostenübernahme durch das Jobcenter, wenn hilfebedürftige Kinder, die in Bundesländern leben, in denen keine Lernmittelfreiheit besteht, die Kosten für Schulbücher aus dem für Bildung vorgesehenen Betrag bestreiten sollen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Sozialgericht die Berufung zum Niedersächsischen Landessozialgericht zugelassen.
Anmerkung:
Die Entscheidung des Hildesheimer Sozialgerichts ist sehr begrüßenswert. Es ist geradezu absurd, hilfebedürftigen Schülern die Übernahme der Kosten für Schulbücher zu verweigern, dann aber, wenn es aufgrund schlechter Noten des Nachhilfeunterrichts bedarf, ohne Wenn und Aber, die Kosten hierfür zu übernehmen.
Auch kann und darf es nicht sein, dass Kinder, die in Bundesländern zur Schule gehen, in denen keine Lernmittelfreiheit besteht, die notwendigen Kosten für Schulbücher durch „Ansparung“ aufzubringen haben. Dies ist bei einem monatlichen Betrag von 1,39 Euro für Bildung schlichtweg unmöglich! Auch reichen die im Rahmen des sogenannten Schulbedarfspakets gezahlten 100 Euro jährlich bei weitem nicht aus die tatsächlich anfallenden Kosten abzudecken.
Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung des Hildesheimer Sozialgerichts durch das Berufungsgericht bestätigt wird. Über den weiteren Verlauf der Sache werden wir berichten.