Thalidomidhaltige Präparate der Grünenthal GmbH haben zur folgenschwersten Arzneimittelkatastrophe des 20. Jahrhunderts geführt. Copyright by Adobe Stock/Maxim Grebeshkov
Thalidomidhaltige Präparate der Grünenthal GmbH haben zur folgenschwersten Arzneimittelkatastrophe des 20. Jahrhunderts geführt. Copyright by Adobe Stock/Maxim Grebeshkov

Die Conterganstiftung für behinderte Menschen hat den gesetzlichen Auftrag, Leistungen für Menschen zu erbringen, deren Behinderung auf thalidomidhaltige Präparate der Grünenthal GmbH zurückzuführen ist. Die Conterganrente wird am Grad der Schädigung bemessen und liegt zwischen 744,- € und 8.397,- € monatlich.
 
Die Aufgaben der Stiftung sind im Conterganstiftungsgesetz geregelt. Wenn ein Mensch mit Conterganschädigungen Leistungen aus der Sozialhilfe bekommt, soll § 18 dieses Gesetzes das Einkommen und Vermögen der Geschädigten und der Angehörigen umfassend schützen.
 

Folgenschwerste Arzneimittelkatastrophe des 20. Jahrhunderts

Ein kurzer Rückblick:
1957 wurde das rezeptfreie Beruhigungsmittel Thalidomid (Contergan) eingeführt. Die Herstellerfirma empfahl die Einnahme des Medikaments unter anderem bei Nervosität, klimakterischen Beschwerden, Schlafstörungen und Angst. Ein wirtschaftlicher Erfolg mit schlimmen Folgen. Scheinbar frei von Nebenwirkungen schädigte Contergan die Nerven und beeinflusste die Entwicklung von Embryonen. Je nach dem Zeitpunkt der Einnahme störte es die Ausbildung der Extremitäten, des Schädels oder der inneren Organe. In Deutschland wurden ungefähr 5.000 Kinder mit Conterganschäden geboren. Bis heute hat etwa die Hälfte der Menschen mit zum Teil schwersten Fehlbildungen überlebt.
 
Die Klägerin gehört zu diesen Menschen und bezieht eine Conterganrente. Sie bewohnt eine Eigentumswohnung, die sie größtenteils aus den Rentenmitteln erworben hat. Mit über 100 m² ist diese Wohnung nach den Grundsätzen des SGB II unangemessen groß.  
 

Jobcenter zahlte „Hartz IV“ nur als Darlehen

In dem Verfahren, das vor dem Landessozialgericht (LSG) in Essen verhandelt wurde, ging es um Leistungen des Jobcenters Bonn aus einem rund einjährigen Zeitraum in den Jahren 2012/2013. Das beklagte Jobcenter hatte der Klägerin darlehnsweise SGB II-Leistungen gewährt.
 
Schon das Sozialgericht Köln hatte der Klägerin höhere Leistungen und zwar als Zuschuss statt als Darlehen zugesprochen. Das Jobcenter akzeptierte das nicht.
 

Conterganrente dient nicht der Deckung von Mehrbedarfen zur Sicherung der Existenz

Das LSG hat die Berufung des Jobcenters zurückgewiesen. Unter anderem stehe der Klägerin ein Mehrbedarf für ihre Stromkosten zu, die über den im Regelbedarf enthaltenen Anteil hinausgehen, entschieden die Richter*innen. Diesen Bedarf müsse sie nicht aus eigenen Mitteln decken. Die monatlichen Zahlungen aus der Conterganrente blieben bei der Berechnung der SGB II-Leistungen außer Betracht.
 
Das LSG begründet dies mit der Entschädigungsfunktion, die die Rente im Wesentlichen hat. Vorrangig sollten entgangene Lebensmöglichkeiten ausgeglichen werden. Die Conterganrente sei weder dafür bestimmt noch dazu geeignet, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das gelte ebenso für die jährliche Sonderzahlung.
 

Die Eigentumswohnung ist kein verwertbares Vermögen

Die Klägerin müsse auch ihre Eigentumswohnung nicht „zu Geld machen“, entschied das LSG. Das gelte ungeachtet von ihrer Größe. Es sei für die Klägerin eine besondere Härte im Rechtssinne, wenn sie die Immobilie verwerten müsste. Ein Verkauf würde ihr ein Sonderopfer abverlangen, das weit über den Verlust des Lebensmittelpunktes hinausginge. Dabei stellte das Gericht auch darauf ab, dass die Klägerin die Wohnung in weiten Teilen aus Mitteln der Conterganrente erworben hatte.
 
Das LSG hat die Revision zugelassen. Sollte das Jobcenter Bonn sich auch den klaren
Worten der zweiten Instanz nicht unterwerfen, müsste das Bundessozialgericht sich der Sache annehmen.  
 
LINKS:
Viele Infos zum Thema Contergan gibt es auf der Homepage der Conterganstiftung
Startseite

und dem Bundesverband Contergangeschädigter e.V. Startseite

Rechtliche Grundlagen

Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz)
§ 18 ContStifG Verhältnis zu anderen Ansprüchen
(1) Bei der Ermittlung oder Anrechnung von Einkommen, sonstigen Einnahmen und Vermögen nach anderen Gesetzen, insbesondere dem Zweiten, Dritten, Fünften, Neunten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und dem Bürgerlichen Gesetzbuch, bleiben Leistungen nach diesem Gesetz außer Betracht.
(2) Verpflichtungen Anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger und der Träger der Sozialhilfe oder anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Gesetz nicht berührt. (…)