Neumann arbeitet in einem Metallbetrieb. Kraft beidseitiger Tarifgebundenheit finden die Tarifverträge für die Metallindustrie NRW dort Anwendung. Ansprüche auf Sonderzahlungen sind im Manteltarifvertrag der Metallindustrie bzw. in Zusatztarifverträgen geregelt. Die tariflichen Sonderzahlungen hat er bisher immer genau und vollständig erhalten. Die Ansprüche stehen Beschäftigten grundsätzlich auch zu, wenn sie Entgeltfortzahlung oder auch Lohnersatzleistungen wie Krankengeld oder Verletztengeld beziehen. Nur, mittlerweile bezieht Neumann Arbeitslosengeld.
Das tarifliche Urlaubsgeld hier ist nicht an eine tatsächliche Arbeitsleistung gekoppelt, wie manche Sonderleistungen in anderen Tarif – oder Arbeitsverträgen. Ändert das die Rechtslage?
Die tarifliche Regelung zum zusätzlichen Urlaubsgeld
Die zusätzliche Urlaubsvergütung regelt § 38.2 MTV. Danach fällt als zusätzliche Urlaubsvergütung an: bei 30 Urlaubstagen je Urlaubstag 2,4 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts. Berechnungsgrundlage der zusätzlichen Urlaubsvergütung sind die festen Entgeltbestandteile des laufenden Monats zuzüglich des Monatsdurchschnitts der zu berücksichtigenden variablen Entgeltbestandteile der letzten sechs abgerechneten Monate. Mit der kompliziert klingenden Regelung soll ein gerechter monatlicher Durchschnittswert ermittelt werden, von dem dann die Berechnung des zusätzlichen Urlaubsgelds erfolgt.
Rechtfertigt Arbeitslosengeldbezug eine andere Beurteilung?
Im Betrieb, in dem Neumann arbeitet, wird das zusätzliche Urlaubsgeld zu einem Stichtag bezahlt. Die Arbeitgeberin hat die Summe ermittelt und dann Tag genau abgerechnet, die Leistung anteilig berechnet für die Tage, in denen Neumann noch Krankengeld erhielt. Sie hat also faktisch die Summe um die Zeiten der Arbeitslosigkeit gekürzt.
Es prallen zwei rechtliche Meinungen aufeinander. Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis seien suspendiert, wenn sie auf ihr Direktionsrecht verzichtet und Neumann sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Und das sei letztlich eine konkludente Ruhensvereinbarung. In einem ruhenden Arbeitsverhältnis müssten keine Sonderleistungen mehr bezahlt werden. Und, wenn die vertraglichen Hauptleistungspflichten ruhen, entstünden während dieser Zeit keine Urlaubsansprüche und damit auch kein Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld.
Neumann ist der Auffassung, er ist nach wie vor bei der Firma angestellt und nur darauf komme es an. Er klagt vor dem Arbeitsgericht Aachen (Aktenzeichen 5 Ca 3038/23) die Sonderzahlungen in der Höhe der Kürzungen ein und beruft sich auf die nachgenannte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm.
LAG Hamm bestätigt ein Ruhen
Genau für diesen Tarifvertrag wurde schon zuvor von anderen Parteien gestritten. Das LAG Hamm (Urteil vom 2.12.2021 - 5 Sa 824/21) sieht ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Dies, weil der Arbeitnehmer durch die Beantragung des Arbeitslosengeldes und Vorlage der Arbeitsbescheinigung zu erkennen gegeben habe, dass er seine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, die Erbringung der Arbeitsleistung, wegen seiner krankheitsbedingten und nicht nur vorübergehenden Leistungsunfähigkeit zumindest vorläufig als beendet ansehe. Die Arbeitgeberin habe mit Erteilung der Arbeitsbescheinigung auf ihr Direktionsrecht und damit auf ihre Verfügungsmacht über die Arbeitsleistung des Klägers verzichtet. Dadurch seien die Dienstleistungspflicht des Klägers und gleichzeitig die Vergütungspflicht der Beklagten suspendiert und das Arbeitsverhältnis zum Ruhen gebracht worden.
Was heißt für Neumann und seinen Anspruch?
Kürzung nicht beim Urlaub
Für Neumann bedeutet das aber nicht, dass er Kürzungen beim zusätzlichen Urlaubsgeld hinnehmen muss. Das LAG führt aus: obwohl also das Arbeitsverhältnis ruht, muss man das Entstehen des Urlaubsanspruchs hier getrennt sehen, da der Urlaubsanspruch nur das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt. Der Urlaubsanspruch stehe nicht unter der Bedingung, dass im Kalenderjahr Arbeitsleistung erbracht werde. Das sei auch keine unzumutbare Belastung, denn Urlaub verfällt ja auch. Durch die Verfallregeln kann keine unbegrenzte Anhäufung von Urlaubstagen stattfinden. Der Urlaubsanspruch verfällt 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres, zum Beispiel ist der Urlaub von 2021 am 31. März 2023 verfallen.
Voller tariflicher Urlaubsanspruch
Bei Fragen, was gewährt werden muss, und wie etwas gestaltet ist, muss man unterscheiden zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub (4 Wochen) und dem darüberhinausgehenden Urlaub. Der MTV gewährt z.B. 6 Wochen Urlaubsanspruch. Da könnte durchaus ein vorheriger Verfall geregelt sein. Das sieht das LAG aber nicht. Es bejaht einen sogenannten Gleichlauf. Da keine eigenständige Regelung für den übergesetzlichen Urlaub vorliegt, ist das Fazit, dass für die Arbeitgeberin eine Kürzung weder für den gesetzlichen noch den darüberhinausgehenden tariflichen Urlaubsanspruch für die Arbeitslosengeldzeit möglich ist. Im dortigen Fall war das Arbeitsverhältnis beendet und die Arbeitgeberin wurde verurteilt, den nicht verfallenen Urlaub abzugelten und auch das zusätzliche Urlaubsgeld zu zahlen.
Anspruch auf tarifliches Urlaubsgeld
Nach Zustellung unserer Klageschrift kommt Neumanns Arbeitgeberin zu dem Schluss, dass ihm die eingeklagten Beträge zustehen und sagte Zahlung mit dem nächsten Abrechnungslauf zu.
Zwischenzeitlich hat Neumann sein Geld und das Verfahren wurde beendet. Und das schöne ist, selbst wenn Neumann rückwirkend zum Rentner gemacht wird, muss er die Beträge nicht zurückzahlen, denn ein Arbeitsverhältnis endet grundsätzlich nicht von selbst und auf keinen Fall rückwirkend.
Das sagen wir dazu:
Trotz Ruhen des Arbeitsverhältnisses können Ansprüche entstehen, die nur auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses abstellen. Gibt es tarifliche Kürzungsklauseln für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis ruht, werden die Leistungen wohl nicht zustehen. Bei Kürzungsklauseln im Arbeitsvertrag sollte immer überprüft werden, ob diese nicht die Arbeitnehmenden unangemessen benachteiligen.
Das sagen wir dazu