Umkleidezeiten und hierdurch veranlasste innerbetriebliche Wegezeiten sind im Anwendungsbereich des TV-L vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss.

Der Fall:

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Krankenschwester im OP-Dienst beschäftigt. Sie ist zum Tragen von Berufs- und Bereichskleidung verpflichtet. Auf das Arbeitsverhältnis findet nach der Ersetzung des BAT der TV-L Anwendung.

Nach § 15 Abs. 7 BAT begann und endete die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle. Dazu bestimmte die Protokollnotiz: "Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfasst z.B. die Dienststelle oder den Betrieb, während unter dem Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem der Angestellte täglich arbeitet." Der TV-L enthält keine dem § 15 Abs. 7 BAT entsprechende Bestimmung.

Vor Inkrafttreten des TV-L wertete die Beklagte bei Beschäftigten im OP-Bereich pro Arbeitstag insgesamt 30 Minuten für Umkleiden und innerbetrieblichen Weg als vergütungspflichtige Arbeitszeit. Unter Berufung auf eine geänderte Rechtslage nach dem TV-L hat sie Umkleide- und innerbetriebliche Wegezeiten zu Dienstbeginn und Dienstende nicht mehr auf die Arbeitszeit angerechnet und vergütet.

Die Entscheidung:

Dieser Rechtsauffassung ist das BAG nicht gefolgt.

Die Umkleidezeiten und innerbetrieblichen Wegezeiten von der Umkleidestelle bis zum OP-Bereich sind Teil der von der Klägerin geschuldeten tariflichen Arbeitszeit.

Die Einordnung der streitgegenständlichen Zeiten als Arbeitszeit davon ab, ob sie nach dem TV-L Bestandteil der tariflichen Arbeitszeit sind. Eine ausdrückliche Bestimmung hierzu enthält der Tarifvertrag nicht. § 6 Abs. 1 TV-L regelt lediglich die Dauer der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Was tarifliche Arbeitszeit ist, definieren die Tarifvertragsparteien weder dort noch an anderer Stelle des Tarifvertrags.

Andererseits haben die Tarifvertragsparteien in § 6 Abs. 4 TV-L von den Öffnungsklauseln des § 7 Abs. 1 und Abs. 2 ArbZG und des § 12 ArbZG Gebrauch gemacht. Zusammen mit dem Fehlen einer Definition dessen, was tarifliche Arbeitszeit sein soll, belegt dies, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff der Arbeitszeit mit der Bedeutung verwenden, die der Begriff im Arbeitszeitrecht gefunden hat.

§ 2 Abs. 1 ArbZG definiert die Arbeitszeit als die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Entscheidend ist damit, ob die streitgegenständlichen Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten "Arbeit" sind. Arbeit ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Zur Arbeit gehört auch das Umkleiden für die Arbeit, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss.

Im Streitfall kommt hinzu, dass das Tragen der Berufs- und Bereichskleidung der Beschäftigten im OP-Bereich primär hygienischen Zwecken und damit betrieblichen Belangen der Beklagten dient. Da die Arbeit in diesem Falle mit dem Umkleiden beginnt, zählen auch die innerbetrieblichen Wege zur Arbeitszeit, die dadurch veranlasst sind, dass der Arbeitgeber das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet, die der Arbeitnehmer zwingend benutzen muss.

Folgen für die Praxis, Bettina Fraunhoffer LL.M.:

Die Frage, was Arbeitszeit ist und damit die Folge, dass Wasch- oder Umkleidezeiten, sowie Wegezeiten vom Arbeitgeber zu bezahlen sind, war schon häufig Inhalt von Entscheidungen. Nunmehr hat das BAG seine Rechtsprechung geändert und eindeutig zugunsten der Arbeitnehmer positioniert. Noch im Jahre 2000 hatte das BAG (5 AZR 122/99) eine Vergütungspflicht abgelehnt, nunmehr wurde diese Rechtsansicht revidiert.

Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die geleistete Arbeit im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeit zu vergüten hat. Ob zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit auch Nebenleistungen des Arbeitnehmers zählen, w.z.B. Umkleiden, oder ob diese dem Privatbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen sind, ist nun etwas näher vom BAG beschrieben worden.

Ist Dienstkleidung zwingend im Betrieb anzulegen, hat sie dort nach Beendigung der Tätigkeit zu verbleiben oder darf der Arbeitnehmer arbeitsschutzrechtlich ohne sie die Arbeit nicht aufnehmen, dient das Umkleiden vorwiegend dem Interesse des Arbeitgebers und ist deswegen auch vergütungspflichtig. Damit ist nicht nur die Zeit, die für das Umkleiden benötigt wird, vom Arbeitgeber zu bezahlen, sondern auch die Zeit, die vom Arbeitsplatz zum Umkleideraum benötigt wird. Erfasst wird nach dem BAG hiervon die Zeitspanne, die für die einzelne Beschäftigte bzw. den einzelnen Beschäftigten unter Ausschöpfung ihrer bzw. seiner persönlichen Leistungsfähigkeit für das Umkleiden und das Zurücklegen des Weges von der Umkleidestelle zur Arbeitsstelle erforderlich sei. Damit kann der Arbeitgeber keine fixe Zeitspanne einfach vorgeben, sondern es muss die jeweilige persönliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers bewertet werden.

Was das BAG nicht entschieden hat, ist ob Desinfektionszeiten, die zur Aufnahme der Tätigkeit notwendig sind, auch zu bezahlen sind. Aber führt man die Rechtsprechung des BAG fort, dann zählen diese sicher auch zur Arbeitszeit.

Für den Betriebsrat ist wichtig, dass ihm bei der Regelung der Kleiderordnung ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Wenn es also um die Frage geht, ob das Ankleiden am Arbeitsplatz oder zu Hause zu erfolgen hat, kann der Betriebsrat mitreden.
Es ist dann sinnvoll, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass aus Gründen des Persönlichkeitsrechtes es nicht zumutbar ist, außerhalb des Betriebes die Berufskleidung zu tragen, und dass daher das Umkleiden als Arbeitszeit im Betrieb stattzufinden hat und zu bezahlen ist.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.09.2012, 5 AZR 678/11