Sarah Riefer, Juristin vom DGB Rechtsschutz Hamburg, verhilft IG BAU-Mitglied zu seinem 13. Monatseinkommen.
Sarah Riefer, Juristin vom DGB Rechtsschutz Hamburg, verhilft IG BAU-Mitglied zu seinem 13. Monatseinkommen.

Ein Maurer kam zu Sarah Riefer vom DGB Rechtsschutz in Hamburg. Er sah nicht ein, dass er für das Jahr 2018 keine Sonderzahlung in voller Höhe erhalten sollte.

Die maßgeblichen Regelungen

Im Arbeitsvertrag des Maurers war geregelt, dass die Tarifverträge für das Baugewerbe gelten sollen. Damit galt auch der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens für die Angestellten des Baugewerbes. Darin ist unter anderem zu lesen:

„Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens zwölf Monate (Bezugszeitraum) ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf 13. Monatseinkommen in folgender Höhe:
    ab dem Jahr 2018 das 93-fache,
    im Jahr 2020 das 103-fache
    im Jahr 2021 das 113-fache
    ab dem Jahr 2022 das 123-fache
ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohnes.
 
Durch freiwillige Betriebsvereinbarung oder, wenn kein Betriebsrat besteht, durch einzelvertragliche Vereinbarungen kann eine von Satz eins abweichende Höhe des 13. Monatseinkommens vereinbart werden, wobei ein Betrag in Höhe von 780,00 € (Mindestbetrag) nicht unterschritten werden darf.“

 
Im Betrieb des Maurers gab es keinen Betriebsrat. Deshalb schloss der Arbeitgeber aufgrund der tarifvertraglichen Öffnungsklauseln mit dem Maurer eine Vereinbarung, die (fälschlicherweise) den Namen „Betriebsvereinbarung“ trägt. Darin heißt es unter anderem:

 „Zur Sicherung der langfristigen Existenz des Unternehmens wird die GmbH von der tariflichen Verpflichtung zur Zahlung von Weihnachtsgeld entbunden, wenn die wirtschaftliche Lage dies nicht zulässt.“

Der Arbeitgeber bezahlt 13. Monatseinkommen nur teilweise.

Der tarifvertraglichen Anspruch des Maurers bestand  - unstreitig  - in Höhe von 1918,59 € brutto. Dessen ungeachtet bezahlte der Arbeitgeber zunächst gar nichts. Er berief sich auf einen „betriebswirtschaftlichen Kurzbericht zum Dezember 2018“, nach dem die wirtschaftliche Lage des Betriebs die Zahlung eines Weihnachtsgeldes im Jahr 2018 nicht zulasse.
Erst als der Maurer den vollen Betrag geltend machte, bezahlte der Arbeitgeber immerhin 780 € brutto.

Das IG Bau-Mitglied wehrt sich.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Differenzbetrag mit Hilfe der Juristin von der DGB Rechtsschutz GmbH einzuklagen.
Das Arbeitsgericht gab seiner Klage statt. Dagegen legte der Arbeitgeber Berufung zum Landesarbeitsgericht ein.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Zunächst weisen die Berufungsrichter*innen darauf hin, dass Rechtsnormen eines anwendbaren Tarifvertrages nach dem Tarifvertragsgesetz unmittelbare und zwingende Geltung hätten.
Von diesem Grundsatz abzuweichen, sei möglich, wenn dies zu einem Ergebnis führe, das für Arbeitnehmer*innen günstiger sei. Darüber hinaus komme eine Abweichung von tarifvertraglichen Regelungen nur in Betracht, soweit der Tarifvertrag selbst dies durch eine Öffnungsklausel ausdrücklich gestatte.

Der Tarifvertrag „13. Monatsgehalt“ enthalte eine solche Klausel. Danach sei in einem Betrieb ohne Betriebsrat auch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Vereinbarung möglich, die zu Ungunsten des Arbeitnehmers vom Tarifvertrag abweicht.
Aber  - so das Landesarbeitsgericht  - die Vereinbarung habe die Grenzen der Befugnis, vom Tarifvertrag abzuweichen, überschritten.

Der Tarifvertrag lasse nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich zu, bis zu einem Mindestbetrag eine abweichende Höhe des 13. Monatsgehaltes zu vereinbaren. Nicht zulässig sei jedoch, wenn die Vereinbarung den Inhalt habe, das 13. Monatsgehalt vollständig streichen zu können.

Damit verstoße die „Betriebsvereinbarung“ gegen das Tarifvertragsgesetz. Sie sei deshalb nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches nichtig.

Das Ergebnis

Der Kläger konnte sich über 1.138,59 € brutto freuen.

Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

Tarifvertragsgesetz (TVG)
§ 4 Wirkung der Rechtsnormen
(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.
(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.
(4) Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.
(5) Nach Ablauf des Tarifvertrags gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.