Hätte es keine Änderungskündigung zur Reduzierung der Arbeitszeit von 26 auf 20 Wochenarbeitsstunden gegeben, wären die elf Erzieherinnen der Kindereinrichtung in Stendal (Sachsen-Anhalt) nicht auf die Idee gekommen, sich gegen die Streichung von Urlaubsgeld und Sonderzuwendungen zu wehren – sie hatten ja selbst mit ihrer Unterschrift darauf verzichtet.

 

Vereinbarung vor Betriebsübergang

 

Erst durch die für alle Mandantinnen erfolgreich abgeschlossenen Klageverfahren gegen die Änderungskündigungen wurden Rechtssekretär Wolfgang Freitag und Teamleiter Roland Gratzer von der DGB Rechtsschutz GmbH in Stendal auf einen Passus im Vertrag zwischen altem und neuem Arbeitgeber und den Erzieherinnen aufmerksam, der sie stutzig machte. In dieser Vereinbarung, die noch vor dem Betriebsübergang an den neuen Träger geschlossen wurde, verpflichtete sich der Arbeitgeber, im Jahr nach Betriebsübernahme die gleichen Leistungen wie zuvor zu gewähren und erst nach Ablauf des ersten Jahres Urlaubsgeld und Jahressonderzuwendungen zu streichen.

 

Zweifel an Zulässigkeit

 

„Mit dieser Regelung haben die Arbeitgeber gemeint, sich an das Gesetz gehalten zu haben“, erklärt Roland Gratzer. Denn § 613a Absatz 2, Satz II BGB besagt, dass für den Arbeitnehmer nachteilige Änderungen erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Betriebsübergang durchgeführt werden dürfen. Das war auch in Stendal der Fall: Am 1. Januar 2002 übernahm der Verein Volkssolidarität, der nicht tarifgebunden war, zwei Kindereinrichtungen der tarifgebundenen Stadt und zahlte dieselben Gehälter sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Ab 2003, ein Jahr nach Betriebsübergang, wurden beiden Sonderzahlungen eingestellt. Was die Rechtssekretäre zum Nachdenken brachte, war der frühe Zeitpunkt der Ankündigung für diese Veränderung. „Wir waren sehr im Zweifel, ob das zulässig sei“, erläutert Roland Gratzer, „noch vor Beginn der Änderungssperre eine nachteilige Vereinbarung über die Zeit nach Ablauf der einjährigen Frist zu treffen.“

 

Nachträgliche Sonderzahlungen

 

Die beiden Juristen waren überrascht darüber, dass sie kein Urteil zu diesem Thema fanden und keine Rechtsprechung vom Bundesarbeitsgericht vorlag. Dennoch kamen sie zu dem Schluss, dass diese Vertragsregelung nicht zulässig war, und haben gegen die Nichtzahlung von Urlaubsgeld und Sonderzuwendungen in den Jahren 2003 und 2004 geklagt. Die Richter des Arbeitsgerichtes Stendal folgten ihrer Ansicht und stellten fest, dass Vereinbarungen während oder vor der einjährigen Sperrfrist unzulässig sind. „Der Schutzzweck des § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB fordert“, so heißt es im Urteil, „dass auch solche Vereinbarungen als unzulässig anzusehen sind, die zu einer Umgehung der einjährigen Sperrfrist führen.“

Obwohl der Arbeitgeber ein Jahr nach Betriebsübergang noch Urlaubs- und Weihnachtsgeld zahlte und damit meinte, dem Gesetz Genüge getan zu haben, hätte er erst nach Ablauf dieses Jahres eine Vereinbarung über die Einstellung der Sonderzahlungen treffen dürfen und nicht bereits weit vor dem erfolgten Betriebsübergang. Die Juristen des Büros Stendal haben sich hier als Vorreiter verdient gemacht und konnten ihren Mandantinnen zur nachträglichen Zahlung von zwei Jahren Urlaubs- und Weihnachtsgeld verhelfen. Nach den erfolgreich abgewehrten Änderungskündigungen kamen die Erzieherinnen auch in diesen Leistungsverfahren zu ihrem Recht.