Erben macht nicht immer Freude!
Erben macht nicht immer Freude!

Vor allem bei Ehepaaren ist das sogenannte „Berliner Testament“ üblich. In einem solchen Testament setzen sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben ein. Nach dem Tod eines Ehegatten besteht für die Kinder lediglich die Möglichkeit, ihren gesetzlichen Pflichtteil gegenüber dem Alleinerben zu verlangen. Erst nach dem Tod des zweiten Ehepartners können die Kinder die Erbschaft für das dann bestehende Gesamterbe antreten.

Bei Anspruch auf Pflichtteil werden Leistungen nur als Darlehen gewährt

Mit Urteil vom 23.08.2016, hat das Sozialgericht (SG) Mainz entschieden, dass ein Jobcenter einem Leistungsbezieher Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) zu Recht nur noch in Form eines Darlehens bewilligt hat, weil er aufgrund eines Anspruchs auf einen Pflichterbteil über ausreichend Vermögen verfüge.

Im Frühjahr 2015 war der Vater des Klägers verstorben. 1990 hatte er mit seiner Ehefrau in einem sogenannten „Berliner Testament“ vereinbart, dass zuerst der überlebende Ehegatte Alleinerbe werden soll und erst nach dessen Tod die zwei gemeinsamen Kinder den verbliebenen Nachlass erben würden.

Dem durch das elterliche Testament vom Erbe zunächst ausgeschlossenen Kläger kam daher unstreitig ein Anspruch auf Auszahlung des Pflichtteils in Höhe von 1/8 des Nachlasses zu. Ungefähr 140.000 € betrug der Wert der Erbschaft, darunter ein Barvermögen von 80.000 €.

Nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten konnte der Kläger als Pflichtteil ca. 16.500 € von seiner Mutter verlangen. Dieser Betrag lag deutlich über seinen Vermögensfreibeträgen.

Kläger weigert sich Pflichtteil gegenüber der Mutter geltend zu machen

Nach Aufforderung durch das Jobcenters war der Kläger nicht bereit, seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Er wies das Jobcenter darauf hin, dass er dann aufgrund der üblichen Pflichtteilsstrafklausel beim Tode seiner Mutter vom Erbe vollständig ausgeschlossen sein würde.

Auch habe er Skrupel, den Anspruch gegenüber seiner über 80 Jahre alten, schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mutter geltend zu machen. Er begründete dies damit, dass diese jedes Jahr einen Teil ihres Vermögens aufwenden müsse, um ihre Ausgaben zu bestreiten.

Normalerweise würde ihr Barvermögen noch einige Jahre ausreichen, zumindest bis zum Erreichen der statistischen Alterserwartung. Wenn er aber jetzt seinen Pflichtteilsanspruch gegenüber seiner Mutter geltend machen würde, verkürze sich dieser Zeitrahmen. Im Übrigen habe seine Mutter auch angekündigt, den Pflichtteilsanspruch nicht freiwillig auszahlen zu wollen.

Sozialgericht: Grundsätzlich kann nicht verlangt werden den Pflichtteil geltend zu machen

Die Richter*innen der 4. Kammer des Mainzer SG wiesen darauf hin, dass das Jobcenter im Falle eines Berliner Testaments von einem Leistungsempfänger grundsätzlich nicht verlangen könne, seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen.

Das sei nicht zumutbar, weil damit der ausdrücklich vereinbarte Wille der Eltern unterlaufen würde.
Eine Ausnahme, so die Mainzer Sozialrichter*innen, gelte jedoch, wenn ausreichend Barvermögen vorhanden sei, um den ausgeschlossenen Erben auszuzahlen, ohne dass z.B. ein Grundstück verkauft oder beliehen werden müsse.

Abweichend vom Grundsatz: Sozialgericht bestätigt Rechtsauffassung des Jobcenters

Auch nach den Berechnungen des Klägers würden die Rücklagen der Mutter bei Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht in unmittelbarer Zukunft, sondern erst in einigen Jahren aufgebraucht sein.

Über diesen Zeitraum hinweg könne keine sichere Prognose über die finanziellen Entwicklungen gestellt werden, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine besondere Härte und damit eine Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme begründen könnte.
Da im Übrigen völlig unklar sei, wie hoch der zukünftige Nachlass - auf den er dann verzichten müsste - sein werde, könne sich der Kläger auch nicht auf die Pflichtteilsstrafklausel berufen.
Hier geht es zur Pressemitteilung des Sozialgericht Mainz vom 26.09.2016 zum Urteil vom 23.08.2016, Az.: S 4 AS 921/15
Hier können Sie das vollständige Urteil des Bundessozialgerichts vom 24.02.2011. Az.: B 14 AS 45/09 R abrufen

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des SG Mainz steht im Einklang mit der sozialgerichtlichen Rechtsprechung (siehe hierzu nachstehend abrufbare Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.02.2011. Az.: B 14 AS 45/09 R). 

Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte ist der im ersten Erbfall (Tod eines Elternteils) kraft Gesetzes entstehende Pflichtteilsanspruch gegenüber dem hinterbliebenen Elternteil (Alleinerbe) verwertbares Vermögen. Dies gilt auch dann, wenn die Geltendmachung des Pflichtteils den Verlust des künftigen Erbteils zur Folge hat. 

Bedürftigentestament als Ausweg?

Das gilt jedenfalls dann, wenn das liquide Vermögen im Nachlass ausreicht, um daraus den Pflichtteil begleichen zu können.


Dass durch die quasi zwangsweise Inanspruchnahme des Pflichtteils kein Anspruch mehr auf ein möglicherweise nicht unerhebliches Erbe im Falle des Ablebens des verbliebenen Elternteils besteht, ist ein unbefriedigendes Ergebnis. Auch dürfte ein solches Ergebnis nicht dem Willen der Erblasser entsprechen.

Wer staatliche Leistungen wie Hartz IV bezieht oder überschuldet ist, muss aufpassen, wenn er erbt. Denn die Erbschaft wird auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet oder geht im Falle überschuldeter Menschen direkt an die Gläubiger. Um das zu vermeiden, setzen manche Erblasser ein sogenanntes Bedürftigentestament auf.

Bedürftigentestamente sind umstritten!

Bedürftigentestamente sind nicht nur rechtlich, sondern auch allgemein umstritten. Denn sie werfen die Frage auf, ob jemand, der erbt, zugleich staatliche Leistungen erhalten sollte.
Ebenfalls umstritten ist aber auch, ob Jobcenter Hartz-IV-Empfänger zwingen können, ein ihnen über ein Bedürftigentestament vermachtes Erbe auszuschlagen. 

Da ein sogenanntes Bedürftigentestament derzeit noch zu viele offene Fragen aufwirft, sollte vor dem Abschluss eines solchen Testaments unbedingt eine Beratung durch familienrechtlich versierte Juristen*innen erfolgen.

Für Interessierte:
Näheres über die Gestaltung eines Befürftigentestaments können Sie unter diesem Link 
http://testament.eu/beduerftigentestament 
erfahren.

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 12 Abs. 1 Sozialgesetzbuch II (Grundsicherung für Arbeitsuchende)

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende
§ 12 Zu berücksichtigendes Vermögen

(1) Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.

(2) Vom Vermögen sind abzusetzen

1.ein Grundfreibetrag in Höhe von 150 Euro je vollendetem Lebensjahr für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende volljährige Person und deren Partnerin oder Partner, mindestens aber jeweils 3 100 Euro; der Grundfreibetrag darf für jede volljährige Person und ihre Partnerin oder ihren Partner jeweils den nach Satz 2 maßgebenden Höchstbetrag nicht übersteigen,

1a. ein Grundfreibetrag in Höhe von 3 100 Euro für jedes leistungsberechtigte minderjährige Kind,

2. Altersvorsorge in Höhe des nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge geförderten Vermögens einschließlich seiner Erträge und der geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträge, soweit die Inhaberin oder der Inhaber das Altersvorsorgevermögen nicht vorzeitig verwendet,

3. geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit die Inhaberin oder der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer unwiderruflichen vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert der geldwerten Ansprüche 750 Euro je vollendetem Lebensjahr der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person und deren Partnerin oder Partner, höchstens jedoch jeweils den nach Satz 2 maßgebenden Höchstbetrag nicht übersteigt,

4. ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Leistungsberechtigten.

Bei Personen, die

1. vor dem 1. Januar 1958 geboren sind, darf der Grundfreibetrag nach Satz 1 Nummer 1 jeweils 9 750 Euro und der Wert der geldwerten Ansprüche nach Satz 1 Nummer 3 jeweils 48 750 Euro,

2. nach dem 31. Dezember 1957 und vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, darf der Grundfreibetrag nach Satz 1 Nummer 1 jeweils 9 900 Euro und der Wert der geldwerten Ansprüche nach Satz 1 Nummer 3 jeweils 49 500 Euro,

3. nach dem 31. Dezember 1963 geboren sind, darf der Grundfreibetrag nach Satz 1 Nummer 1 jeweils 10 050 Euro und der Wert der geldwerten Ansprüche nach Satz 1 Nummer 3 jeweils 50 250 Euro nicht übersteigen.

(3) Als Vermögen sind nicht zu berücksichtigen

1. angemessener Hausrat,

2. ein angemessenes Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person,

3. von der Inhaberin oder dem Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögensgegenstände in angemessenem Umfang, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person oder deren Partnerin oder Partner von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist,

4. ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung,

5. Vermögen, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks von angemessener Größe bestimmt ist, soweit dieses zu Wohnzwecken behinderter oder pflegebedürftiger Menschen dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,

6. Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.
Für die Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend.


(4) Das Vermögen ist mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs. Wesentliche Änderungen des Verkehrswertes sind zu berücksichtigen.