Erst gewonnen und dann doch ganz schnell zerronnen. Copyright by Aobe Stock/ gearstd
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In der Berufungsinstanz vor dem Landesarbeitsgericht stritt der Kläger darüber, ob sein Arbeitgeber den Zusatzurlaubes abgelten muss. Das Landesamt für Soziales hatte bei ihm rückwirkend ab Dezember 2015 die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt.

Das Verfahren dafür war mehrere Jahre lang anhängig gewesen.
Zuvor hatte nur ein Grad der Behinderung von 30 vorgelegen. Der Kläger gab an, sein Arbeitgeber habe das auch gewusst. Er habe seinen Vorgesetzten auch mitgeteilt, dass ein Verschlimmerungsantrag gestellt sei.

Ende 2016 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig

Ende 2016 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig. Bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses im September 2017 änderte sich daran nichts. Bis zu diesem Termin hätten ihm noch 9 Tage Zusatzurlaub wegen der Schwerbehinderteneigenschaft zugestanden. Da er jedoch durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war, konnte er diesen Urlaub nicht mehr nehmen.

Im März 2018, also etwa ein halbes Jahr nachdem das Arbeitsverhältnis geendet hatte, beantragte der Kläger die Abgeltung des Zusatzurlaubes, den er nicht mehr nehmen konnte.

Zu spät, meinte der Arbeitgeber

Zu spät, meinte der Arbeitgeber und verwies auf den Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Rheinhessen. Dieser Tarifvertrag fand auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Er sieht eine Ausschlussfrist von drei Monaten für alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vor.

Dazu gehöre auch der Anspruch auf Abgeltung des Zusatzurlaubes, so das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz. Das Gericht hält dem Kläger vor, er habe diese Ausschlussfrist nicht eingehalten, nachdem er seine Ansprüche erst etwa ein halbes Jahr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht habe. Sein Anspruch sei daher verfallen.

Nach dem Gesetz hätten dem Kläger fünf Tage Zusatzurlaub pro Jahr zugestanden

Nach dem Gesetz hätten dem Kläger zwar fünf Tage Zusatzurlaub pro Jahr zugestanden. Rein rechnerisch seien dies für die Zeit ab Ende 2015 bis September 2016 insgesamt neun Tage gewesen.

Der Anspruch auf Zusatzurlaub entstehe mit der Schwerbehinderteneigenschaft. Einer förmlichen Feststellung bedürfe es nicht. Ein Arbeitnehmer dürfe sich auf seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch auch schon berufen, bevor diese festgestellt sei. Der Kläger habe schon ab Dezember 2015 einen GdB von 50 gehabt. Damit habe ihm seit diesem Zeitpunkt auch der Zusatzurlaub zugestanden. Es sei gleichgültig, dass das Landesamt erst viel später einen Bescheid erteilt habe.

Auf den Zusatzurlaub sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubes anwendbar

Auf diesen Zusatzurlaub seien die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubes anzuwenden. Das habe das Bundesarbeitsgericht 2019 bereits entschieden. Ein Anspruch auf Zusatzurlaub sei daher grundsätzlich abzugelten, wenn das Arbeitsverhältnis ende.

Bei diesem Abgeltungsanspruch handele es sich nämlich um einen einfachen Geldanspruch. Auf diesen fänden die tarifvertraglichen Ausschlussfristen Anwendung. Der Tarifvertrag lege eine Ausschlussfrist von drei Monaten fest.

Früher hatte das höchste deutsche Arbeitsgericht anders entschieden

Früher hatte das höchste deutsche Arbeitsgericht dazu anders entschieden. Da wurde der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubes nicht als reiner Zahlungsanspruch gesehen. Er stellte nach der damaligen Rechtsprechung ein Surrogat, also einen Ersatz für den nicht genommenen Urlaub dar.

Damit handelte es sich nach der früheren Rechtsansicht um keinen reinen Geldanspruch. Deshalb war das BAG damals der Auffassung, dass Ausschlussfristen nicht anzuwenden seien, wenn es um die Abgeltung von Urlaubsansprüchen geht.

Der Europäische Gerichtshof hatte das aber anders gesehen. Daraufhin musste das Bundesarbeitsgericht auch seine Rechtsprechung reformieren. Urlaubsabgeltungsansprüche sind seither reine Geldansprüche.

Nun muss sich der Kläger jedoch die Ausschlussfrist des Tarifvertrages vorhalten lassen

Nach der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung müsse sich der Kläger nun aber die Ausschlussfrist des Tarifvertrages vorhalten lassen, so das Landesarbeitsgericht. Diese habe er zweifelsfrei nicht eingehalten.

Der Anspruch eines Arbeitnehmers, nicht genommenen Urlaub abzugelten, entstehe mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das sei Ende September 2017 gewesen. Da habe die Frist des Tarifvertrages zu laufen begonnen. Seinen Antrag habe der Kläger aber erst im März des Folgejahres gestellt.

Seine Arbeitsunfähigkeit hat den Kläger nicht daran gehindert, den Anspruch früher geltend zu machen

Seine Arbeitsunfähigkeit habe ihn nicht gehindert, den Anspruch früher geltend zu machen. Es sei nicht erforderlich gewesen, dass eine Behörde einen Grad der Behinderung von 50 bereits festgestellt habe. Damit habe es auch keinen rechtlichen Grund gegeben, der den Kläger hinderte.

Zwar hätte der Arbeitgeber ohne förmliche Anerkennung wohl auch den Zusatzurlaub nicht zugesprochen. Dem Kläger sei es in dieser Situation aber zumutbar gewesen, gegen seinen Arbeitgeber zu klagen. In einem solchen Klageverfahren hätte dann die Möglichkeit bestanden, den Grad der Behinderung von 50 nachweisen.

Dem steht § 208 SGB IX nicht entgegen

Dem stehe auch § 208 SGB IX nicht entgegen. Der bestimme in seinem Absatz 3, dass die dem Beschäftigungsverhältnis zu Grunde liegenden urlaubrechtlichen Bestimmungen Anwendung fänden, wenn die Eigenschaft als scherbehinderter Mensch rückwirkend festgestellt würde und der Urlaub auf das nächste Jahre übertragen werden solle.

Diese Vorschrift ergänze die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach dürfe es für die Ungewissheit über das Ergebnis des Feststellungsverfahrens beim Landesamt keinen Übertragungsgrund geben, der in der Person des Arbeitnehmers zu sehen sei. Der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift vermeiden wollen, dass sich Ansprüche auf Zusatzurlaub aus vergangenen Jahren addierten, wenn ein Feststellungsverfahren länger dauere. Die rechtliche Unsicherheit darüber, als schwerbehinderter Mensch anerkannt zu werden, dürfe daher nicht vom Arbeitnehmer zu vertreten sein.

Das ändert nichts an den tarifvertraglichen Verfallfristen

Das ändere jedoch nichts an den tarifvertraglichen Verfallfristen. § 208 SGB IX setze nämlich nicht voraus, dass die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch ausdrücklich festgestellt sei. Weil der Kläger seinen Anspruch auf Abgeltung seines Zusatzurlaubes jedoch nicht innerhalb von drei Monaten nachdem sein Arbeitsverhältnis beendet war, beantragt hatte, sei dieser verfallen.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Prinzipiell ist es nicht schwer, die Abgeltung des Zusatzurlaubes frühzeitig, unmittelbar nachdem das Arbeitsverhältnis beendet ist, geltend zu machen. Man muss halt nur daran denken. Und das fällt oft schwer, wenn ja noch gar nicht klar ist, dass im Rahmen eines längeren Verfahrens später irgendwann einmal die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch rückwirkend anerkannt wird. Oftmals sind Arbeitnehmer*innen da noch gar nicht unbedingt rechtlich vertreten und scheuen sich vor einem Arbeitsgerichtsprozess. Der droht aber, wenn der Arbeitgeber den Abgeltungsanspruch nicht anerkennt.Das nutzt aber nichts. Die Rechtsprechung verlangt, dass die tarifvertraglichen Ausschlussfristen eingehalten werden.

Rechtliche Grundlagen

§ 208 SGB IX

(1) Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr; verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen auf mehr oder weniger als fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche, erhöht oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Soweit tarifliche, betriebliche oder sonstige Urlaubsregelungen für schwerbehinderte Menschen einen längeren Zusatzurlaub vorsehen, bleiben sie unberührt.
(2) Besteht die Schwerbehinderteneigenschaft nicht während des gesamten Kalenderjahres, so hat der schwerbehinderte Mensch für jeden vollen Monat der im Beschäftigungsverhältnis vorliegenden Schwerbehinderteneigenschaft einen Anspruch auf ein Zwölftel des Zusatzurlaubs nach Absatz 1 Satz 1. Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind auf volle Urlaubstage aufzurunden. Der so ermittelte Zusatzurlaub ist dem Erholungsurlaub hinzuzurechnen und kann bei einem nicht im ganzen Kalenderjahr bestehenden Beschäftigungsverhältnis nicht erneut gemindert werden.
(3) Wird die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nach § 152 Absatz 1 und 2 rückwirkend festgestellt, finden auch für die Übertragbarkeit des Zusatzurlaubs in das nächste Kalenderjahr die dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden urlaubsrechtlichen Regelungen Anwendung.