Urlaub verfällt nicht mehr automatisch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht über den konkreten Urlaubsanspruch belehrt und auf Verfallfristen hinweist. Copyright by Adobe Stock/EVERST
Urlaub verfällt nicht mehr automatisch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht über den konkreten Urlaubsanspruch belehrt und auf Verfallfristen hinweist. Copyright by Adobe Stock/EVERST

 Der Urlaubsanspruch ist nach dem Bundesurlaubsgesetz für die Zeit des Kalenderjahres und darüber hinaus bis zum 31. März befristet. Bis 2009 hatte derjenige Pech, der seinen Urlaub in dieser Zeit nicht nehmen konnte. Urlaub konnte nur beanspruchen, wer im Urlaubsjahr auch tatsächlich freigestellt werden konnte. Der Anspruch auf Abgeltung galt als Ersatz (Surrogat) für den Anspruch auf Freistellung. Wer also wegen einer Krankheit den Urlaub nicht nehmen konnte, hatte auch keinen Anspruch auf Abgeltung.



Mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes wird die „Surrogatstheorie“ aufgegeben

Dann urteilte der EuGH: kann ein Arbeitnehmer wegen langwieriger Arbeitsunfähigkeit den Urlaub vor dem 31. März nicht nehmen, kann er nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit, die ihm noch zustehenden Urlaubstage beantragen und verbrauchen. Das betrifft jedenfalls den Urlaub in Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubs. Ob das auch für weitergehenden Urlaub nach dem Arbeitsvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages gilt, hängt davon ab, ob es sich dabei um eine eigenständige Regel handelt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat daraufhin die „Surrogatstheorie“ mit einem Urteil von 2012 vollständig aufgegeben. Der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs ist seitdem ein reiner Geldanspruch und unterliegt nicht mehr dem Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes (BurlG). Allerdings müssen Arbeitnehmer*innen Verjährungs- und Verfallsfristen beachten.


Nach neuerer Rechtsprechung des BAG verfällt der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf eines Urlaubsjahres

Der Anspruch auf Urlaub hängt also nicht mehr davon ab, ob der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat. Das BAG legt allerdings das Gesetzt „richtlinienkonform“ so aus, dass die gesetzlichen Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ablauf eines Urlaubsjahres endgültig verfallen. Ein Ansammeln von Urlaubsansprüchen von Langzeiterkrankten über viele Jahre ist daher nicht möglich.
Im November 2018 sorgten zwei Entscheidungen des EuGHs zum Urlaubsrecht für Aufsehen: in den Urteilen mit Namen Shimizu und Kreuziger machte das Gericht Schluss mit einer weiteren Einschränkung aus dem deutschen Urlaubsrecht. Bis dato war Urlaub nur unter engen Bedingungen auf das nächste Urlaubsjahr zu übertragen, wenn Arbeitnehmer*innen ihn nicht rechtzeitig genommen hatten.


Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer über den konkreten Urlaubsanspruch belehren und auf Verfallfristen hinweisen

Nach diesen Entscheidungen verfällt der Urlaub nicht automatisch, wenn der Arbeitnehmer keinen Urlaubsantrag gestellt hat. Nach neuerer Auffassung des BAG verfällt der Urlaubsanspruch deshalb nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor über den konkreten Urlaubsanspruch belehrt und auf die Verfallfristen hingewiesen hat.
Jedenfalls der gesetzliche Mindesturlaub verfällt also nicht mehr am 31. März automatisch, sondern wird gleichsam unbegrenzt übertragen, wenn der Arbeitgeber nicht aufpasst.
Unsere Kolleg*innen aus dem Büro Rostock vertraten folgenden Fall vor dem Arbeitsgericht Heilbronn:

Hubert Müller (Name von der Redaktion geändert) ist seit Mai 2011 bei der Meier GmbH (Name von der Redaktion geändert) bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Seit Juni 2015 führten die Rechtsvorgängerin der Meier GmbH und nach einem Betriebsübergang die Meier GmbH selbst mit Herrn Müller mehrere Kündigungsschutzverfahren. Zuletzt wurde Hubert Müller mit Schreiben vom Februar 2018 zu Ende April 2018 gekündigt. Dieses Verfahren wurde letztinstanzlich beim Landesarbeitsgericht in Stuttgart durch ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil abgeschlossen. Die mündliche Verhandlung hierzu fand im November 2019 statt. Das Urteil wurde den Parteien zugestellt Ende Januar 2020.


Kündigungen und Kündigungsschutzverfahren über mehrere Jahre verhinderten, dass Herr Müller seinen Urlaub nehmen konnte

Hubert Müller macht jetzt Urlaubsansprüche für die Zeit seit Juni 2015 geltend, insoweit er ihm noch nicht genehmigt worden war.

Die Meier GmbH beruft sich auf die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist und darüber hinaus auch auf Verjährung der Ansprüche für die Jahre 2015 und 2016 .
Außerdem sei Hubert Müller 2019 durch einen Newsletter deutlich auf den Verfall von Urlaubsansprüchen hingewiesen worden. Nach diesem Hinweis dürften jedenfalls Urlaubstage für das Jahr 2019 verfallen sein.

Soweit nach der Rechtsprechung ein Hinweis des Arbeitgebers auf den Verfall des Urlaubs gefordert werde, könne dies zudem nur für den gesetzlichen Mindesturlaub gelten. Herrn Müller stehe ein Urlaubsanspruch von 30 Urlaubstagen zu, mithin im Vergleich zum gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Tagen weitere zehn Tage mehr Urlaub. Ausweislich des Arbeitsvertrages werde zwischen vertraglichen und gesetzlichen Urlaub differenziert. Es werde eindeutig zwischen Verfall des gesetzlichen und des vertraglichen Urlaubs unterschieden. Weiter sei an eine ergänzende Vertragsauslegung zu denken, wonach eine umfassende Differenzierung gewollt sei und nicht nur auf den Fall der Krankheit beschränkt.


Arbeitsgericht Heilbronn: Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

Das Gericht gab Herrn Müller recht und sprach ihm insgesamt für die Jahre 2015-2019 noch 125 Urlaubstage zu.
Nach der Rechtsprechung des BAG führe des BUrlG nur dann zum Verfall der Urlaubsansprüche, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt habe, sein Urlaubsanspruch wahrzunehmen und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe. Diese Mitwirkungsobliegenheit treffe den Arbeitgeber auch während eines Kündigungsschutzverfahrens.

Der Arbeitgeber müsse konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er müsse ihn - erforderlichenfalls förmlich - dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfalle, wenn er ihn nicht nehme.


Der Arbeitnehmer muss frei darüber entscheiden können, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt

Weil konkrete gesetzliche Vorgaben fehlten, sei der Arbeitgeber grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bediene. Die Mittel müssten jedoch zweckentsprechend sein. Sie müssten geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nehme. Deshalb dürfe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch nicht in sonstiger Weise da-ran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen.

Der Arbeitgeber müsse sich auf einen „konkret" bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine „völlige Transparenz" genügen. Er könne seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig zum Beispiel dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteile, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustünden. Er müsse ihn auffordern, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden könne. Zudem müsse er den Arbeitnehmer über die Konsequenzen belehren für den Fall, dass er den Urlaub nicht entsprechend der· Aufforderung beantrage.


Ein Newsletter ist zu allgemein und nimmt nicht Bezug auf das konkrete Arbeitsverhältnis

Die Meier GmbH habe Hubert Müller zu keinem Zeitpunkt ausreichend über seinen Urlaubsanspruch aufgeklärt und ihn aufgefordert den Urlaub zu nehmen, weil er anderenfalls verfalle. Der Newsletter von 2019 sei ohne konkrete Angaben mit Bezug zum Arbeitsverhältnis des Herrn Müller hierfür nicht ausreichend.

Darüberhinausgehende Aufforderungen und Hinweise seien nicht ersichtlich. Damit sei die Meier GmbH der Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen und die Urlaubsansprüche seien in den Jahren 2015-2019 nicht zum Ende des Kalenderjahres bzw. spätestens zum 31. März des Folgejahres verfallen. Vielmehr seien sie nach der Rechtsprechung des BAG zu den neu entstandenen Urlaubsansprüchen hinzugetreten.
 
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