Jobcenter fordert Hartz IV-Leistungen von 12jähriger Tochter zurück
Jobcenter fordert Hartz IV-Leistungen von 12jähriger Tochter zurück

Große Erbschaft vor dem eigenen Tod

Mit Urteil vom 15.12.2016 hat das Sozialgericht (SG) Heilbronn entschieden, dass das Jobcenter des Landkreis Schwäbisch Hall von einem 12 Jahre alten Kind nach dem Tod des Vaters nicht 20.000 Euro Hartz IV zurückfordern darf.

Der im April 1964 geborene Leistungsbezieher zog 2010 bei der Mutter seiner 2005 geborenen Tochter zur Untermiete ein. Von Juli 2011 bis Ende 2013 bezog der Mann SGB II-Leistungen ("Hartz IV"). Da er an einer bösartigen Krebsform (Morbus Hodgkin-Lymphom) erkrankt war, war er von Ende 2011 an durchgehend arbeitsunfähig.

Seit Mai 2012 lagen bei dem Mann die Voraussetzungen für die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80, der Merkzeichen B (ständige Begleitung) und aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) sowie der Pflegestufe I vor. Aus einem erst im April 2013 vom Jobcenter Landkreis Schwäbisch Hall veranlassten Gutachten ergab sich, dass der Mann auf Dauer nicht mehr erwerbsfähig ist. Nach Aufforderung durch das Jobcenter stellte er im Juli 2013 einen Rentenantrag und bezog anschließend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Im Rentenbescheid wurde ausgeführt, dass er bereits seit April 2012 voll erwerbsgemindert sei, jedoch aufgrund der verspäteten Antragstellung die Rente erst ab diesem Zeitpunkt (Juli 2013) gewährt werden könne. Kurz vor seinem 50. Geburtstag im April 2014 starb der Mann und vererbte knapp 35.000 Euro an seine Tochter. Den größten Anteil hiervon hatte er kurz zuvor - nach Ende des Hartz IV-Bezugs - von seiner Tante geerbt.

Jobcenter verlangt von 12 jähriger Tochter Zahlung in Höhe von rund 20.000 Euro

Im Januar 2015 forderte das Jobcenter die Tochter zur Zahlung von rund 20.000 Euro auf. Als Erbin des Verstorbenen habe sie ersatzweise die ihm gewährten SGB II-Leistungen zurückzuzahlen.

Sozialgericht: Forderung stellt unzumutbare Härte dar

Die gegen die Entscheidung des Jobcenters gerichtete Klage war erfolgreich.
Denn, so die 3. Kammer des SG Heilbronn: Voraussetzung für einen Ersatzanspruch gegen die Erben eines Hartz IV-Empfängers sei, dass der SGB II-Bezug zuvor rechtmäßig erfolgt sei.
Angesichts der seit Dezember 2011 regelmäßig bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hätten sich aber Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Verstorbenen aufdrängen und das Jobcenter auf eine frühere Stellung des Rentenantrages hinwirken müssen. Dann hätte der Mann hätte seit Beginn seiner Erwerbsunfähigkeit im April 2012 eine Rente beziehen können und wäre insoweit nicht mehr auf Hartz IV angewiesen gewesen.

Überdies scheitere ein Anspruch des Jobcenters gegen die Tochter auch daran, dass der maßgebliche Vermögenszuwachs des Verstorbenen (hier Erbschaft der Tante) erst nach Ende des Hartz IV-Bezugs erfolgt sei.

Darüber hinaus würde es für die Tochter eine besondere Härte nach § 35 SGB II bedeuten, als Erbin ihres Vaters in Anspruch genommen zu werden. Denn in dieser Norm sei auch ein Anreiz zur Erbringung von Pflegeleistungen zu sehen. Hier habe die Tochter ihren Vater zwar schon wegen ihres Alters von seinerzeit sieben Jahren nicht daheim bis zu seinem Tod pflegen können, dies habe aber ihre Mutter übernommen und komme nun der Tochter zugute.

Hier finden Sie die Pressemitteilung des Sozialgericht Heilbronn vom 14.02.2017 zum Urteil vom 15.12.2016 - S 3 AS 682/15

Das sagen wir dazu:

Wieder einmal ein „Jobcenter-Fall“, der die Frage aufwirft, was bei manch einem für die Verfolgung von Rückzahlungsansprüchen zuständigen Sachbearbeiter abläuft. 

In dem vom SG Heilbronn entschiedenen Fall schreckt man nicht davor zurück, von einem 12 jährigen Kind, die an den verstorbenen Vater gewährten Hartz IV Leistungen in Höhe von 20.000 Euro zu verlangen. 

Begründet wird dies mit einer Erbschaft des Kindes, die nach Beendigung des Hartz IV Bezugs diesem zugeflossen ist und für einen Zeitraum, zu dem der Vater eigentlich keinen Anspruch auf Hartz IV - Leistungen gehabt hätte, wenn das Jobcenter seiner Verpflichtung nachgekommen wäre und den Vater zur rechtzeitigen Stellung eines Rentenantrags wegen voller Erwerbsminderung aufgefordert hätte. 

Es ist schier unglaublich, dass aufgrund fehlerhaften Handels des Jobcenters versucht wird, sich dadurch schadlos zu halten, dass man die 12 jährige Tochter meint mit einem Rückzahlungsbescheid überziehen zu müssen.

Es bleibt nun abzuwarten, ob das Schwäbisch Haller Jobcenter gegen die Entscheidung des SG Heilbronn in Berufung geht. Sollte die tatsächlich der Fall sein, werden wir über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten. Wünschenswert wäre es, wenn nach der im vollen Umfang nachzuvollziehenden Entscheidung des SG bei den zuständigen Entscheidern des Jobcenters das Urteil akzeptiert und hieraus für die Zukunft entsprechende Lehren gezogen werden.

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus § 7 SGB II – Leistungsberechtigte - § 35 SGB II – Erbenhaftung

§ 7 SGB II - Leistungsberechtigte -

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die (…) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze (…) noch nicht erreicht haben, (…) f:erwerbsfähig:f (…), hilfebedürftig sind und (…) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (…).


§ 35 SGB II - Erbenhaftung - in der bis 31.7.2016 gültigen Fassung
(Anmerkung: Seit 1.8.2016 ist die Vorschrift wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ersatzlos gestrichen)

(1) Der Erbe einer Person, die Leistungen nach diesem Buch erhalten hat, ist zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, soweit diese innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall erbracht worden sind und 1 700 Euro übersteigen.
Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Die Ersatzpflicht ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(2) Der Ersatzanspruch ist nicht geltend zu machen,
1. soweit der Wert des Nachlasses unter 15 500 Euro liegt, wenn der Erbe der Partner der Person, die die Leistungen empfangen hat, war oder mit diesem verwandt war und nicht nur vorübergehend bis zum Tode der Person, die die Leistungen empfangen hat, mit dieser in häuslicher Gemeinschaft gelebt und sie f:gepflegt:f hat
2. soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine f:besondere Härte:f bedeuten würde. (…)