Für Fahrer eines Müllfahrzeuges ist eine Fahrt auf steilen Bergstraßen im Schnee mit großen Risiken behaftet. © Adobe Stock: Ilya
Für Fahrer eines Müllfahrzeuges ist eine Fahrt auf steilen Bergstraßen im Schnee mit großen Risiken behaftet. © Adobe Stock: Ilya

Als LKW-Fahrer sammelte der vom Rechtsschutzbüro Freiburg vertretene Kläger Sperrmüll für seinen Arbeitgeber im Münstertal im Schwarzwald ein. Eine Fahrt im Winter 2021 wurde ihm zum Verhängnis.

 

Der Mann unterbrach die betriebliche Fahrt für eine private Müllentsorgung

 

Der Arbeitgeber warf dem Kläger vor, eine dienstlich angeordnete Fahrt privat unterbrochen zu haben, um bei einer Privatperson in Abweichung vom geplanten Weg Sperrmüll abzuholen. Er sei dabei von der ihm zugewiesenen Fahrstrecke abgewichen. Hinzu komme, dass er eine schmale, steile Bergstraße trotz eines Verbotsschildes befahren habe. Angesichts des heftigen Schneefalles sowie der stark abschüssigen Strecke hätte er zumindest Schneeketten aufziehen müssen.

 

Das Müllfahrzeug sei ins Rutschen gekommen und schließlich von der Fahrbahn auf einem Wiesengrundstuck gelandet, wo es sich überschlagen habe. Der LKW sei dabei vollständig zerstört worden, ebenso die Leitplanke, ein Telefonmast und der Weidezaun.

 

Der Unfall stehe nicht im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit des Klägers. Der Mitarbeiter habe zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich gehandelt. Der Kläger müsse dem Arbeitgeber den dadurch entstandenen Schaden ich Höhe von 55.000 € ersetzen.

 

Da kam Einiges zusammen

 

Den Kündigungsschutzprozess hatte der Mann bereits verloren. Der Arbeitsplatz war weg. Die Zahlung des geforderten Betrages würde ihn in den Ruin treiben. Sein Prozessbevollmächtigter Joachim Duffner vom Freiburger Rechtsschutzbüro konnte im arbeitsgerichtlichen Verfahren das Schlimmste abwenden.

 

Das Arbeitsgericht bestätigte entgegen der Auffassung des Arbeitgebers den Zusammenhang der Unglücksfahrt mit der beruflichen Tätigkeit und reduzierte den vom Kläger im Wege des Schadenersatzes zu zahlenden Betrag auf 2.500 €.

 

Ein Anspruch aus vorsätzlich rechtswidriger Tat besteht nicht

 

Die Beklagte könne den Kläger nur auf Grund fahrlässigen Handelns in Regress nehmen, so das Arbeitsgericht.

 

Erfülle ein*e Arbeitnehmer*in die Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag schlecht oder verletze er*sie eine Nebenpflicht, sei der daraus entstehende Schaden zu ersetzen.

 

Sofern ein Schaden bei der Verrichtung einer betrieblichen Tätigkeit eintrete, würden die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung greifen. Danach sei es unbillig, wenn bei leichtester Fahrlässigkeit eine Haftung für den vollen Schaden bestehe; denn der Arbeitgeber stelle seinen Beschäftigten häufig Arbeitsmaterial von hohem Wert für die Arbeit zur Verfügung. Dessen Beschädigung könne zu hohen Schadensersatzforderungen führen. Der gewöhnliche Arbeitslohn reiche dazu nicht aus.

 

Die Rechtsprechung entwickelte Grundsätze für die Arbeitnehmerhaftung

 

Das Bundesarbeitsgericht habe daher Grundsätze entwickelt, wonach Beschäftigte bei betrieblich veranlasster Tätigkeit vorsätzlich verursachte Schäden in vollem Umfang tragen müssten, bei leichtester Fahrlässigkeit hafteten sie demgegenüber nicht. Im Fall einer normalen Fahrlässigkeit sei der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber zu verteilen. Hinsichtlich des Umfangs müsse eine Abwägung der Gesamtumstände erfolgen, die sich nach dem Anlass des Schadens, den Schadensfolgen sowie Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten richteten.

 

Bestimmte Gefahren einer Tätigkeit seien ebenso zu berücksichtigen wie die Schadenshöhe, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes Risiko und auch eine Risikodeckung durch eine Versicherung.        

 

Hinzu kämen Aspekte wie die Stellung der Betroffenen im Betrieb, die Höhe der Vergütung oder auch eine etwaige Risikoprämie. Schließlich seien die persönlichen Verhältnisse der Beschäftigten, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das bisherige Verhalten von Bedeutung.

 

Grob fahrlässig handele, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletze und unbeachtet lasse, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.

 

Das Gericht bestätigt die betriebliche Tätigkeit

 

Der Unfall habe sich während der betrieblichen Tätigkeit ereignet. Betrieblich veranlasst sei eine Tätigkeit, die vom oder für den Betrieb übertragen wurde oder die im Interesse des Betriebes ausgeführt werde, in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehe und in diesem Sinne betriebsbezogen sei. Objektiv betrachtet müsse aus Sicht des Schädigers ein Handeln im Betriebsinteresse vorliegen.

 

Das eigenmächtige Verlassen des geplanten Weges durch den Kläger sei nicht zwingend als rechtlich wesentliche Ursache für den Unfall zu werten. Der Unfall hätte sich – wenn auch nicht in der exakt selben Art – bei den herrschenden Wetterverhältnissen auch an anderer Stelle ereignen können.

 

Der betriebliche Charakter einer Tätigkeit gehe nicht dadurch verloren, dass eine Pflichtverletzung vorliege. Keine betriebliche Tätigkeit sei aber beispielsweise die Nutzung eines Firmen-Pkw, der nicht zu privaten Zwecken überlassen wurde. Das Merkmal der betrieblichen Veranlassung solle sicherstellen, dass der Arbeitgeber nicht mit dem allgemeinen Lebensrisiko seiner Beschäftigten belastet werde.

 

Der Kläger unterlag einer Fehleinschätzung

 

Der Kläger habe angesichts seiner langjährigen Erfahrung erkennen können, dass das Befahren der stark abschüssigen, glatten Straße eine erhebliche Unfallgefahr berge. Nach eingehenden Aussagen hätte es auch nicht mehr als 5 Minuten gedauert, die Schneeketten aufzuziehen. Stattdessen habe der Kläger darauf vertraut, dass das „schon gut gehen werde“. Dies habe sich als Fehleinschätzung erwiesen.

 

Dem Kläger könne jedoch keine grobe Fahrlässigkeit oder gar bedingter Vorsatz vorgeworfen werden. Er habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen nicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Der Kläger habe zwar ein Verbotsschild missachtet. Generell sei auf der entsprechenden Strecke laut Auskunft der entsprechenden Behörde jedoch eine Ausnahmegenehmigung für ein Müllfahrzeug nicht erforderlich. Dies dürfe die Strecke befahren.

 

Trotz Unterbrechung blieb es bei der betrieblichen Tätigkeit

 

Der Unfall habe sich während einer Fahrt des Klägers mit dem Müllfahrzeug der Beklagten ereignet. Der Kläger hätte die Aufgabe gehabt, das Fahrzeug zu führen und auf diese Weise bei der von der Beklagten übernommenen Verpflichtung im Bereich der Müllentsorgung mitzuwirken. Dazu habe er den Müll privater Haushalte im Auftrag der Beklagten eingesammelt.

 

Um den Abtransport von Müll einer Privatperson sei es auch am Unfalltag gegangen. Die Einstufung als betriebliche Tätigkeit sei nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kläger seine Pflichten unabhängig vom Verschuldungsgrad verletzt habe.

 

Der Kläger habe sich an einem normalen Werktag auf einer Sperrmülltour im Münstertal gefunden und habe seine Arbeitszeit zu Fahrdiensten im Rahmen der Müllentsorgung eingesetzt. Das eigenmächtige Abweichen von der ihm übertragenen Tour stelle zwar eine Pflichtverletzung dar. Diese führe aber nicht dazu, dass die Tätigkeit als Fahrer des Müllfahrzeugs ihren betrieblichen Bezug verliere.

 

Weil es sich um eine betriebliche Tätigkeit gehandelt habe, griffen auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Haftung von Arbeitnehmer*innen.

 

Der Kläger handelte fahrlässig

 

Der Kläger habe es unterlassen, Schneeketten aufzuziehen. Er habe es billigend in Kauf genommen, dass es zu einem Unfall kommen könnte. Es handele sich dabei um einen Grad mittlerer Fahrlässigkeit. Der Kläger habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen. Der Schaden wäre bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vorhersehbar und vermeidbar gewesen.

 

Das ergebe sich zum einen daraus, dass die Straße frisch geräumt gewesen sei. Deshalb habe der Kläger keine Schneeketten aufgezogen. Hinzu sei ein gewisser Zeitdruck gekommen, weil der Kläger auch wieder seine ihm eigentlich an diesem Tag übertragene Müllentsorgungstour fortsetzen wollte. Er habe schlichtweg gehofft, den Weg, den er bereits ohne Probleme den Berg hinaufgefahren sei, wieder unfallfrei hinunter zu fahren. Die Geschwindigkeit sei angepasst gewesen, der Kläger habe auch - als er ins Rutschen gekommen sei - erfolglos versucht gegenzulenken.

 

Bei dieser Sachlage könne das Gericht nicht davon ausgehen, dass der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, also das missachtet habe, was im konkreten Fall jedem einleuchten müsse.

 

Die Aufteilung des Schadens muss zumutbar und billig sein

 

Bei der Aufteilung des Schadens müsse unter anderem berücksichtigt werden, dass der wirtschaftliche Wert des dem Kläger überlassenen Lkws einem Vielfachen seines Bruttomonatsverdienstes entspreche. Der Kläger habe auch eine Familie mit mehreren Kindern zu unterhalten.

 

Schließlich sei zu beachten, dass das Führen eines Müllfahrzeuges mit mehr als 16 t Leergewicht auf Bergstraßen im Hochschwarzwald eine gefahrgeneigte Arbeit darstelle. Selbst bei sorgfältiger Ausführung könne bei jahrelanger Fahrtätigkeit ein Verkehrsunfall aufgrund kurzer Unachtsamkeit nie ganz ausgeschlossen werden. Einen Schaden bis hin in den fünfstelligen Bereich verursache ein Unfall dann rasch.

 

Auch die Fahrzeugversicherung ist zu berücksichtigen

 

Für den Lkw gebe es eine gesetzliche Pflichtversicherung. Möglich seien eine Voll- bzw. Teilkaskoversicherung. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung spiele die tatsächlich abgeschlossene Versicherung keine Rolle, sondern nur die grundsätzliche Versicherbarkeit. Daher greife der Hinweis der Beklagten im Verfahren nicht, eine Vollkaskoversicherung sei wirtschaftlich nicht sinnvoll gewesen.

 

Es stelle für den Arbeitgeber, der eine Vielzahl von Kraftwagen einsetze, eine Frage der Kalkulation dar, ob er die durchschnittlich über Jahre hinweg einzuplanenden Schäden an seinen Fahrzeugen selbst oder durch Prämienzahlungen über die Einschaltung einer Kaskoversicherung abdecken wolle. Die Beklagte habe sich gegen eine Vollkaskoversicherung entschieden. Diese von ihr frei gewählte wirtschaftliche Entscheidung könne ihr gegenüber dem Kläger, der den Schaden verursacht habe, jedoch nicht von Vorteil gereichen.

 

Unter Berücksichtigung dessen sei der Kläger allenfalls zum Ersatz eines Schadens in Höhe eines Bruttomonatsverdienstes verpflichtet. 2500 € hielt das Gericht für angemessen und ausreichend.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg.