Dass Inspekteure von Frachtschiffen weniger Geld erhalten sollten als Innendienstbeschäftigte, erschien dem Kläger nicht einleuchtend. © Adobe Stock: AS Photo Family
Dass Inspekteure von Frachtschiffen weniger Geld erhalten sollten als Innendienstbeschäftigte, erschien dem Kläger nicht einleuchtend. © Adobe Stock: AS Photo Family

Als Außendienstmitarbeiter im Wilhelmshavener Hafen führt der Kläger Inspektionsleistungen auf Frachtschiffen durch. Er misst und beprobt dabei Schiffstanks, die im Regelfall angeliefertes Rohöl oder hieraus gewonnene Produkte enthalten.

 

Über die allgemeinen Arbeitsbedingungen hatte der Arbeitgeber mit seinem Gesamtbetriebsrat (GBR) 2013 eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) getroffen. Es gab seit 2002 auch eine GBV über ein Arbeitszeitmodell im Außendienst, die Regelungen zu Zuschlägen enthält.

 

Die Firma legt der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge die GBV zugrunde

 

Bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge stellt der Arbeitgeber die Anzahl der geleisteten Stunden im Monat, auf die Mehrarbeitszuschläge entfallen, und die Anzahl der geleisteten Stunden aufgrund der besonderen Lage der Arbeitszeit einander gegenüber. Die Stunden mit den höheren Zuschlägen werden wegen der besonderen Lage der Arbeitszeit von den Stunden mit den geringeren Mehrarbeitszuschlägen abgezogen.

 

Zuschläge wegen der besonderen Lage der Arbeitszeit zahlt er danach voll aus, Mehrarbeitszuschläge nur, soweit nach dem Abzug der sonstigen zuschlagspflichtigen Stunden noch Mehrarbeitsstunden übrigbleiben. Dies kann dazu führen, dass in bestimmten Monaten die Mehrarbeitszuschläge vollständig von den höheren Zuschlägen wegen der besonderen Lage der Arbeitszeit konsumiert werden.

 

Gibt es in einem Monat mehr zuschlagspflichtige Stunden, die aufgrund der besonderen Lage der Arbeitszeit (wie Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit) als zuschlagspflichtige Stunden wegen Mehrarbeit zu verzeichnen waren, erhalten die Außendienstmitarbeiter, zu denen auch der Kläger zählt, nicht noch zusätzlich Mehrarbeitszuschläge ausgezahlt.

 

Im Anwendungsbereich der GBV Arbeitsbedingungen wird mehr gezahlt

 

Für Arbeitnehmer:innen, die in den Anwendungsbereich der GBV Arbeitsbedingungen fallen, gilt dies nicht. Hier werden Zuschläge nur dann konsumiert, wenn sie an einem individuellen Arbeitstag zusammentreffen. Insoweit regelt die GBV Arbeitsbedingungen folgendes:

 

„Treffen mehrere Zuschläge an einem individuellen Arbeitstag zusammen, so ist jeweils nur der höchste Zuschlag zu zahlen."

 

Damit war der Kläger nicht einverstanden und machte zusätzliche Mehrarbeitszuschläge geltend. Im Verfahren vertaten ihn die Jurist:innen des DGB Rechtsschutzbüros Oldenburg. Das Arbeitsgericht Wilhelmshaven hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die hiergegen vom Arbeitgeber eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg.

 

Die GBV Außendienst gilt

 

Die Beklagte berief sich im Verfahren zunächst darauf, dass die GBV Außendienst keine Anwendung finden könne. Sie habe sie mit ihrem GBR zwar abgeschlossen, es bestehe jedoch nach dem Betriebsverfassungsgesetz eine Regelungssperre, nach welcher Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein dürfen (§ 77 Abs. 2 BetrVG).

 

Dazu stellt das Gericht klar, dass Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag geregelt sind, wenn über sie ein Tarifvertrag geschlossen wurde und der Betrieb in dessen Geltungsbereich fällt. An einer dieser elementaren Voraussetzung fehle es vorliegend. Die Beklagte falle nicht unter den fachlichen Geltungsbereich des MTV Chemie. Der gelte fachlich

 

„für Betriebe und Verkaufsunternehmen der chemischen Industrie und verwandter Industrien einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenbetriebe, Forschungsstellen, Verwaltungsstellen, Auslieferungslager und Verkaufsstellen, für Chemie- und Mineralöl-Handelsunternehmen, für Unternehmen des Chemie-Anlagenbaus, für Büros und Unternehmen zur chemisch-technischen Beratung und zur Konstruktion und Instandhaltung chemischer Anlagen, für chemische Laboratorien und Untersuchungsanstalten, Zeitarbeitsunternehmen, soweit sie ihren Arbeitsschwerpunkt oder Ursprung in Unternehmen der chemischen Industrie haben, sowie für alle Betriebe, die Mitglied eines Arbeitgeberverbandes der chemischen Industrie sind."

 

Dabei nimmt MTV insbesondere auch das Produktionsgebiet

 

„Chemische Umwandlung von Kohle, Erdgas, Erdöl sowie Erdölprodukten einschließlich Destillation, Raffination, Crackung, Hydrierung, Oxidierung, Vergasung sowie Weiterverarbeitung der Umwandlungsprodukte, Transport, Umschlag und Lagerung von Erdöl und Umwandlungsprodukten"

 

in Bezug. Die Beklagte erbringt als unabhängige Inspektionsfirma Dienstleistungen und ist kein Betrieb der chemischen Industrie. Das steht für das Gericht zweifelsfrei fest. Deshalb greift auch die Regelungssperre des Betriebsverfassungsgesetzes hier nicht. Für die Beklagte ist bezeichnenderweise auch nicht die Berufsgenossenschaft Chemie, sondern die BG Handel und Waren zuständig.

 

Die Praxis der Beklagten ist betriebsvereinbarungswidrig

 

Die Auslegung der maßgeblichen Vorschrift in der einschlägigen GBV Außendienst, lässt keinen Zweifel daran, dass die Vorinstanz den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat, so das LAG. Das ergebe die Auslegung dieser Vorschrift. Dort heißt es:

 

„Einhaltung der Vertragsarbeitszeit

(…) Die Steuerung des Einsatzes der Außendienstmitarbeiter bzw. der Einsatzzeit und damit die Steuerung der Zeitkonten erfolgt durch den zuständigen Vorgesetzten. Die Betrachtung der Arbeitszeit erfolgt monatlich. Der Abrechnungszeitraum läuft vom ersten eines Monats bis zum letzten des Monats (...). Mehrarbeitszuschläge bzw. Zuschläge aufgrund der besonderen Lage der Arbeitszeit (Nach-, Sonntag- oder Feiertagarbeit) werden monatlich versetzt vergütet. Treffen mehrere Zuschläge zusammen, so ist jeweils nur ein Zuschlag und zwar der höchste zu zahlen.“

 

Die Auslegung dieser Vorschrift führt für das LAG zu dem Ergebnis, dass die von der Beklagten vorgenommene Praxis betriebsvereinbarungswidrig und damit rechtswidrig gewesen ist. Zutreffend sei die von dem Kläger vorgenommene Berechnungsweise, wonach eine Konsumierung der Mehrarbeitszuschläge nur zulässig ist, wenn diese Zuschläge mit anderen, höheren Zuschläge an einem Arbeitstag zusammentreffen.

 

Für die Auslegung der GBV kommt es zunächst auf den Wortlaut an

 

In ihrem Wortlaut gehe die GBV Außendienst von einem Zusammentreffen von Zuschlägen aus. Das sei nicht eindeutig. Das müsse der Beklagten auch zugestanden werden. Für die Berufungskammer liegt es jedoch wesentlich näher, ein Zusammentreffen im Sinne einer Kollision der Zuschläge an einem Arbeitstag zu verstehen. Andernfalls bliebe unklar, durch welche Klammer ein Zusammentreffen bestimmt werde.

 

Ziehe man Sinn und Zweck einer derartigen Zuschlagsregelung heran - nämlich durch eine besondere Vergütung Erschwernisse in Form einer zusätzlichen Vergütung auszugleichen - , sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen eine Erschwernis in Fortfall gerät, wenn an einem anderen Tag des Monats eine weitere Tätigkeit mit einer besonderen Mehrbelastung erfolgt.

 

Die Jurist:innen aus Oldenburg hatten dazu auch ein Beispiel ins Verfahren eingeführt:

 

„Wenn am 05.06. Sonntagsarbeit und Mehrarbeit geleistet wird, stellt die Sonntagsarbeit die höhere Belastung dar, sodass es billig ist, dass nur der Zuschlag für Sonntagarbeit für die am 05.06. geleisteten Stunden gezahlt wird. Wenn jedoch am 05.06. Sonntagarbeit geleistet wird und am 08.06. Mehrarbeit erfolgt, ist der Beschäftigte an beiden Tagen im besonderen Maße belastet, auch wenn die Belastung am 05.06. stärker ist als die am 08.06., sodass für beide Tage der entsprechende Zuschlag zu zahlen ist. Diese Intension missachtet die Beklagte, indem sie pauschal alle in einem Monat geleisteten Mehrarbeitsstunden addiert und diese nur durch Zahlung des entsprechenden Zuschlages honoriert, wenn innerhalb des Monats weniger Stunden vorliegen, für die die Zuschläge wegen besonderer Lage der Arbeit zu zahlen ist."

 

Auf den Punkt getroffen – so sieht es das LAG

 

Das LAG schließt sich den Ausführungen des DGB Rechtsschutzbüros Oldenburg uneingeschränkt an. Soweit die maßgebliche Regelung den monatlichen Abrechnungszeitraum hervorhebe, sei dies eine Selbstverständlichkeit und betreffe lediglich den Abrechnungszeitraum und die Fälligkeit der Vergütung. Sollte man danach immer noch Zweifel haben, dann führe nur die vom Arbeitsgericht in erster Instanz erkannte Auslegung zu einem gerechten und auch rechtmäßigen Ergebnis.

 

Bei einer anderen Auslegung gäbe es den Widerspruch, dass Außendienstmitarbeiter ohne Grund anders behandelt würden als andere Mitarbeiter:innen. Denn, wenn die Ableistung der Überstunde/Mehrarbeit unstreitig sei - die Grundvergütung bezahle die Beklagte ja -, dann sei es wenigstens ungerecht, möglicherweise sogar gleichheitswidrig, diesen Mitarbeitenden die sonst üblichen Zuschläge für Mehrarbeit zu kürzen und eine umfassende Verrechnung mit anderen Zuschlägen für andere Arbeitstage des Abrechnungsmonats vorzunehmen.

 

Das Gericht macht es deutlich

 

Es gilt folgende elementare Gerechtigkeitserwägung: Die Überstunde eines Außendienstmitarbeiters ist nicht weniger wert als die eines anderen Arbeitnehmers! So schreibt es das Gericht wörtlich ins Urteil.