Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts war erforderlich, weil der Arbeitgeber gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt hatte. Dieses Urteil hatte dem Kläger Recht gegeben.

Der Verzicht auf Maßregelungen von Streikenden

Nach dem Streik einigten sich die Tarifvertragsparteien auf folgenden Maßregelungsverzicht:
„Von arbeitsrechtlichen Maßnahmen (Abmahnungen, Entlassungen, o.ä.) aus Anlass gewerkschaftlicher Streiks … wird abgesehen, wenn sich der Teilnehmer an den Streiks im Rahmen der Regelungen für rechtmäßige Arbeitskämpfe gehalten hat."

Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts

  • Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts dient das oben zitierte Verbot von Maßregelungen allein dazu, Streikende vor Abmahnung und Kündigung zu schützen. Nicht gemeint sei dagegen gewesen, auch andere streikbedingte „Schäden“ wie wirtschaftliche Ungleichheiten oder Verdiensteinbußen miteinzubeziehen. Dies ergebe sich daraus, dass mit „oder ähnlichen Maßnahmen“ nur solche gemeint sein können, bei denen es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geht. Wirtschaftliche Nachteile seien insoweit nicht „ähnlich“.
  • Wenn von den Tarifvertragsparteien gewollt gewesen wäre, auch wirtschaftliche Nachteile einzubeziehen, hätten sie dies ebenso deutlich zum Ausdruck bringen müssen wie es beispielsweise folgende Formulierung in einer anderen Tarifauseinandersetzung tut: k:k „ Jede Maßregelung … unterbleibt …“
  • Ob eine rechtmäßige Streikbeteiligung arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses haben kann, sei mitunter streitig und werde von Arbeitsgerichten unterschiedlich beurteilt. Deshalb sei ein Verweis auf an sich Selbstverständliches gerechtfertigt. Deshalb sei die Regelung auch dann sinnvoll, wenn sie allein Maßregelungen umfasst, bei denen es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geht.


Aufgrund seiner Auslegung des Verbots von Maßregelungen kommt das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Prämie hat.

Das Urteil desLandesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.07.2016, Az: 19 Sa 629/16 gibt es hier im Volltext

Das sagen wir dazu:

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts überzeugt nicht.

  • Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abstellt, die „ähnlichen“ Maßnahmen könnten nur solche sein, die Bezug auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses haben, verkennt das Gericht, dass die Tarifvertragsparteien die in Betracht kommenden Maßregelungen dieser Art mit „Abmahnungen“ und „Entlassungen“ bereits ausdrücklich benannt haben. Deshalb müssen die Tarifvertragsparteien mit „ähnlichen“ Maßregelungen weitere, andere Sanktionsmöglichkeiten gemeint haben. Sie haben also beabsichtigt, den Maßregelungskatalog über Abmahnungen und Entlassungen hinaus zu erweitern. Wäre das nicht der Fall, wäre der Klammerzusatz „oder ähnliche“ vollkommen unnötig gewesen.
  • Gerade weil die Tarifvertragsparteien für die Erweiterung des Maßregelungskatalogs keine abschließenden Beispiele genannt haben, ist die von ihnen gewählte Formulierung nicht weniger aussagekräftig als diejenige in den vom Landesarbeitsgericht genannten Beispielen. Außerdem kann es bei der Auslegung der Klausel keine Rolle spielen, welche Formulierung andere Vertragsparteien mit möglicherweise ganz anderen Interessenlagen gewählt haben. Vielmehr wäre Ziel der Auslegung durch das Landesarbeitsgericht gewesen, unabhängig von sonstigen Formulierungen in anderen Tarifverträgen herauszufinden, welche Maßregelungen nach dem Willen gerade dieser Tarifvertragsparteien im konkret vorliegenden Fall ausgeschlossen sein sollen.
  • Das Landesarbeitsgericht verkennt zudem, dass die gesamte Klausel überflüssig wäre, wollte man sie auf Abmahnungen und Entlassungen beschränken. Da die Klausel ausdrücklich auf eine Beteiligung an Streiks im Rahmen der Regelungen für rechtmäßige Arbeitskämpfe abstellt, steht außer Zweifel, dass Maßregelungen wie Abmahnungen und Entlassungen unzulässig sind. Dass dies streitig sein kann und möglicherweise einzelne Arbeitsgerichte zu Unrecht von einer Zulässigkeit ausgehen, ändert nichts daran, dass die Maßregelung rechtswidrig ist und bleibt. Wenn aber die Rechtswidrigkeit der Maßregelung ohnedies feststeht, ist eine Klausel sinnlos, die ausschließlich rechtlich Selbstverständliches umfasst. Deshalb ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die Absicht hatten, weitergehende Regelungen zu treffen.

Aus diesen Gründen hat der Kläger einen Anspruch darauf, wegen seiner Streikteilnahme keine Nachteile zu erleiden. Der Arbeitgeber hätte also die Prämie auch an ihn auszahlen müssen.