Das Landesarbeitsgericht Hamm bejaht die Frage, ob Urlaub nachzugewähren ist, wenn eine Quarantäne in die Urlaubszeit fällt.
Das Landesarbeitsgericht Hamm bejaht die Frage, ob Urlaub nachzugewähren ist, wenn eine Quarantäne in die Urlaubszeit fällt.

Jeder Beschäftigte weiß: Wenn ich in meinem Urlaub arbeitsunfähig erkranke und dies dem Arbeitgeber nachweise, bekomme ich den „ausgefallenen“ Urlaub nachgewährt. Unverständlich ist es deshalb, dass nahezu sämtliche Arbeits- und Landesarbeitsgerichte bisher von einer Erfüllung des Urlaubsanspruchs ohne „Nachholmöglichkeit“ ausgingen, wenn in der Urlaubszeit eine Quarantäne verhängt wurde.

 

Gesetzliche Regelung bei Erkrankung

Grund für diese unterschiedliche Behandlung: Für den Krankheitsfall regelt § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ausdrücklich, dass die Tage nachgewiesener Erkrankung nicht auf den Urlaub angerechnet werden. Für den Quarantänefall fehlt eine entsprechende Regelung. Und die wurde vom Gesetzgeber auch dann nicht erlassen, als sich in der Coronapandemie Quarantänefälle häuften.

Aus diesem Grund haben die meisten Gerichte auch eine analoge, also entsprechende Anwendung des § 9 BUrlG auf den Quarantänefall abgelehnt.

 

LAG Hamm rechnet Quarantäne nicht an

Dies sieht jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm in einem vom Hagener Büro der DGB Rechtsschutz GmbH erstrittenen Urteil als erstes Berufungsgericht anders:

Zeiten der Quarantäne sind analog § 9 BurlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen. Der Urlaub gilt insoweit nicht als erfüllt. Betroffene können verlangen, dass diese Tage dem Urlaubskonto wieder gutzuschreiben sind.

 

Analoge Anwendung des § 9 BUrlG bei Quarantäne

Entgegen der Ansicht anderer Gerichte wendet das LAG Hamm § 9 BUrlG analog auf den Quarantänefall an, da es insoweit von einer planwidrigen, also vom Gesetzgeber ungewollten Regelungslücke ausgeht. Insbesondere im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur „Urlaubsrichtlinie“ sei eine analoge Anwendung möglich. Der Quarantänefall sei durchaus vergleichbar mit dem Fall des im Urlaub arbeitsunfähigen Arbeitnehmers.

Auch wenn der Arbeitgeber lediglich die Urlaubsgewährung, nicht jedoch den Urlaubserfolg schulde, stehe eine verhängte Quarantäne einer selbst bestimmten Gestaltung der Urlaubszeit entgegen, so das Hammer Gericht zurecht weiter in der Begründung.

 

Gutschrift auf dem Urlaubskonto

Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber, die acht Urlaubstage, die in die Quarantänezeit fielen, dem Urlaubskonto des Beschäftigten wieder gutzuschreiben.

 

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache sowie der Abweichung von anderen Berufungsurteilen hat das LAG Hamm die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

 

Das Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm ist hier im Volltext nachzulesen.

Das sagen wir dazu:

Zu Recht bejaht das LAG eine analoge Anwendung des § 9 BurlG auf den Quarantänefall. Es ist nicht überzeugend, wenn dem entgegengehalten wird, dem in Quarantäne verweilenden Arbeitnehmer gehe es doch gut, er sei doch gar nicht beeinträchtigt.

Eben doch!

Wer in Quarantäne ist, kann seine Urlaubszeit eben nicht so gestalten, wie er will, mag es ihm gesundheitlich auch noch so gut gehen. Während erkrankte Beschäftigte – je nach Art der Erkrankung – spazieren gehen oder gar verreisen können, dürfen Personen in Quarantäne nicht einmal selber einkaufen oder zum eigenen Briefkasten im Hausflur gehen.

 

Allerdings ist das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen. Das LAG Hamm hat, wie einige andere Landesarbeitsgerichte, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Es ist davon auszugehen, dass erst das höchste deutsche Gericht, wenn nicht gar der Europäische Gerichtshof, die Rechtsfrage endgültig klären.

Rechtliche Grundlagen

§ 9 BurlG / Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG

Bundesurlaubsgesetz
§ 9 Erkrankung während des Urlaubs
Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung
Artikel 7 Jahresurlaub
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.