Schon sehr schnell war beabsichtigt, alle Türen zu schließen. © Adobe Stock: Robert Kneschke
Schon sehr schnell war beabsichtigt, alle Türen zu schließen. © Adobe Stock: Robert Kneschke

Vier Klagen, alle vier Prozesse gewonnen – die Kläger wird es gefreut haben. Der DGB Rechtsschutz Hameln verschaffte ihnen einen Nachteilsausgleich in Form einer Abfindung, obwohl ihnen dieser nach dem Sozialplan überhaupt nicht zugestanden hätte.

 

Doch erst einmal von Beginn an

 

Die Beschäftigten waren zum Teil schon über 50 Jahre alt und gehörten dem Unternehmen mehr als 10 Jahre an. Mitte Dezember 2022 teilte das Unternehmen dem Betriebsrat mit, es sei beabsichtigt, den gesamten Geschäftsbetrieb bis 30. Juni 2023 stillzulegen. Diese Information enthielt keine Forderung an den Betriebsrat, Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs oder Sozialplanes aufzunehmen.

 

Unmittelbar darauf sprach das Unternehmen Kündigungen zum Ablauf des Monats April 2023 aus. Der von dem Betriebsrat mandatierte Rechtsanwalt verlangte kurz vor Weihnachten 2022 gegenüber dem Arbeitgeber die Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich bzw. Sozialplan. Dieser wurde Mitte Februar 2023 abgeschlossen, sah aber für Arbeitnehmer:innen, deren Arbeitsverhältnis vor Mai 2023 beendet wird, keine Abfindungsansprüche vor.

 

In den eingeleiteten Kündigungsschutzprozessen kam es auf Grund der Anschlussbeschäftigung der Betroffenen zu keinem gerichtlichen Urteil. Die Parteien stritten nur noch um die Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG.

 

§ 113 BetrVG lautet:

 

(1) Weicht der Unternehmer von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, so können Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, den Arbeitgeber zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen; § 10 des Kündigungsschutzgesetzes gilt entsprechend.

 

(2) Erleiden Arbeitnehmer infolge einer Abweichung nach Absatz 1 andere wirtschaftliche Nachteile, so hat der Unternehmer diese Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen.

 

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.

 

Für den Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsanspruchs sollte es hier vor allem auf Absatz 3 dieser Vorschrift ankommen; denn der Arbeitgeber hatte nicht versucht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu vereinbaren. Die Berechnung der Abfindung war anschließend nach Abs. 1 in Anlehnung an das Kündigungsschutzgesetz vorzunehmen.

 

Die Stilllegung des Betriebes hatte schon bekommen

 

Das Arbeitsgericht Hameln sprach den Klägern einen Nachteilsausgleich zu. Seiner Auffassung nach waren die Voraussetzungen nach § 113 Abs. 1, Abs. 3 BetrVG dem Grunde nach gegeben.

 

Die Beklagte hatte hier die beabsichtigte Betriebsänderung (Stilllegung des Betriebes) begonnen, indem sie den betroffenen Arbeitnehmer:innen gegenüber Kündigungen aussprach. Der Arbeitgeber führt nämlich eine Betriebsänderung dann durch, wenn er mit ihr beginnt und vollendete, unumkehrbare Tatsachen schafft, so das Gericht.

 

Das ist insbesondere bereits gegeben, wenn der Arbeitgeber - wie hier - Kündigungen ausspricht, ohne zuvor einen Interessenausgleich mit dem bei ihm bestehenden Betriebsrat versucht zu haben. Die Beklagte habe erst nach Aufforderung des Betriebsrates und nach Ausspruch der Kündigungen gegenüber einer erheblichen Anzahl von Arbeitnehmer:innen die Verhandlungen über einen Interessenausgleich bzw. Sozialplan aufgenommen und diesen erst im Februar 2023 abgeschlossen.

 

Die Beklagte wurde zur Zahlung einer Abfindung verurteilt

 

Hinsichtlich der Höhe der Abfindung gelten nach § 113 Abs. 1 BetrVG die Vorschriften des § 10 KSchG entsprechend.

 

Darin heißt es:

 

(1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen.

 

(2) Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat.

 

(3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2), an Geld und Sachbezügen zusteht.

 

§ 10 KSchG räumt dem Gericht Ermessen ein

 

Diesen Rahmen schöpfte das Arbeitsgericht nicht aus.

 

Innerhalb des Rahmens des § 10 KSchG sind wesentliche Faktoren bei der Bemessung der Abfindung insbesondere das Alter, die Betriebszugehörigkeit und die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Unter Berücksichtigung dieser Umstände setzt das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden, wertenden Betrachtung die Abfindung ihrer Höhe nach fest.

 

Einer der Kläger war bereits über 50 Jahre alt und gehörte dem Unternehmen bereits über 10 Jahre an. Bei ihm bezogen die Richter:innen in die Überlegungen ein, dass er schon einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte. § 113 Abs. 1 bzw. Abs. 3 BetrVG habe zwar auch Sanktionscharakter, meint das Gericht, war in diesem Fall aber der Ansicht, dass eine geringere Abfindung einen angemessenen Nachteilsausgleich für den Kläger darstellt.

 

Allein die Höhe dieses ausgeurteilten Betrages stellte einen kleinen Wehrmutstropfen dar. Das Gericht sprach diesem Kläger nur ein einziges Bruttomonatsgehalt als Abfindung zu. Die Überlegungen hinsichtlich der Berechnung des Abfindungsanspruchs der anderen Kläger:innen waren im Übrigen nicht anders.

 

Nun geht es weiter

 

Dass es einen Nachteilsausgleich geben soll, erfreut den Prozessbevollmächtigten der DGB Rechtsschutz GmbH ebenso wie die rechtsschutzgewährende IG Metall. Die Höhe des Betrages will man aber so nicht stehen lassen. Ein Brutto-Monatsgehalt wird allgemein für zu niedrig angesehen. Eine wirklich nachvollziehbare Begründung für die Berechnung gibt das Gericht auch nicht ab.

 

 

Deshalb wird Berufung eingelegt. Mal abwarten, was das Landesarbeitsgericht meint.