Wer arbeitslos ist, sich arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat, erwirbt das sogenannte Stammrecht auf Arbeitslosengeld. Copyright by Chinnapong/Fotolia
Wer arbeitslos ist, sich arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat, erwirbt das sogenannte Stammrecht auf Arbeitslosengeld. Copyright by Chinnapong/Fotolia

Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, entsteht ein Stammrecht auf Arbeitslosengeld.

Die Höhe der Leistung richtet sich danach, wie die Arbeitsagentur das Bemessungsentgelt festsetzt. Das ist der durchschnittliche tägliche Verdienst, den Arbeitslose zuvor erzielt haben.

Arbeitslosengeld darf innerhalb von zwei Jahren nicht geringer werden

Eine Besonderheit gilt für Arbeitslose, die innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung eines neuen Anspruchs bereits Arbeitslosengeld bezogen haben. Dann ist Bemessungsentgelt mindestens der Lohn, nach dem die Arbeitsagentur das Arbeitslosengeld zuletzt berechnet hatte (§ 151 Absatz 4 SGB III).

Interessant ist die Vorschrift vor allem für Arbeitnehmer*innen, die lange im selben Betrieb waren und gut verdient haben. Verliert man einen solchen Job, ist oft - zumindest zunächst - ein schlechterer Verdienst hinzunehmen. Die Vorschrift soll einen Anreiz schaffen, in einer solchen Situation einen Job mit geringerem Lohn anzunehmen, ohne riskieren zu müssen, hinterher mit einem niedrigerem Arbeitslosengeld dazustehen.

Wann gilt Arbeitslosengeld als „bezogen“?

Das Bundessozialgericht hatte einen Fall zu klären, bei dem im Streit stand, wie das Wort „bezogen“ zu verstehen ist.

Die Klägerin war zu Ende Mai 2012 arbeitslos geworden. Da sie - ohne die Kündigungsfrist zu beachten - das Arbeitsverhältnis per Aufhebungsvertrag beendet und eine hohe Abfindung erhalten hatte, ruhte ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und das für eine lange Zeit, nämlich bis in den Monat April des nächsten Jahres. Da die Klägerin schon im November 2012 wieder eine neue Arbeit gefunden hatte, kam es gar nicht zu einer Auszahlung von Arbeitslosengeld.

Bei erneuter Arbeitslosigkeit erhält die Klägerin ein viel geringeres Arbeitslosengeld

Leider behielt die Klägerin den neuen Job nur bis Ende 2013. Zum Jahresbeginn 2014 meldete sie sich erneut arbeitslos. Nun hatte sie zuletzt deutlich schlechter verdient als in dem langjährigen Arbeitsverhältnis zuvor. Während die Arbeitsagentur das Bemessungsentgelt bei der vorherigen Arbeitslosigkeit mit über 130 € festgesetzt hatte, ging sie nun von einem Betrag von nur rund 70 € aus. Daraus ergibt sich ein tägliches Arbeitslosengeld in Höhe von 47,78 € bzw. 28,30 €. Der Unterschied von monatlich etwa
580 € ist also enorm.

Die Klägerin wehrte sich. Das Ziel: Ein höheres Arbeitslosengeld, berechnet nach dem Bemessungsentgelt, das bei der Bewilligung aus 2012 galt.

Klage und Berufung blieben erfolglos

Die Richter*innen beim Sozialgericht Berlin und Landessozialgericht Berlin-Brandenburg waren der gleichen Ansicht wie die Arbeitsagentur: Die Klägerin habe im Januar 2014 ein neues Stammrecht auf Arbeitslosengeld erworben. Deshalb sei für die Bemessung der Leistung allein der geringere Verdienst im Jahr zuvor maßgebend.

Die Besonderheit nach § 151 SGB III solle nicht gelten. Denn die Klägerin habe in den letzten zwei Jahren vor der Entstehung des neuen Anspruchs gar kein Arbeitslosengeld bezogen.
Die vom BSG zu klärende rechtliche Frage war also, ob die Vorschrift nur gilt, wenn die Arbeitsagentur tatsächlich Arbeitslosengeld ausgezahlt hat. Die Klägerin war anderer Ansicht. Es genüge für die Anwendung der Vorschrift, dass ein Stammrecht auf Arbeitslosengeld bestanden habe.

BSG: Arbeitslosengeld wird bezogen, wenn ein Stammrecht darauf besteht

Die Richter beim BSG hatten eine andere Einschätzung als ihre Kollegen aus den ersten beiden Instanzen. Sie sprachen der Klägerin höheres Arbeitslosengeld zu, berechnet nach dem höheren Bemessungsentgelt aus der vorherigen Arbeitslosigkeit.

Dabei ging das BSG davon aus, dass die Klägerin innerhalb der letzten zwei Jahre vor Januar 2014 bereits Arbeitslosengeld bezogen hat. Dass der Anspruch ruhte und es wegen der Arbeitsaufnahme durch die Klägerin letztlich nicht zu einer Auszahlung von Arbeitslosengeld gekommen war, sei nicht entscheidend. Entscheidend sei das Stammrecht, welches bereits im Juni 2012 entstanden war.

Das BSG gab also als letzte Instanz der Klägerin Recht. Das Durchhalten hat sich gelohnt.


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Freistellung schadet bei Arbeitslosengeld nicht

Das sagen wir dazu:

Eine begrüßenswerte Entscheidung! Die Regelungen zum Stammrecht können sich für Arbeitslose durchaus auch negativ auswirken. Wird etwa fristlos oder mit zu kurzer Frist gekündigt und einigt man sich im Kündigungsschutzverfahren auf ein späteres Ende, bleibt es bei dem früheren Anspruchsbeginn. Das kann Folgen für die Dauer aber auch für die Höhe der Leistung haben. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob es zu einer tatsächlichen Auszahlung des Arbeitslosengeldes gekommen ist. Entscheidend ist allein die Bewilligung der Leistung durch Bescheid. Dadurch entsteht das Stammrecht. Wenn es durch die Regelung aus § 151 SGB III zu einem Vorteil für die Arbeitslosen kommen kann, sollte die Agentur für Arbeit hier ebenso auf das Stammrecht zurückgreifen müssen.

Die Richter stellten auf den Sinn und Zweck der Regelung zur Motivation ab

Die Bedeutung des Wortes "bezogen" fordere nicht zwingend auch ein tatsächliches Beziehen der Leistung. Denn wenn eine tatsächliche Auszahlung von Arbeitslosengeld gefordert wäre, würde dies dem Gesetzeszweck widersprechen, so das BSG.Das Bestreben, Arbeitslose zu motivieren, auch geringer entlohnte Beschäftigungen aufzunehmen, komme bereits dann zum Tragen, wenn nur ein Stammrecht auf Arbeitslosengeld erworben wurde. Diese Einschätzung des BSG ist lebensnah. Für den Betroffenen in der Situation ist es unerheblich, ob die Leistung ausgezahlt wird oder ruht. Er möchte, wenn er wieder oder dann tatsächlich vom Arbeitslosengeld leben muss, in der Höhe eine Leistung haben, die dem entspricht, was er zuvor jahrelang eingezahlt hat.

Bis der Bescheid da ist, kann man den Beginn des Anspruchs verschieben

Nach § 137 SGB III können Arbeitnehmer*innen bis zur Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit bestimmen, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll. Aufgrund dieser Regelung ist es möglich, die Entstehung des Anspruchs zeitlich zu verschieben.
ABER: Eine solche Verfügung ist nur bis zur Entscheidung der Arbeitsagentur über den Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld möglich. Wer den Bewilligungsbescheid bereits hat und die Leistungen bezieht, kann den Anspruchsbeginn nicht verschieben. Auch bei einer Einigung im Kündigungsschutzverfahren auf ein späteres Ende des Arbeitsverhältnisses bleibt es für das Stammrecht bei dem Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt waren.

Rechtliche Grundlagen

§§ 137, 151 SGB III, Fachliche Weisungen der Arbeitsagentur

§ 151 SGB III Bemessungsentgelt (auszugsweise)
(1) Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die die oder der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.
(4) Haben Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld bezogen, ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist.

§ 137 SGB III Anspruchsvoraussetzungen bei Arbeitslosigkeit:
Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat wer,
1. arbeitslos ist,
2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und
3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
(2) Bis zur Entscheidung über den Anspruch kann
die antragstellende Person bestimmen, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll.

Auszug aus den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu den Anspruchsvoraussetzungen bei Arbeitslosigkeit nach § 137 SGB III:
Entstehung des Stammrechts
Mit Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen entsteht das Stammrecht des
Alg-Anspruchs.
Dispositionsrecht
Arbeitslose können bis zum Zugang des Bewilligungsbescheides auch mehrfach bestimmen, dass das Stammrecht später entstehen soll, oder die Erklärung widerrufen. Soweit die Wirkung der Arbeitslosmeldung erlischt, ist eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung erforderlich.

Bei naheliegenden bzw. offenkundigen Gestaltungsmöglichkeiten ist der Arbeitslose zu informieren. Dies kann der Fall sein, wenn die Ausübung des Dispositionsrechtes einen wirtschaftlichen Vorteil bringt, z.B. wenn
- bald nach dem Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Lebensalter erreicht wird, das eine längere Anspruchsdauer auslöst,
- die Anspruchsdauerminderung ausgeschlossen wird (§ 148 Abs.2 Satz 2),
- sich durch die Verschiebung des Anspruchsbeginns ein höherer Alg-Anspruch ergeben würde (befristete Tätigkeit nach Ausbildung)