Weniger in der Tasche trotz Erhöhung des Mindestlohns?
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Neumann ist als Leiharbeitnehmer tätig und sein Arbeitgeber ist im entsprechenden Arbeitgeberverband. Daher gibt es tarifliche Regelungen über die Führung eines Arbeitszeitkontos. Da Neumann viel eingesetzt wurde, ist das Konto zum Stichtag 1.10.2022 mit 150 Plusstunden prall gefüllt.

 

Plusstunden sind ein Darlehen an den Arbeitgeber

 

Die tariflichen oder vertraglichen Regelungen enthalten bei diesen Kurzzeitkonten nie eine Regelung für eine Verzinsung. Wer einen Berg Plusstunden vor sich herschiebt, gibt dem Arbeitgeber damit ein zinsloses Darlehen.

 

Stundensaldo durch Erhöhung mehr wert

 

Die Verleihfirma meint, wegen Erhöhung des Stundenlohnes sei das in Stunden geführte Arbeitszeitkonto jetzt mehr wert. Zum Verständnis: die Stunden, die Neumann nicht ausbezahlt wurden, sondern auf das Arbeitszeitkonto gingen, wurden angespart, als der Stundenlohn noch 10,45 € betrug. Wenn Neumann also z.B. im September nicht gearbeitet und die 150 Stunden abgefeiert hätte, enthielte die Lohnabrechnung dann 1.567,50 € (150 x 10,45 €).

Das gleiche hätte nach der Erhöhung des Mindestlohns, also einem Abfeiern im Oktober oder in einem späteren Monat, 1.800 € gebracht (150 x 12 €). Die Verleihfirma wollte diese Wertsteigerung nicht tragen. Neumann hatte in dem Zeitraum gar nichts abgefeiert, und die Verleihfirma hat dann im Oktober einfach die Differenz zwischen1.800 € und 1.567,50 €, also 232,50 €, vom Bruttolohn abgezogen.

 

Unterschied zwischen Wertkonto und Stundenkonto

 

Geht das? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich das Stundenkonto und die Vereinbarungen dazu ansehen. Es gibt zwei Arten von Arbeitszeitkonten, Kurzzeit-oder Langzeitkonten genannt. Letztere werden schon mal in Geld statt in Stunden geführt. Das hieße, wenn Neumann Sonderzahlungen oder einen bestimmten Monatsbetrag vom Gehalt auf das Konto buchen lassen würde, um einmal eine längere Auszeit zu nehmen, dann stünde der Geldbetrag fest und auch nur in dem Umfang könnte er Stunden abfeiern.

 

Beispiel: 5.000 € im Langzeitkonto mit 15 € Stundenlohn angespart, ergäben 333,33 Stunden. Stiege der Stundenlohn dann auf 16 €, wären es nur noch 312,50 Stunden.

 

Verleihfirma zieht Werterhöhung vom Bruttolohn ab

 

Neumann konnte sich nicht über die Oktoberabrechnung freuen. In dieser Abrechnung kam der neue Mindestlohn gar nicht bei ihm an. Die Stunden, die er gearbeitet hatte, wurden darin zwar mit 12 € abgerechnet, durch die Minusbuchung von 232,50 € erreichte er aber faktisch nicht den Mindestlohn.

 

Vergebliche Geltendmachung durch IG Metall

 

Nach Sinn und Zweck der Mindestlohnregelungen soll das Geld auch bei den Arbeitnehmern*innen ankommen. Die Berechnung der Verleihfirma hat zur Folge, dass Neumann und seine Kolleginnen und Kollegen im Oktober noch nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn bekommen. Die Firma antwortet aber, das sei so richtig.

 

Neumann ringt mit sich, ob er klagen soll, und entscheidet sich dafür.

 

Klage vor dem Arbeitsgericht

 

Manche Arbeitsverträge oder Tarifverträge regeln, wie Stunden in die Arbeitszeitkonten eingestellt werden, oder auch, zu welchem Betrag sie auszuzahlen sind. Dazu enthält der für Neumann geltende Manteltarifvertragt die Prämisse, dass die Stunden abgefeiert werden sollen. Es besteht aber auch eine Auszahlmöglichkeit. Dazu ist erläutert, dass die Zulagen und Zuschläge jeweils in dem Monat gezahlt werden, in dem sie anfallen und sodann die Klausel, wonach die Auszahlung in Höhe der tariflichen Eingangsstufe ohne Berücksichtigung von Zuschlägen erfolgt.

 

Die Klausel ist unserer Meinung nach so zu verstehen: Es ist ein reines Stundenkonto und diese Stunden liegen der Freistellung zugrunde. Eine eventuelle Auszahlung hat in tariflicher Höhe zu erfolgen und nicht zu dem Wert, den die Ansparung ursprünglich hatte. So wurde auch die Klage begründet.

 

Arbeitgeber lässt es nicht auf Termin ankommen

 

Das Gericht hat Gütetermin anberaumt, doch kurz vorher erhielten wir Nachricht, dass der streitige Betrag nachbezahlt würde.

 

Das ist erfreulich für Neumann, aber er ahnt auch, dass der Rechtsstreit wohl lautlos begraben werden soll, zu Lasten derjenigen, die sich nicht gewehrt haben.

Das sagen wir dazu:

Grundsätzlich gilt: Wer sich wehren will, muss Ausschluss-oder Verfallfristen beachten, die sich aus Tarifverträgen oder auch aus dem individuellen Arbeitsvertrag ergeben können.

Für eine Forderung aus dem letzten Oktober könnten die schon abgelaufen sein. In einem Fall wie diesem, wenn im Oktober durch die Buchung von Minusbeträgen nicht der Mindestlohn gezahlt wurde, könnte das ein Tor sein, doch noch zu seinem Recht zu kommen. Denn Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn verfallen nicht durch Ausschlussfristen.