Weil der neue Arbeitgeber einen Vorschuss zahlte, verlangte das Jobcenter Geld zurück
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Weil der neue Arbeitgeber einen Vorschuss zahlte, verlangte das Jobcenter Geld zurück © Adobe Stock - Von MQ-Illustrations

Das Ganze begann schon im Jahr 2015. Neumann, der in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, teilt der Behörde ordnungsgemäß mit, dass er Mitte Februar einen Job beginnt. Er legt den Vertrag vor, wodurch klar ist, dass die Vergütung für den Februar erst am 15. März fällig ist. Der Arbeitgeber zahlte jedoch schon im Februar vorab einen Betrag in Höhe von insgesamt 355 € netto.

 

Damit hat er Neumann letztlich keinen Gefallen getan.

 

Das Zuflussprinzip

 

Wenn Bezieher von Grundsicherungsleistungen Erwerbseinkommen, d.h. Lohn oder Gehalt erzielen, wird das grundsätzlich in dem Monat, in dem es zufließt, angerechnet. Die Jobcenter ermitteln den Bedarf nach Regelsätzen, Miete, Heizkosten und rechnen dann Einkommen wie Kindergeld und Erwerbseinkommen gegen. Das geschieht in dem Monat in dem Neumann diese Leistungen auch tatsächlich erhält. Das ist das sog. Zuflussprinzip.

 

Dass dieses Prinzip auch bei einem Vorschuss gilt, darin waren sich hier alle Gerichte beim Zug durch die Instanzen einig. Vom Sozialgericht Lübeck, über das Landessozialgericht Schleswig- Holstein bis zuletzt dem Bundessozialgericht entschieden sie auf eine Anrechnung des Lohnvorschusses als laufendes Erwerbseinkommen. Warum dieser Rechtsstreit so lange dauerte, lag sicherlich nicht an dieser Rechtsfrage, auch wenn Neumann das anders sah.

 

Was ist mit den Freibeträgen?

 

Das Jobcenter hatte bei seiner Rückforderung die kompletten 355 € netto abzüglich der Versichertenpauschale von 30 € als Einkommen angerechnet, mit der Folge, dass Neumann 325 € zurückzahlen sollte. Der Grundfreibetrag von immerhin 100 € und der gestaffelte Erwerbstätigenfreibetrag wurden nicht gewährt.

 

Da war es mit der Einigkeit vorbei. Das SG meinte, wenn der Vorschuss Einkommen aus Erwerbstätigkeit darstelle, seien auch bereits im Februar die Freibeträge bei Erwerbstätigkeit nach § 11b SGB II abzusetzen. Dann würde sich die Rückzahlung mindern. Das LSG wiederum meinte, der Grund- und Erwerbstätigenfreibetrag sei im Februar nicht zu berücksichtigen, da Neumann ja dort ein Nettoeinkommen bezogen hatte. Die Freibeträge seien nur im Monat der Fälligkeit des Arbeitsentgelts abzusetzen. Hier also im März, in dem auch die Lohnabrechnung mit den entsprechenden Steuer-und Sozialabzügen erteilt wurde.

 

Das Monatsprinzip

 

Vor dem BSG hat sich Neumann wegen der Freibeträge auf das Monatsprinzip berufen. Wenn im Monat Februar Arbeitseinkommen erwirtschaftet und ausgezahlt werde, seien die o.g. Freibeträge auch für den Februar zu berücksichtigen. Das entspreche dem Monatsprinzip des Gesetzes.

 

Das BSG stellt klar: bei Vorauszahlungen auf Arbeitsentgelt sind in dem Monat, in dem sie zufließen, auch die Absetzungsbeträge für Erwerbstätigkeit in Abzug zu bringen. Und dies auch dann, wenn eine Abrechnung erst im Folgemonat erfolgt. Demnach war es falsch die Versicherungspauschale abzusetzen, sondern stattdessen hätten die 100 € Grundfreibetrag und der weitere Erwerbstätigenfreibetrag, hier 20 % auf den 100 € übersteigenden monatlichen Betrag, abgezogen werden müssen.

In Neumanns Fall waren das der Grundfreibetrag von 100 € und 20 % von 255 € = 51 €.  Das reduzierte dann die Rückzahlung um 121 €. Die Versichertenpauschale von 30 €, die das Jobcenter berücksichtigt hatte, ist dabei in dem Grundfreibetrag von 100 € enthalten. Die Rückforderung reduziert sich deshalb von 325 € auf 204 €.

 

Das Abflussprinzip

 

Das BSG meint, aus systematischen Gründen sind Ausgaben in dem Monat vom zugeflossenen Einkommen abzusetzen, in dem sie abfließen. Dem Zuflussprinzip stehe als Gegenpol ein Abflussprinzip gegenüber. Wenn also das Gesetz den Abzug pauschaler Freibeträge anstelle tatsächlicher Aufwendungen vorsieht, seien diese Freibeträge dann auch im Monat des Zuflusses beachtlich, und nicht erst dann, wenn eine Lohnabrechnung mit Abzügen erfolgt. Sinn und Zweck der pauschalierten Freibeträge stünden dem nicht entgegen, sie sollten einen Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit schaffen, auch, wenn diese nicht bedarfsdeckend ist. Zudem finde sich im Gesetzeswortlaut keine Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoeinkommen. Die Ziele des Gesetzgebers hingen nicht davon ab, ob das Einkommen vom Arbeitgeber bereits vollständig abgerechnet wurde, wenn es zur Auszahlung kommt, oder, ob es vorab oder als Teilbetrag erbracht wird.

 

Bundessozialgericht, Urteil vom 29. März 2022 - B 4 AS 24/21 R

 

 

Das sagen wir dazu:

Wer eine Beschäftigung in Vollzeit aufnehmen kann, ist meist raus aus dem ALG II-Bezug.

Im ersten und im letzten Monat kommt es dann besonders darauf an, wann tatsächlich der Lohn zufließt. Hätte Neumann den Vorschuss am 1. März erhalten, wären 204 € mehr in der Familienkasse verblieben.

 

In vielen Bereichen ist das Trumpf, was legal gestaltet werden kann. Bei den wirtschaftlich Bedürftigen steht dann (vor-)schnell der Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs im Raum. Wenn aber der Arbeitsvertrag von Neumann vorsah, dass am 15 des Folgemonats gezahlt wird, ohne Regelung eines Vorschusses zu einem bestimmten Zeitpunkt, halten wir es für nicht rechtsmissbräuchlich, wenn Neumann das Thema Vorschuss gegenüber seinem Arbeitgeber entsprechend anspricht.

Rechtliche Grundlagen

§ 11b Sozialgesetzbuch II (Auszüge)

§ 11b Sozialgesetzbuch II
(1) Vom Einkommen abzusetzen sind
1.
auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2.
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3.-4. (…)
5. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
6.
für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach Absatz 3,
7.-8. (…)
(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. (…)
(2a) (…)
(3) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich
1.
für den Teil des monatlichen Einkommens, der 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 000 Euro beträgt, auf 20 Prozent und
2.
für den Teil des monatlichen Einkommens, der 1 000 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 200 Euro beträgt, auf 10 Prozent.
Anstelle des Betrages von 1 200 Euro tritt für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1 500 Euro.