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Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom
16. Januar 2019.
 

Der Fall

Die Arbeitnehmerin ist schwerbehindert. Das teilte sie ihrem Arbeitgeber im September 2015 mit. Ihren Zusatzurlaub verlangte sie bis zur Kündigung des Arbeitgebers nicht. Der wies die Arbeitnehmer*in seinerseits nicht auf den Zusatzurlaub hin. Er forderte sie auch nicht auf, den Urlaub zu nehmen, weil es sonst verfalle.

Im Zusammenhang mit einer Kündigungsschutzklage verlangte die Klägerin den Zusatzurlaub. Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, der Zusatzurlaub sei bereits verfallen.
 

Vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Urlaub, den Arbeitnehmer*innen bis zum 31. Dezember nicht genommen hatten, verfiel. Nur wenn dringende betriebliche oder persönliche Gründe vorlagen, war eine Verlängerung bis zum 31. März des Folgejahres möglich. Danach ging nichts mehr.
 

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Urlaub kann nur noch verfallen, wenn der Arbeitgeber

  • Arbeitnehmer*innen auffordert, den Urlaub zu nehmen
  • darauf hinweist, dass er sonst verfällt.


Vergleiche dazu:
Arbeitgeber müssen Arbeitnehmer vor Urlaubsverfall warnen

Urlaub ist nicht gleich Urlaub

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs  - und in der Folge des Bundesarbeitsgerichts  - bezieht sich lediglich auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Soweit Tarifverträge darüber hinaus einen Anspruch auf Urlaub bewähren, können sie auch eigene Verfallsregeln aufstellen.
 

Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen spricht der Klägerin den Zusatzurlaub für die Jahre 2015 - 2017 zu. Dabei referiert es zunächst ausführlich die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes. Dann führt es aus, dass der Arbeitgeber die arbeitsvertragliche Nebenpflicht habe, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin Rücksicht zu nehmen. Dazu gehöre auch die Pflicht, die berechtigten Interessen der Klägerin zu beachten und sie vor Gesundheitsgefahren zu schützen. Daraus folge, dass der Arbeitgebergeber verpflichtet sei, die Klägerin über den möglichen Verfall von Urlaub zu informieren.

Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des LAG Niedersachsen auch für den Zusatzurlaub Schwerbehinderter. Diesem Zusatzurlaub liege der Gedanke zugrunde, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitskraft schneller als ein Gesunder verbrauchten. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht bereits im März 2010 entschieden, dass der Anspruch auf Zusatzurlaub „an das rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs gebunden“ sei. Das bedeutet, dass die Regelungen, die für den Mindesturlaub gelten, auch für den Zusatzurlaub Anwendung finden.
 

Ergebnis

Der Klägerin steht der Zusatzurlaub für die Jahre 2015 - 2017 zu. Dieser Anspruch wandelt sich mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses in einen Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs um.
 
Hier finden Sie die vollständigen Urteile:
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 16. Januar 2019, Aktenzeichen 2 Sa 567/18      
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. März 2010, Aktenzeichen 9 AZR 128/09