Eine Schulbetreuungskraft im Offenen Ganztag übt versicherungspflichtige Tätigkeiten aus, auch wenn der Träger (hier die AWO) die Verträge anders gest
Eine Schulbetreuungskraft im Offenen Ganztag übt versicherungspflichtige Tätigkeiten aus, auch wenn der Träger (hier die AWO) die Verträge anders gest

Schon ein interessantes Konstrukt, welches sich die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hier hat einfallen lassen: Eine Schulbetreuungskraft wurde ab dem Jahr 2002 für insgesamt 10 Jahre mit zeitlich befristeten Arbeitsverträgen bei einer Tochtergesellschaft der AWO eingesetzt. Dies mit 18 Stunden in der Woche. Im Jahr 2012 wurden die Wochenstunden dann drastisch gekürzt auf grade mal 8 Stunden. Als Lohn erhielt die Betreuungskraft 9,50 €, so dass es sich um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis handelte, weil das Entgelt anders als zuvor unter 450,- € lag. 

Sprachförderung und Leseübungen wurden per Aufwandsentschädigung bezahlt

Es erfolgte aber weiter ein über diese 8 Stunden hinausgehender Einsatz. Gelöst wurde dieses “Problem“ indem die AWO mit der Frau einen weiteren Vertrag schloss. Gegenstand waren Tätigkeiten wie Sprachförderung und Leseübungen. Der Einsatz erfolgte in derselben Schule wie die acht Stunden, die über die geringfügige Beschäftigung liefen. Gestaltet war der Vertrag als nebenberufliche Tätigkeit mit einer Aufwandsentschädigung von 154,- €. 

Im Einkommenssteuergesetz (§ 3 Nr. 26 EStG) sind Aufwandsentschädigungen geregelt unter anderem für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder vergleichbare nebenberufliche Tätigkeiten, die im Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer gemeinnützigen Einrichtung erfolgen. Solche sind in Höhe von insgesamt 2.400 € im Jahr steuerfrei.

Arbeitsagentur verweigert Arbeitslosengeld 

Wie “unglücklich“ dieses Konstrukt war, zeigte sich dann, als beide Verträge im Jahr 2013 nicht verlängert wurden und die Betreuungskraft arbeitslos wurde. Die zuständige Agentur für Arbeit Bochum lehnte den Antrag auf Arbeitslosengeld ab. Dies mit der Begründung, es habe zuletzt keine versicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen, so dass die Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld nicht erfüllt war. 

Die Regelanwartschaftszeit erfüllt, wer in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosmeldung und dem Beginn der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat.

Nachdem der Widerspruch erfolglos war, erfolgte Klage beim Sozialgericht Dortmund.

Einheitliche Beschäftigung mit Versicherungspflicht und Anspruch auf Arbeitslosengeld

Und die Richter dort waren erfreulicherweise anderer Meinung als die Arbeitsagentur. Die Aufspaltung der Tätigkeit als Betreuungskraft an der Ganztagsschule in eine geringfügige Beschäftigung und eine nebenberufliche Tätigkeit mit Aufwandsentschädigung sei unwirksam. Die Klägerin sei nicht teilweise nebenberuflich tätig gewesen. Vielmehr habe es sich um eine einheitliche Beschäftigung mit unveränderten Arbeitsinhalten an einem Arbeitsort gehandelt. Die Richter gingen deshalb von einer versicherungspflichtigen Tätigkeit aus und zwar bis zum Schluss, auch nach der neuen Vertragsgestaltung im Jahr 2012. Das Entgelt aus den Tätigkeiten insgesamt, also aus den Vereinbarungen über geringfügige Beschäftigung und nebenberuflicher Beschäftigung war mehr als 450,- €. Da die Geringfügigkeitsgrenze überschritten war, ergibt sich insgesamt eine Sozialversicherungspflicht. 

Das hat zur Folge, dass die Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld erfüllt war und die Klägerin Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. 

Die Klage hatte also Erfolg und das Sozialgericht Dortmund verurteilte die Agentur für Arbeit Bochum dazu, der Klägerin Arbeitslosengeld zu zahlen. 

Sozialversicherungspflicht tritt wegen Vorsatz nachträglich ein

Das Gericht unterstellte, dass der AWO und ihrer Tochtergesellschaft die versicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit ihrer Mitarbeiterin bekannt gewesen sein muss. Deshalb trete die Sozialversicherungspflicht der Beschäftigung auch nachträglich ein.


Damit erhält die Klägerin nicht nur ihr Arbeitslosengeld, sondern es müssen auch Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt werden. 

Grundsätzlich tritt die Versicherungspflicht mit dem Tag ein, an dem die Minijob-Zentrale die Versicherungspflicht feststellt und bekannt gibt oder der Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Arbeitgeberprüfung die Versicherungspflicht feststellt. Aber in den Fällen, in denen der Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt, eine Beschäftigung hinsichtlich ihrer Sozialversicherungspflicht richtig zu beurteilen, kann die Versicherungspflicht auch rückwirkend eintreten. Vorsatz des Arbeitgebers liegt dabei schon dann vor, wenn dieser die Beitragspflicht für möglich hält, jedoch billigend in Kauf nimmt, den Beitrag nicht abzuführen. 

Anmerkung der Redaktion:

Bei dem hier vorliegenden Sachverhalt kann vom Ablauf des Arbeitsverhältnisses und der Vertragsgestaltung kein anderer Schluss als ein Vorsatz der AWO gezogen werden. 

Dabei räumen wir ein, dass die Gestaltung von Betreuern im Ganztag als Hauptberuf und Nachmittags-Tätigkeit als nebenberufliche Tätigkeit für denselben Arbeitgeber von den Finanzgerichten steuerrechtlich „abgesegnet“ wurde. Der Steuerbefreiung stünde die haupt- und nebenberufliche Tätigkeit beim selben Arbeitgeber nicht entgegen, so etwa das Finanzgericht Düsseldorf. Allerdings gilt dies nur bei einer zusätzlichen Vereinbarung über die Erbringung einer Nebentätigkeit, die vom zeitlichen Umfang weniger als ein Drittel der Haupttätigkeit umfasst. Und dies war hier klar nicht der Fall. 

Da das Konstrukt erst gewählt wurde, als die Stunden reduziert wurden, spricht alles gegen eine nebenberufliche Tätigkeit und für das Umgehen einer Sozialversicherungspflicht. 

Zugegeben, es ist kein Fall von uns ist und wir kennen die Hintergründe nicht. Es fällt dennoch schwer, sich mit einer Bewertung zurück zu halten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die betroffene Mitarbeiterin erst mal freiwillig der Vertragsgestaltung angeschlossen hat, weil damit unter dem Strich mehr ausgezahlt wurde als bei einer Abrechnung als versicherungspflichtige Beschäftigung. Dennoch ist ein solches Konstrukt schlichtweg eine Sauerei. Vor allem gegenüber der Mitarbeiterin, die ohnehin für die wertvolle und wichtige Arbeit mit den Kindern zu schlecht bezahlt wird, auf diese Abrechnungsart nicht mal etwas für ihre Rente tun kann und bei Arbeitslosigkeit keine Absicherung hat. Und auch gegenüber der Allgemeinheit, weil die AWO es damit umgeht, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Dabei muss wohl davon ausgegangen werden, dass dies kein Einzelfall ist. 

Auch wenn die erfolgreiche Klage der Betreuungskraft nur eine Entscheidung im Kleinen war, so hoffen wir, dass es das richtige Signal setzt. Zumindest in den Fällen, in denen die Haupttätigkeit nur über eine geringfügige Beschäftigung abgerechnet wird, ist dieses Konstrukt abzulehnen.

Das vollständige Urteil des Sozialgerichts kann hier nachgelesen werden. 

Lesen Sie zum Thema Sozialversicherungspflicht unseren Artikel „Pädagogen einer Einrichtung für Behinderte Kinder sind keine selbständigen Honorarkräfte“

Allgemein zum Thema Minijob können Sie sich in unserem Ratgeber informieren.