Eine Prozessbeschäftigung kommt gar nicht selten vor: Ein Arbeitnehmer klagt erfolgreich gegen eine Kündigung und gewinnt den Prozess in erster Instanz gegen seinen Chef. Wenn er auch den Weiterbeschäftigungsanspruch gestellt hat, kann er für die mehrmonatige Dauer eines oftmals vom Arbeitgeber durchgeführten Berufungsverfahrens die Weiterbeschäftigung verlangen. Um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu vermeiden, muss der Arbeitgeber diesem Verlangen nachkommen.
Welche Ansprüche bestehen im Prozessbeschäftigungsverhältnis?
Die tatsächliche Arbeitsleistung in dieser Phase der Prozessbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung vergütet der Arbeitgeber meistens anstandslos. Aber was ist mit der Feiertagsvergütung? Oder wenn der Arbeitnehmer krank wird? Und hat der Beschäftigte einen Urlaubsanspruch, was insbesondere bei einer längeren Dauer des Prozessbeschäftigungsverhältnisses wichtig werden kann?
Das Bundesarbeitsgericht lehnt Ansprüche ab
„Kein Anspruch!“, so die bisher eindeutige Rechtsprechung bis hin zum BAG. Sowohl Urlaub als auch Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder an Feiertagen könne nur ein Arbeitnehmer verlangen. Und da es sich bei einem Prozessbeschäftigungsverhältnis nicht um ein Arbeitsverhältnis handele, bestehe kein Anspruch.
Ergebnis: Seine vollen Vergütungsansprüche hat der klagende Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung nur dann, wenn er die Kündigungsschutzklage später rechtskräftig gewinnt. Dann sind aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs auch Krankheit, Urlaub und Feiertage zu vergüten.
Keine Entgeltfortzahlung und Urlaub
Endet aber im Laufe des weiteren Klageverfahrens das Arbeitsverhältnis beispielsweise aufgrund eines gerichtlichen Abfindungsvergleiches, dann verbleibt es bei dem bloßen Prozessbeschäftigungsverhältnis und der Beschäftigte guckt in die Röhre. Für Krankheitszeiten hat er wenigstens den etwas geringeren Krankengeldanspruch, aber Feiertage bekommt er nicht vergütet. Und einen Urlaubsanspruch hatte er nach der alten Rechtsprechung auch nicht, mag das Prozessbeschäftigungsverhältnis noch so lange gedauert haben.
LAG Hamm ändert Rechtsprechung
Hier setzt nun die Änderung des LAG Hamm ein: Zwar könne nur ein Arbeitnehmer Urlaub beanspruchen. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung - und der Argumentation des DGB Rechtsschutzes folgend - sei aber nach der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes von einem weiten Arbeitnehmerbegriff auszugehen. Dazu müsse, so das LAG Hamm, auch der Beschäftigte während einer Prozessbeschäftigung zählen.
Arbeitnehmer*in im Sinne der Europäischen Urlaubsrichtlinie und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sei nämlich jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübe. Ein Arbeitsverhältnis bestehe dann, wenn jemand für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringe. Also gelte der Urlaubsanspruch - so das LAG Hamm zu Recht - auch für Personen, die in einem Prozessbeschäftigungsverhältnis nur zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung tatsächlich beschäftigt werden.
6.000,- Euro Urlaubsentgelt erstritten
Der vom DGB Rechtsschutz vertretene Arbeitnehmer, dem während des Berufungsverfahrens Urlaub von seinem Chef nicht vergütet worden war, darf sich über mehr als 6.000,- Euro Urlaubsentgelt freuen.
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie Feiertagsvergütung hat das LAG allerdings unter Berufung auf die alte BAG-Rechtsprechung abgelehnt.
Update: Revision beim Bundesarbeitsgericht wegen Entgeltfortzahlung und Feiertagsvergütung anhängig
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Soweit der Arbeitgeber zur Zahlung der Urlaubsabgeltung verurteilt wurde, hat er von der Möglichkeit, Revision einzulegen, keinen Gebrauch gemacht.
Soweit das Landesarbeitsgericht allerdings die weiteren Ansprüche des Beschäftigten abgelehnt hatte (Entgeltfortzahlung und Feiertagsvergütung), ist es dem Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH gelungen, die Zulassung der Revision beim Bundesarbeitsgericht zu erstreiten.
Wir werden berichten, wie sich die Rechtslage bei Ansprüchen aus einem Prozessbeschäftigungsverhältnis weiterentwickelt.
Das Urteil des Landesarbeitsgericht Hamm vom 21.11.2018, Az.: 4 Sa 388/18 können Sie hier nachlesen.
Für Interessierte:
Hier geht es zu Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung:
Weitere Verbesserungen im Urlaubsrecht durch den EuGH gibt es bei der Frage der Vererblichkeit
….und zur Bereitschaftszeit
Und auch beim Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit hat der EuGH positive Signale gesetzt.
Das sagen wir dazu:
Dieses Urteil des LAG Hamm verbessert die Rechtsstellung von Arbeitnehmern, die nach erstinstanzlich gewonnenem Kündigungsschutzverfahren ihre Weiterbeschäftigung verlangen, enorm. Bisweilen dauert ein Berufungsverfahren und damit dann das Prozessbeschäftigungsverhältnis monatelang. Ohne realisierbaren Urlaubsanspruch während dieser Zeit waren Beschäftigte ziemlich rechtlos gestellt, was überhaupt nicht nachvollziehbar ist, da sie ja tagtäglich ihre Arbeitsleistung erbringen. Sie haben deshalb wie jeder andere Beschäftigte auch ein Erholungsbedürfnis.
Die jetzt vom LAG Hamm eingeläutete Änderung der Rechtsprechung wertet die Bedeutung des Prozessbeschäftigungsverhältnisses deutlich auf. Konsequent zu Ende gedacht, muss den Arbeitnehmern auch ein Urlaubsabgeltungsanspruch zustehen, wenn sie während dieser Zeit Urlaub nicht oder nicht in voller Höhe in Anspruch nehmen. Es können also erhebliche Ansprüche im Raum stehen.
Der Wermutstropfen an der ansonsten zu begrüßenden Entscheidung des LAG Hamm ist allerdings, dass es Entgeltfortzahlungsansprüche für Krankheit und Feiertage weiterhin abgelehnt hat.
Das sagen wir dazu