Wer gewählt werden will, muss für sich werben sich auch mit dem Gegner auseinandersetzen. Zu ihm darf sich ein Wahlbewerber auch polemisch äußern. Copyright by Adobe Stock/kebox
Wer gewählt werden will, muss für sich werben sich auch mit dem Gegner auseinandersetzen. Zu ihm darf sich ein Wahlbewerber auch polemisch äußern. Copyright by Adobe Stock/kebox

Jeder Mensch darf in unserem Land seine Meinung frei äußern und verbreiten. Das Bundesverfassungsgesetz (BVerfG) bezeichnet die Meinungsfreiheit als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Und dieses Recht gilt grundsätzlich natürlich auch im Arbeitsverhältnis.

Hierzu empfehlen wir unseren Artikel: „Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis“
Das Recht, seine Meinung frei zu äußern, hat allerdings auch Grenzen. Es bedeutet nämlich nicht, dass man Tatsachen behaupten darf, die nicht stimmen. Außerdem darf man andere mit seinen Äußerungen nicht schmähen mit dem Ziel, ihre Würde zu verletzen. Aber innerhalb dieser Grenzen darf man seine Meinungen äußern, unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist. Es spielt auch keine Rolle, ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird.

Beschäftigte, die den Arbeitgebern nahestehen, stellen häufig eigene Listen zur Betriebsratswahl auf.

Zur Strategie von Bewerbern zu einer Wahl gehört es, nicht nur die eigenen Positionen und Vorhaben darzulegen, sondern sich auch über die Absichten des Gegners zu äußern. Und man will dessen Programm auch kommentieren und werten. Das ist bei einer Betriebsratswahl nicht anders, als bei Wahlen zu Parlamenten.

Arbeitgebern sind Betriebsräte nicht immer genehm, insbesondere wenn sie konsequent Ihre Rechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zum Wohle der Beschäftigten wahrnehmen. Eine offensichtlich beliebte Strategie in vielen Unternehmen ist es, dass Kolleg*innen, die den Arbeitgebern sehr nahestehen, eine eigene Liste für die Betriebsratswahl aufstellen.

Und genau diese Situation ist Hintergrund eines Verfahrens, das die Kolleg*innen unseres Berliner Büros kürzlich beschäftigt hat.

Ein Prokurist erzwingt Listenwahl, indem er eine eigene Vorschlagsliste mit Führungskräften aufstellt

Es gab zunächst eine Liste, die zum Teil aus bisherigen Mitgliedern des Betriebsrates bestand. Wäre das die einzige Vorschlagsliste geblieben, hätte eine Persönlichkeitswahl stattgefunden. Die Beschäftigten hätten also die Möglichkeit gehabt, die Kandidat*innen zu wählen, die sie für geeignet halten. Ein Prokurist des Unternehmens reichte aber eine weitere Vorschlagsliste ein, auf der Führungskräfte und weitere Freunde von Arbeitgeberinteressen standen.

Damit gab es zwei Listen und die Wahl musste als Listenwahl durchgeführt werden. Die Beschäftigten hatten also nur die Wahl zwischen Liste eins mit Bewerbern, die die Arbeitswelt mit den Augen von abhängig Beschäftigten betrachten und Liste zwei mit Bewerbern, denen es offensichtlich weniger um das Wohl der Belegschaft ging, als darum, dass das Unternehmen möglichst ungestört von lästigen Bestimmungen des deutschen Arbeitsrechts den Betrieb führen kann.

Herr Barmbek gibt bekannt, worum es bei der Betriebsratswahl aus seiner Sicht wirklich geht

Im Rahmen der Bewerbung für die Betriebsratswahl hängte Bernd Barmbek (Name von der Redaktion geändert), der Listenführer der Liste 1, im Schaukasten des Betriebsrates ein Schreiben aus mit folgendem Wortlaut:

„Am Freitag habt Ihr die Wahl:
Liste 1: Ein für den Arbeitgeber durchaus unbequemer Betriebsrat, der für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzrechte steht und natürlich auch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld hinwirkt, ohne jedoch dabei die Rechte und den Stolz der Kolleginnen und Kollegen zu verkaufen.

oder

Liste 2: eine Liste angeführt von dem Prokuristen und Küchendirektors mit Kandidaten von Teamleitern, Stellvertretern und Kollegen, denen für die Kandidatur Vorteile in Aussicht und teilw. bereits gewährt wurden!

Mit Teamleitern und Kollegen, die teilw. Arbeitsaufzeichnungen gefälscht haben und bei der Dienstplanung wiederholt das Arbeitszeitgesetz missachtet haben oder Dinge versprechen, bei denen Sie beim Arbeitgeber gar kein Mitspracherecht haben.
Wenn Ihr einen dem Arbeitgeber mehr als nahestehenden Betriebsrat haben wollt
zukünftig Schichten von 1Oh und mehr leisten wollt und euch Arbeitnehmerschutzrechte egal sind, dann ist die Liste 2 die richtige Wahl.
Ansonsten am 11.05.2018 lieber Liste 1“


Dieses Schreiben hat nicht nur den Listenführer der Liste 2, sondern insbesondere auch den Arbeitgeber sehr erbost. Sie forderten Herrn Barmbek zunächst auf, eine vorgegebene Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Das hat er aber deshalb nicht getan, weil er sich gleichzeitig verpflichten sollte, Schadensersatz in Höhe von € 50.000 00 zu zahlen.

Das Arbeitsgericht muss entscheiden

Der Arbeitgeber und ein Mitglied der Liste zwei verklagten Bernd Barmbek daraufhin vor dem Arbeitsgericht.

Dabei holten sie wahrlich den Hammer heraus: sie begehrten nicht nur mindestens € 50.000,00 als Schmerzensgeld und rund € 6.500,00 als Anwaltskosten. Sie wollten auch, dass das Gericht Herrn Barmbek verurteilt, in welchem Umfang er Werbung in der beschriebenen Art gemacht hat, um vielleicht noch einen erheblich höheren Schaden herauszurechnen.

Das Arbeitsgericht hat allerdings mit Urteil vom Februar 2020 die Klage abgewiesen und ausgeführt, es bestünden Bedenken, ob es sich bei den von Herrn Barmbek in dem Aushang im Schaukasten des Betriebsrats aufgenommenen Erklärungen überhaupt um falsche und ehrverletzende Behauptungen handele, sondern lediglich um Wertungen. Er habe die Vermutung ausgedrückt, dass die Bewerber auf der Liste zwei wegen ihrer gehobenen Stellung sich zu erhöhter Loyalität verpflichtet fühlen könnten, was sich im Konfliktfall zum Nachteil der Belegschaft auswirken könne. Entsprechende polemische, überspitzte Äußerungen im Rahmen des laufenden Wahlkampfes stellten generell keine unzumutbare Schmähkritik dar, sondern seien vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 Absatz 1 GG noch gedeckt.

Selbst wenn die Ehre verletzt wird, kann sie auch auf andere Weise als der Zahlung von Schmerzensgeld wieder hergestellt werden

Aber selbst wenn Herr Barmbek mit seinen Äußerungen die Ehre der Kandidaten aus Liste zwei verletzt hätte, bestünde noch kein Anspruch auf Schmerzensgeld. Dem berechtigten Interesse, seine Ehre zu schützen, müsse nur dann durch ein Schmerzensgeld Rechnung getragen werden, wenn die Wiederherstellung der Ehre nicht auf andere Weise, etwa durch einen Widerruf und ein Verlangen auf Unterlassen möglich sei.

Die Wiederherstellung der Ehre könne im vorliegenden Fall auch in anderer Weise adäquat bewirkt werden, etwa durch die Abgabe einer Widerrufserklärung des Herrn Barmbek als Aushang im Schaukasten des Betriebsrates.

Hier geht es zur Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin