Ist die Abfindung Einkommen, hält das Jobcenter die Hand auf.
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Ist die Abfindung Einkommen, hält das Jobcenter die Hand auf. Copyright by tomsaga/Fotolia

Es ging ihm, wie so vielen: sein Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis nach vielen Jahren. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt er eine Abfindung. Unser Mandant meldete sich im Dezember 2016 arbeitslos. Beim Arbeitsamt teilte man ihm mit, dass er noch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Das Arbeitsverhältnis bestand nämlich rechtlich noch ein halbes Jahr lang fort und der Mandant bekam noch ein kleines monatliches Gehalt.
 
Da das Einkommen für den Lebensunterhalt jedoch nicht ausreichte, marschierte er im Januar 2017 zum Jobcenter, um Arbeitslosengeld II zu beantragen. Beim Jobcenter gab er wahrheitsgemäß auch an, dass er im Dezember eine Abfindung in Höhe von € 13.000,00 erhalten hat.
 

Ausnahmsweise kann ein Antrag auch zurückdatiert werden

Der Mitarbeiter des Jobcenters hatte für unseren Mandanten auch noch eine gute Nachricht: normalerweise kann man Arbeitslosengeld II wie jede Sozialleistung erst ab Stellen des Antrags bekommen. Für die Zeit vor dem Antrag werden Sozialleistungen nicht gezahlt. Von diesem Grundsatz gibt es indessen Ausnahmen und eine Ausnahme traf für unseren Mandanten zu. Das Gesetz sieht vor, dass der Antrag zurückdatiert werden kann, weil der Mandant zuvor bereits erfolglos Arbeitslosengeld I beantragt hatte. Er wurde also so gestellt, als habe er bereits im Dezember 2016 den Antrag gestellt mit der Folge, dass er auch ab diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld II bekommt.
 
Was eigentlich positiv für die Antragsteller sein soll, erwies sich in diesem Fall als Stein statt Brot.  Das Problem ist nämlich die Abfindung. Bekommt man während des Bezugs von ALG II einen Geldbetrag, ist das Einkommen. War das Geld bereits vor dem Bezug auf dem Konto, handelt es sich um Vermögen. Vermögen ist aber erheblich besser geschützt als Einkommen. Bis zur Höhe des Schonvermögens, das in unserem Fall deutlich höher ist, als die erhaltene Abfindung, wird es überhaupt nicht auf Hartz IV angerechnet.
 

Jetzt gibt es Steine statt Brot

Mit ein Einkommen in Form einer Einmalzahlung geht das Jobcenter indessen rigoros um: Der Betrag wird durch sechs geteilt und der sich so errechnende Betrag wird ein halbes Jahr lang als Einkommen angerechnet. Genauso ist das Jobcenter in unserem Fall verfahren. Weil der Mandant nicht erst im Januar, sondern bereits rückwirkend ab Dezember ALG II bekommen konnte, wertete es die Abfindung als Einkommen und lehnte die Gewährung von ALG II ab.  Mit dem entsprechenden Bescheid des Jobcenters war der Mandant jedoch nicht einverstanden und ging mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH dagegen vor.
 
Das Sozialgericht Köln gab der Klage jetzt in einer Entscheidung vom Februar 2019 statt. Das Gericht stützte sich dabei auf eine Besonderheit des Sozialrechts: dem sogenannte „sozialrechtlichen Herstellungsanspruch“.

Manchmal kann ein günstiger Zustand im Nachhinein wieder hergestellt werden  

Ein solcher Herstellungsanspruch hat vier Voraussetzungen:
 

  • Eine Verletzung der Auskunfts- und Beratungspflicht durch eine Behörde
  • Ein vom Antragsteller erlittener konkreter Nachteil
  • Die Verletzung der Auskunfts- und Beratungspflicht muss ursächlich (kausal) für den Nachteil sein
  • Der Nachteil muss durch eine rechtmäßige Amtshandlung wieder ausgeglichen werden können.

 

Der Berechtigte entscheidet selbst, ab wann er eine Sozialleistung beziehen will

Das SG ist der Auffassung, dass der Kläger freiwillig auf die Rückdatierung des Antrages hätte verzichten können. Das ergebe sich aus Sinn und  Zweck der entsprechenden Vorschrift, die den Leistungsberechtigten begünstigen soll. Aus dem Prinzip der Eigenverantwortung folge zudem, dass ein Empfänger von Sozialleistungen selber bestimmt, wann er ab welchem Zeitpunkt Sozialleistungen beanspruchen will.

 
Das Jobcenter hat nach Auffassung des Gerichts hier eine Hinweis- und Beratungspflicht verletzt, indem es den Kläger nicht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, ALG II erst ab Januar 2017 zu beantragen. Diese Gestaltungsmöglichkeit wäre für das Jobcenter während der Beratung des Klägers auch naheliegend gewesen. Sie entscheidet über den Anspruch auf ALG  II über mehrere Monate. Die Pflichtverletzung des Jobcenters hat auch zu einem Nachteil beim Kläger geführt, nämlich die Ablehnung seines Antrags auf ALG II. Dieser Nachteil lässt sich auch durch eine zulässige Amtshandlung wieder ausgleichen, indem das Amt den Kläger so stellt, als habe er auf die rückwirkende Stellung des Antrages verzichtet.
 
Wir dürfen gespannt sein, ob das Jobcenter gegen diese Entscheidung in die Berufung geht und wie gegebenenfalls das Landessozialgericht entscheiden wird.    
 
Hier geht es zur Entscheidung