Landessozialgericht bescheinigt Jobcenter rechtswidrige Ablehnung von Leistungen.
Landessozialgericht bescheinigt Jobcenter rechtswidrige Ablehnung von Leistungen.

Bestehende Zweifel an der Erwerbsfähigkeit eines Antragstellers auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende (sog. „Hartz IV-Leistungen“) begründen keine Verweisung des Jobcenters an den Sozialhilfeträger. Eine solche Verweisung ist nicht zulässig. Das Jobcenter ist in einem solchen Fall zur Zahlung von Leistungen verpflichtet, so das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) in seiner Entscheidung vom 09.06.2016.

Der seit vielen Jahren in Deutschland lebende 40 jährige italienische Antragsteller ist Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts und damit grundsätzlich berechtigt, Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV") zu erhalten. Da ihm zurzeit der Antragstellung keine Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung standen, hat er bei dem Jobcenter Herne Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt.

Jobcenter lehnt Leistungen ab - Sozialhilfeträger lehnt ebenfalls Leistungserbringung ab


Das Jobcenter lehnte den Antrag auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende ab. Grundlage dieser Entscheidung war ein arbeitsmedizinisches Gutachten der Agentur für Arbeit, in dem ausgeführt wurde, dass der Antragsteller nicht erwerbsfähig sei. Durch das Jobcenter wurde er an die Stadt Herne als Sozialhilfeträger verwiesen, der für nicht erwerbsfähige Personen zuständig ist. Auch der Sozialhilfeträger lehnte die Erbringung von existenzsichernden Leistungen ab.

Vorgehen des Jobcenters rechtswidrig! Erwerbsfähigkeit grundsätzlich Voraussetzung für Leistungen nach SGB II - Antragsteller dürfen trotz Zweifel an der Erwerbsfähigkeit nicht zwischen die Stühle geraten


In dem vom Antragsteller eingeleiteten Eilverfahren hat das LSG NRW das Vorgehen des Jobcenters für rechtswidrig befunden. Es sei zwar zutreffend, so die Richter*innen des 9. Senats, dass Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II Erwerbsfähigkeit voraussetzen. Bis zur Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit habe das Jobcenter jedoch vorläufig Leistungen zu zahlen. Denn durch diese gesetzliche Verpflichtung solle verhindert werden, dass ein Antragsteller bei fraglicher Erwerbsfähigkeit zwischen die Stühle gerate und gar keine Leistungen, weder vom Jobcenter noch vom Sozialamt, erhalte.

Bloße Annahme von fehlender Erwerbsfähigkeit für Leistungsverweigerung nicht ausreichend – Jobcenter muss mit dem Sozialhilfeträger vertrauensvoll zusammenarbeiten!


Ohne zuvor den Sozialhilfeträger eingeschaltet zu haben, so das LSG NRW, dürfe das Jobcenter fehlende Erwerbsfähigkeit nicht annehmen. Das Jobcenter müsse mit dem Sozialamt vertrauensvoll zusammenarbeiten. Es sei verpflichtet, dem Sozialhilfeträger das Gutachten, auf das es sich bezieht, zu übermitteln und anzufragen, wie dieser die Erwerbsfähigkeit beurteilt und evtl. eine angemessene Frist zur abschließenden Äußerung zu setzen. Erst wenn die dem Sozialhilfeträger gesetzte Frist abgelaufen sei, ohne dass der Sozialhilfeträger sich geäußert hat, sei das Jobcenter berechtigt, "Hartz IV– Leistungen“ zu verweigern und den Betroffenen auf das Sozialamt zu verweisen. Bei bestehendem Zweifel sei das Jobcenter entsprechend den gesetzlichen Vorgaben verpflichtet, ein Gutachten des Rentenversicherungsträgers einzuholen, der über die Erwerbsfähigkeit verbindlich entscheidet. Da ein solches Verfahren nicht stattgefunden hatte, wurde das Jobcenter zur Zahlung verpflichtet.

Anmerkung:


Mit erfreulicher Klarheit hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Eilentscheidung darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, unter Hinweis auf ein nicht vom Rentenversicherungsträger erstelltes Gutachten, einem Antragsteller fehlende Erwerbsfähigkeit zu unterstellen und unter Berufung hierauf Leistungen zu verweigern.

Es ist zu hoffen, dass sich die Entscheidung des LSG NRW vom 09.06.2016 auch bei den Jobcentern herumspricht, die in der Vergangenheit schon damit auffällig wurden, dass man Antragsteller*innen, bei denen die fehlende Erwerbsfähigkeit angenommen wurde, an den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger verwies.

Link zur Pressemitteilung des Landessozialgerichts NRW vom 23.06.2016: