Wer nach der Aussteuerung vom Krankengeld seinen Arbeitslosengeldanspruch durchsetzt, kann dafür an anderer Stelle Nachteile erleiden. © Adobe Stock: graphixchon
Wer nach der Aussteuerung vom Krankengeld seinen Arbeitslosengeldanspruch durchsetzt, kann dafür an anderer Stelle Nachteile erleiden. © Adobe Stock: graphixchon

Neumann arbeitet in einer Zeitarbeitsfirma, der Arbeitgeber ist Mitglied in der Tarifgemeinschaft Qualitätsorientierter Zeitarbeitsunternehmen (TQZ). § 8 des Manteltarifvertrags TQZ sieht einen Anspruch auf Jahressonderzahlung vor. Davon abhängig erhöht sich ab 2021 dieser Betrag um einen Mitgliederbonus für Gewerkschaftsmitglieder. Ab dem vierten Jahr der Beschäftigung beträgt er im Jahr 2022 insgesamt 215 € brutto.

 

Bonus für Gewerkschaftsmitglieder im Tarifvertrag

 

Gewerkschaften schließen mit Arbeitgeberverbänden Tarifverträge. Meist werden dessen Vorteile nicht nur auf die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten angewendet.

Es ist rechtlich zulässig, einige Vergünstigungen ausschließlich für Gewerkschaftsmitglieder zu vereinbaren. Dies ist hier durch die Regelung zum Mitgliederbonus erfolgt.

 

Nach Aussteuerung Arbeitslosengeld

 

Neumann musste sich nach 18 Monaten Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldbezug sodann bei der Agentur für Arbeit melden. Die Krankenkasse teilte ihm ca. drei Monate vorher mit, wann sein Anspruch auf Krankengeld ausläuft und, dass er sich dann bei der Agentur für Arbeit melden müsse.

 

Das hört sich absurd an, ist aber nach der Aussteuerung der Weg um weiter Leistung zu erhalten, wenn z.B. über einen Rentenantrag noch nicht entschieden ist und die Arbeit nicht wieder aufgenommen werden kann. Das Arbeitsverhältnis muss nicht beendet werden.

 

Neumann erhält von der Agentur für Arbeit auch wie beantragt sein Arbeitslosengeld.

 

Arbeitgeber warten ab

 

Früher haben Arbeitgeber bei längeren Krankzeiten einfach gekündigt. Sie setzten sich dann jedoch einem Kündigungsschutzprozess aus, mussten sich vom Gericht vielleicht sagen lassen, sie hätten zu früh gekündigt, und/oder es wurden Abfindungszahlungen vereinbart. Selten winkte ein Gericht eine krankheitsbedingte Kündigung glatt durch.

 

Wir erleben heute in den Büros, dass Arbeitgeber einfach abwarten und hoffen, dass sich der*die Erkrankte quasi zum Nulltarif in die Rente verabschiedet. Oder, wenn er*sie sich gesund meldet, werden daran Zweifel geäußert, Betriebsärzte eingeschaltet bzw. eine Beschäftigung einfach verweigert.

 

Auch Neumanns Arbeitgeber wartet ab.

 

 

Sonderzahlung Weihnachtsgeld

 

Wenn das Arbeitsverhältnis und sei es als Hülle noch besteht, meint Neumann, dann stünde ihm auch Weihnachtsgeld und die Erhöhung durch den Mietgliederbonus zu. § 8 des Manteltarifvertrags knüpft tatsächlich nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses an und staffelt die Sonderzahlung je nach Länge der Beschäftigung.

 

Die Protokollnotiz zu § 8 MTV

 

Der Tarifvertrag enthält am Ende Protokollnotizen. Dort findet sich unter Nr. 3 die Regelung.

 

„Die Jahressonderzahlungen gem. § 8 werden auch bei ruhendem Arbeitsverhältnis anteilig gezahlt für die Zeiten in denen ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt erzielt wurde.“

 

Kann eine Notiz am Anspruch was ändern?

 

Protokollnotiz ist hier eigenständige Regelung

 

Ja, sagt das Arbeitsgericht Aachen.

 

Mit Urteil vom 5.Juli 2022, Az 2 Ca 402/22, hat es eine eigenständige tarifliche Regelung angenommen. In der Protokollnotiz sei geregelt sei, inwieweit auch bei ruhendem Arbeitsverhältnis Sonderzahlungen zu leisten sind. Damit käme der Notiz ein eigenständiger Regelungscharakter zu.

 

Diese Regelung würde gegen Neumann sprechen, wenn denn sein Arbeitsverhältnis durch den Bezug von Arbeitslosengeld ruht.

 

Wann ruht ein Arbeitsverhältnis?

 

Von einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses ist auszugehen, wenn aus bestimmten Gründen die gegenseitigen Pflichten (Arbeits- und Lohnzahlungspflicht) ausgesetzt werden. Das kann von Gesetz wegen erfolgen, z.B. bei der Elternzeit, und es kann auch vereinbart werden, z.B. für die Dauer eines Auslandsaufenthalts.

 

Neumann hat sich mit seinem Restleistungsvermögen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt. Weder hat seine Arbeitgeberin mit ihm gesprochen, noch er mit seiner Arbeitgeberin. Eine gesetzliche Form des Ruhens liegt daher nicht vor.

 

Arbeitslosengeldbezug als Ruhen

 

Das Arbeitsgericht meint, Neumann habe mit der Beantragung des Arbeitslosengeldes und der Vorlage der Arbeitsbescheinigung an seinen Arbeitgeber zu erkennen gegeben, dass er seine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis wegen seiner krankheitsbedingten nicht nur vorrübergehenden Leistungsunfähigkeit zumindest vorläufig als beendet ansehe.

 

Die Arbeitgeberin habe mit der Erteilung der Arbeitsbescheinigung auf ihr Direktionsrecht und damit auf ihre Verfügungsmacht verzichtet. Damit seien die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert gewesen und das Arbeitsverhältnis sei zum Ruhen gebracht worden.

 

Agentur für Arbeit fragt nach leidensgerechter Beschäftigung

 

Was ist mit der Frage der Agentur für Arbeit nach einer leidensgerechten Beschäftigung?

 

Auch das ist üblich, die Agentur für Arbeit will in einem solchen Fall wissen, ob der Arbeitgeber nicht den*die Arbeitnehmer/*in auf einem anderen Arbeitsplatz, der gesundheitlich nicht ausscheidet, beschäftigen kann.

 

Die Arbeitgeberin hat sich auf den Standpunkt zurückgezogen, ihr seien die Leiden genauer nicht bekannt und hat auch nur angegeben: „nicht bekannt“. Dass es danach zwischen den Parteien keinerlei Kontakte hierüber gab, sieht das Gericht als weiteren Punkt, dass die Parteien ihre Hauptpflichten vorläufig als beendet ansahen.

 

Kein anteiliger Anspruch

 

Neumann hatte noch argumentiert, wenigstens für den Krankengeldzeitraum müsse ihm doch anteilig die Leistung zustehen. Auch hier wurde ihm die Protokollnotiz zum Verhängnis, die an das Erzielen von sozialversicherungspflichtigem Entgelt anknüpfte. Und da er im gesamten Kalenderjahr keinen Verdienst bei der Beklagte vorweisen konnte, scheiterte Neumann auch hier.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Aachen.

Das sagen wir dazu:

Dass sich so weitgreifende Regelungen in einer Protokollnotiz verstecken, die sich zudem noch ganz am Ende des Tarifvertrages befindet, darauf muss man erst mal kommen. Zumal diese Regelung inhaltlich ja ein wenig in Widerspruch steht dazu, dass im MTV gerade an den Bestand angeknüpft wird.

Weil die Berufungsgrenze nicht erreicht war, und die Berufung auch nicht gesondert zugelassen wurde, ist diese Arbeitgeberin bestätigt worden, dass sie bei langandauernder Krankheit mit Abwarten gut fährt.