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Im Jahr 2020 erhielt Rossi Lohnabrechnungen für einen Bruttolohn meist um die 1.200 €, also für eine Teilzeitbeschäftigung. Er erhielt auch nur die ausgewiesenen Zahlungen. Im Monat Juli erhielt er weder eine Abrechnung noch eine Zahlung. Rossi meint, das stimme alles nicht, er hätte noch viel Geld zu bekommen, bestimmt eine Differenz von rund 20.000 € brutto.

 

Gab es ein Arbeitgeberangebot?

 

Rossi erzählt, jemand von der italienischen Betreiberfamilie habe ihn zu Hause aufgesucht und die Angelegenheit regeln wollen mit einer Zahlung von 10.000 €. Das habe er zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt, weil das viel zu wenig sei.

 

Erst mehr als drei Monate nach Ende des Arbeitsverhältnisses wendete er sich an die Gewerkschaft. Die setzte sich mit ihm hin und er hat für jeden Tag eine Stundenzahl aufgeschrieben, jedoch ohne genaue Aufstellung, wann er die Arbeit begonnen und beendet hat. Es wurde eine Differenz von über 20.000 € brutto errechnet, die zustande gekommen war durch nicht bezahlte Arbeitsstunden und Nichtgewährung von Urlaub.

 

Die Geltendmachung blieb ergebnislos, so dass Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben wurde.

 

Um die monatliche Arbeitszeit wurde gestritten

 

Rossi berief sich auf eine Arbeitszeit von mehr als 60 Stunden in der Woche. Dies wurde von der Arbeitgeberin vehement bestritten. Während des Lockdowns der Corona-Zeit sei zwar außer Haus verkauft worden, aber der Kläger sei nur mit Aushilfstätigkeiten und nur in dem Umfang, den der Vater (wie gesagt: Betreiberfamilie) auf den Arbeitszetteln aufgelistet habe.

Von einer angemessenen gütlichen Einigung wollte man nichts mehr wissen. Die Arbeitgeberin ließ sich von einem Rechtsanwalt vertreten, wie man ihn sonst vielleicht aus dem Strafrecht kennt, es wurde eine Anzeige wegen Prozessbetrug in Aussicht gestellt, sinnvolle Einigungsmöglichkeiten verworfen.

 

Befangenheitsantrag im Kammertermin

 

Da Rossi kaum Deutsch spricht und versteht, hatte der DGB Rechtsschutz die Ladung eines Dolmetschers für die italienische Sprache zum Kammertermin beantragt. Die Autorin dieses Artikels wartete mit Rossi vor dem Saal und Rossi war sehr nervös. Ein Herr vor dem Gerichtssaal, der sich beim Ansprechen als Dolmetscher vorstellte, erklärte sich bereit, Herrn Rossi über den Verfahrensverlauf dieses Termins zu informieren, und tat dies auch. Ein nicht unüblicher Vorgang, wenn nicht übersetzende Familienmitglieder den Kläger begleiten.

 

Kaum war das Verfahren aufgerufen, stellte der Rechtsanwalt, der ohne seine Partei erschienen war, einen Befangenheitsantrag gegen den Dolmetscher. Damit war die Verhandlung erst mal blockiert, denn über Befangenheitsanträge muss vorab entschieden werden. Wie soll ein Dolmetscher befangen sein? Das war dem Gericht auch nicht ganz klar, zumal Kläger und Dolmetscher sich nicht kannten. Zunächst ließ das Gericht sich vorsorglich von uns und vom Dolmetscher erläutern, was gesprochen worden war, und zog sich dann länger zur Beratung zurück. Dank Handyübersetzer konnte der immer nervöser werdende Rossi beruhigt und ihm vermittelt werden, dass es nur um den Dolmetscher ging.

 

Gericht weist Befangenheitsantrag zurück

 

Das Gericht sah keinen Ansatzpunkt, wieso der Dolmetscher befangen sein sollte, wies den Antrag zurück und verhandelte zur Sache. Die Taktik, den Termin vielleicht ganz platzen zu lassen, hatte also nicht funktioniert. Das sah sehr nach Zeitspiel aus.

 

Wegen der vielen unbezahlten Arbeitsstunden berief sich Rossi auf andere Beschäftigte, die mit ihm ganz ähnliche Arbeitszeiten gehabt hätten. Er kennt aber, wenn überhaupt, nur ihre Rufnamen. Die Beklagte behauptet diese Personen nicht zu kennen, komischerweise tragen diese aber eine Kochschürze und sind auf der Facebook-Seite des Restaurants zu finden.

 

Kein Amtsermittlungsgrundsatz

 

Natürlich weiß auch das Gericht, dass da irgendwas ganz und gar nicht stimmt. Es hat aber im arbeitsrechtlichen Verfahren nicht die Aufgabe Detektiv zu spielen. Ohne Konkretisierung der Namen, Nennung von ladungsfähigen Anschriften und konkretem Beweisantritt bringen die reinen Behauptungen von Rossi nichts.

 

Allgemeinverbindlicher Manteltarifvertrag

 

Wir hatten uns hilfsweise auf den Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe NRW berufen, der allgemeinverbindlich ist, also für jedes Arbeitsverhältnis in diesem Bereich gilt. Dieser enthält Regelungen zur monatlichen Arbeitszeit.

 

Mit langem Zeitverzug durch die Befangenheitsgeschichte, vertagte sich das Gericht und erteilte beiden Seiten die Auflage, noch einmal Stellung zu den Erörterungen zu nehmen.

 

Es wird nur ein Teilerfolg erreicht

 

Eine Einigungsbereitschaft der Gegenseite war auch im nächsten Termin nicht vorhanden. Damit musste das Gericht die Sache entscheiden. Das Arbeitsgericht urteilte, dass die Beklagte knapp 3.000 € zahlen müsse, im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Die Gerichtskosten werden dann entsprechend dem Gewinnen und Verlieren aufgeteilt.

 

Der Manteltarifvertrag regelt, dass bei einer Vollzeitstelle die monatliche Stundenzahl nicht unter 139 Stunden fallen darf. Da sich der Vortrag der Parteien so widerspreche und Rossi seiner Beweislast nicht nachkommen könne, die Beklagte aber ihrerseits die Stunden unter 139 auch nicht wirklich belegen konnte, wurde auf die tarifliche Regelung abgestellt. Diese Stunden seien zu multiplizieren mit dem Mindestlohn und nach Differenzbildung mit dem gezahlten Lohn verblieben knapp 3.000 € brutto.

 

Urlaubsabgeltungsansprüche sind verfallen

 

Urlaub hat Rossi im Arbeitsverhältnis nie bekommen. Nach jüngerer Rechtsprechung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aktiv in die Lage versetzten, den Urlaub zu nehmen und ihn eindeutig auffordern, den Urlaub zu nehmen sowie darauf hinweisen, wann er verfallen würde. Wegen dem unterbliebenem Hinweis des Arbeitgebers ist der reine Urlaubsanspruch auch nicht verfallen.

Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Geldanspruch, den Anspruch auf Urlaubsabgeltung um. Diese reine Geldforderung unterliegt jedoch den Ausschlussfristen des Manteltarifvertrags (hier § 16). Diese maximal drei Monate waren zum Zeitpunkt der Geltendmachung bereits abgelaufen.

 

Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 9. September 2022 - 5 Ca 1169/21

Das sagen wir dazu:

Immer wieder scheitern Arbeitnehmer*innen daran, dass sie zu lange damit warten, Ansprüche geltend zu machen. Dieses Fristversäumnis lässt sich nicht mehr heilen. Damit waren die Urlaubsansprüche verfallen. Die Lohnansprüche waren nur deshalb zu retten, weil der Mindestlohnanspruch diesen kurzen Ausschlussfristen nicht unterfällt. Daher hat das Gericht auch nicht den bisherigen Stundenlohn, sondern bei den noch zu bezahlenden Stunden den damals geltenden Mindestlohn zu Grunde gelegt.

 

Ein komisches Bauchgefühl bleibt bei diesem Rechtsstreit. Ob Rossi und oder sein Gegner es jetzt auf sich beruhen lassen oder Berufung einlegen, ist noch nicht bekannt.