Gewährt ein Arbeitgeber wegen betriebsbedingter Kündigungen eine tarifliche Leistung als finanzielle Absicherung bis zum Anspruch auf gesetzliche Rente, ist das keine Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer, die einen vorgezogenen Rentenanspruch haben.

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TV SozSich). Der Arbeitgeber hatte die Zahlung dieser tariflichen Leistung – wie im Tarifvertrag vorgesehen – zum 1. Juni 2009 eingestellt, weil der 1949 geborene, schwerbehinderte Kläger seit diesem Zeitpunkt Anspruch auf gesetzliche Altersrente hatte.

Der Kläger war der Ansicht, diese Regelung verletze das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 2 AGG. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hatte gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen; dagegen ist der Kläger mit seiner auf grundsätzliche Bedeutung gestützten Nichtzulassungsbeschwerde vorgegangen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Vorinstanzen bestätigt. Die Erfurter Richter haben eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters oder der Behinderung abgelehnt. Die Regelung in § 8 Ziff. 1 Buchst. c Alt. 1 TV SozSich knüpfe nicht unmittelbar an die Behinderteneigenschaft oder an das Alter an, sondern an die Voraussetzungen für den Bezug einer vorgezogenen Altersrente und damit auch für die vorzeitige Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente wegen Schwerbehinderung. Anspruch auf vorzeitige Inanspruchnahme von Altersrente haben nicht nur Schwerbehinderte (§ 37/§ 236a SGB VI). Altersrente können beispielsweise auch langjährig Versicherte vorzeitig in Anspruch nehmen, ebenso arbeitslose Arbeitnehmer und solche in Altersteilzeit, zudem gebe es weitere Fälle vorgezogener Altersrente. Damit knüpft die Regelung nicht ausdrücklich an das Alter und/oder die Behinderung des Arbeitnehmers an.

Die Überbrückungsbeihilfe ist laut BAG eine Sonderleistung, durch die ein während eines Arbeitsverhältnisses oder der Arbeitslosigkeit auftretender wirtschaftlicher Bedarf älterer Arbeitnehmer oder Arbeitsloser überbrückt werden soll. Sie soll zweckgemäß nur solange gewährt werden, wie der Lebensunterhalt nicht durch den Anspruch auf eine gesetzliche Altersrente gesichert ist. Deshalb ist es erforderlich, diese Zahlung auch dann nicht mehr zu gewähren, wenn der Rentenberechtigte die gesetzliche Altersrente nicht beantragt. Die tarifliche Regelung stelle also nicht auf den Willen des Arbeitnehmers ab, dem Arbeitsmarkt weiter zur Verfügung zu stehen und deshalb keinen Rentenantrag zu stellen, sondern auf den nach Einschätzung der Tarifvertragsparteien mit Beginn des Rentenanspruchs nicht mehr gegebenen finanziellen Sicherungsbedarf.

Damit wäre die vom Kläger angenommene besondere Benachteiligung rentenberechtigter Behinderter ebenso wie die darin nach seiner Auffassung liegende mittelbare Altersdifferenzierung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels wären auch erforderlich und angemessen.

Matthias Bauer:

Es ist zunächst sehr gut nachvollziehbar, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer in dem Tarifwerk eine Gerechtigkeitslücke sieht, die seine Planung für die Altersversorgung  ungünstiger tangieren kann, als das bei einem nicht behinderten Menschen der Fall ist. Der Anspruch auf das Überbrückungsgeld entsteht nämlich nach betriebsbedingten Entlassungen und in der Praxis meist wenige Jahre vor dem frühestmöglichen Zugang zur gesetzlichen Rente. Da kann es als Ungerechtigkeit aufgefasst werden, wenn der Nichtbehinderte das Geld bis zu seiner späteren Rentenzugangsberechtigung erhält und die Zeit bis dahin durch Beiträge rentensteigernd nutzen kann, während der behinderte Mensch auf  die Möglichkeit des vorzeitigeren Zugangs verwiesen wird und die Zahlungen mit diesem fiktiven Datum eingestellt werden.

Obwohl das Bundesarbeitsgericht diese Frage zu dem Tarifvertrag bereits entschieden (BAG v. 30.3.200, 6 AZR 645/98 und 18.5.06, 6 AZR 631/05) und die 2. Instanz die Revision an das BAG daher nicht zugelassen hatte, unternahm der Kläger den Versuch über eine Beschwerde an das BAG ins Revisionsverfahren zu gelangen. Ohne Erfolg. In einer sehr ausführlichen Begründung erläutert das BAG noch einmal seine bisherige Rechtsprechung und prüft dann sehr intensiv das Argument des Klägers, der Tarifvertrag diskriminiere ihn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wegen des Alters und der Behinderung.
Eine unmittelbare Diskriminierung sei nicht anzunehmen, weil der Anknüpfungspunkt für die unterschiedliche Behandlung weder das Alter noch die Behinderung sei, sondern die Rentenzugangsoptionen. Mittelbare Diskriminierung anzunehmen scheitere daran, dass die Personengruppen (Behinderte – Nichtbehinderte) in dieser rechtlichen Lage gar nicht vergleichbar seien, was aber Voraussetzung für eine rechtswidrige Ungleichbehandlung wäre. Das Recht zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente sei nicht auf  schwerbehinderte Menschen beschränkt. Die sozialversicherungsrechtliche Altersgrenze sei ein „neutrales“ Kriterium, so dass eine Diskriminierung ausscheide. Das AG prüft auch, ob die Zielsetzung des Tarifvertrags angemessen und mit Blick auf den Zweck der finanziellen Absicherung bis zur Sicherung durch die gesetzliche Rente erforderlich ist. Es bejaht auch dies unter Bezugnahme auf eine Vielzahl von Entscheidungen des EuGH.

Das BAG wollte seine noch junge Rechtsprechung zu dieser Problematik nicht revidieren und die Sache auch nicht dem EuGH zur Entscheidung über eine eventuelle Europarechtswidrigkeit des Tarifvertrags vorlegen. Es sieht sich von der Rechtsprechung des EuGH bestätigt. Weiteren Versuchen von behinderten Arbeitnehmern, die in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, dürfte damit der Boden entzogen sein. Zwar kann auch ein Instanzgericht dem EuGH eine Sache zur Prüfung auf die Vereinbarkeit von Tarifrecht mit Europarechtsnormen vorlegen, was nach diesem Beschluss des BAG aber eher unwahrscheinlich ist.