Wie ein Sturz aus allen Wolken mag es dem Mann vorgekommen sein, als der Arbeitgeber trotz Vergleich nicht zahlte.© Adobe Stock: tiero
Wie ein Sturz aus allen Wolken mag es dem Mann vorgekommen sein, als der Arbeitgeber trotz Vergleich nicht zahlte.© Adobe Stock: tiero

Senta D’Onofrio, Juristin im DGB Rechtsschutzbüro Aalen, zeigt sich überrascht. In einem eigentlich ganz klaren Fall musste sie den Rechtsstreit für ihren Mandanten bis zum Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg führen. Der Arbeitgeber wollte nicht einsehen, dass sein Handeln rechtswidrig war und ließ sich zur Zahlung des vom gewerkschaftlichen Rechtsschutz geforderten Lohnes aus Annahmeverzug verurteilen.

 

Zum Hergang des Verfahrens erläutert D‘Onofrio

 

Die Weigerung des Arbeitgebers, seinem gekündigten Arbeitnehmer den Lohn aus Annahmeverzug zu bezahlen, hat sie überrascht. Der Arbeitgeber hatte am 07. Mai 2021 außerordentlich und am 11. Mai ordentlich gekündigt. Bereits zum 1. Juli 2021 hatte der Gekündigte eine neue Stelle und den Arbeitsvertrag dafür schon im Mai kurz nach Erhalt der fristlosen Kündigung unterschrieben.

 

Auf seine Kündigungsschutzklage hin schloss der Betroffene vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, mit dem sich der Arbeitgeber verpflichtete, das Arbeitsverhältnis bis zu seinem Ende ordnungsgemäß abzurechnen. Die Frage, ob der Mann bereits eine neue Stelle hat, wurde im Gerichtstermin nicht thematisiert, erklärt D‘Onofrio.

 

Trotz des kurzen Zeitraums zwischen Kündigung und neuer Stelle beharrte der Arbeitgeber darauf, dass der Kläger (noch) früher eine neue Stelle hätte aufnehmen können und auch müssen. Er hätte es dadurch böswillig unterlassen, einen anderweitigen Verdienst zu erzielen. Zudem habe er auf Aufforderung des Arbeitgebers nicht angegeben, welche Vermittlungsangebote er durch die Agentur für Arbeit erhalten habe. Auf Grund dessen sei er darüber hinaus auch seiner Auskunftspflicht nicht nachgekommen.

 

Der Mann hatte nichts falsch gemacht

 

Sowohl in erster Instanz, als auch in zweiter Instanz bestätigte das Gericht, dass kein böswillig unterlassener Verdienst anzunehmen war. Im Übrigen wäre die Arbeitgeberseite in der Beweispflicht dafür gewesen, dass ein früherer Arbeitsbeginn bei einer neuen Stelle möglich gewesen wäre, so D’Onofrio. Dass ihr Mandant seiner Auskunftspflicht nicht mehr nachkommen konnte, weil er nach so langer Zeit keine Unterlagen mehr hatte, geht nach der gerichtlichen Entscheidung ebenfalls zu Lasten der Arbeitgeberin.

 

Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte in erster Instanz schon positiv für den Kläger entschieden. Dem schließt sich das Landesarbeitsgericht nun ausdrücklich an. Nach dem Gesetz seien Verträge – und dazu gehörten auch gerichtliche Vergleiche – nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen. Dabei sei der wirkliche Wille der Vertragsparteien zu ermitteln.

 

Wende man dies auf den Streitfall an, ergebe sich im Wesentlichen der Vergleichsinhalt, den auch das Arbeitsgericht Stuttgart ermittelt habe, allerdings mit

einer Ausnahme: Auf einen tatsächlich gar nicht erzielten, nur hypothetisch erzielbaren Zwischenverdienst des Klägers komme es nach dem abgeschlossenen Vergleich nicht an.

 

Das erstinstanzliche Gericht hatte den Vergleich vorgeschlagen

 

Im früheren Kündigungsschutzprozess habe das Gericht einen Vergleichsvorschlag gemacht, nach dem keine Vergütungsansprüche mehr offen standen. Diesen Vorschlag habe die Beklagte angenommen. Der Kläger hingegen sei nicht einverstanden gewesen. So könne der Vergleich nicht abgeschlossen werden, hatte er vorgebracht. Sein Arbeitsverhältnis sei nicht bis zum Ende ordnungsgemäß abgerechnet. Er habe keinerlei Zahlungen bzw. Abrechnungen vom Arbeitgeber erhalten.

 

Der Vergleich sei daraufhin wie folgt formuliert worden:

 

„Die beklagte Partei verpflichtet sich zur Abrechnung und Auszahlung von Entgeltansprüchen an die klagende Partei, soweit dies noch nicht erfolgt sein sollte. Die Parteien sind sich darüber einig, dass eventuell auf Dritte übergegangene Ansprüche bei der Auszahlung des Nettobetrages an die klagende Partei zu berücksichtigen sind."'

 

Der Kläger wollte seine Vergütung von Beginn an sichern

 

Im Gerichtsverfahren habe der Kläger von Beginn an klar formuliert, dass seine Vergütung bis zum Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses und dem Ablauf der Kündigungsfrist sichergestellt sein sollte.

 

Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt die Annahme des Klägers zurückgewiesen, wonach es nur noch um die Höhe einer etwaigen Zahlung gehe. Das Problem hätte die Beklagte damals seit Wochen erkennen können. Es wäre für sie ein Leichtes gewesen, die Annahme des Klägers richtig zu stellen sowie von ihm zeitnah diejenigen Auskünfte über Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur zu fordern, die sie dann erst nach dem Vergleichsschluss verlangt habe.

 

Der Kläger habe daher den Vergleich nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass sein Anspruch nicht davon abhängen solle, ob er es böswillig unterlassen habe, ein zumutbares Arbeitsangebot anzunehmen.

 

Eine Böswilligkeit des Klägers lag außerdem nicht vor

 

Für die Annahme, dass der Kläger böswillig ein zumutbares Arbeitsangebot ausgeschlagen habe, bei dem er schon im Mai oder Juni ein Einkommen hätte erzielen können, sah das Landesarbeitsgericht keine Anhaltspunkte.

 

Der Kläger habe sich nicht vor der Arbeitssuche gedrückt, sondern Bewerbungen unternommen und Vorstellungsgespräche absolviert. Er habe sich durchgehend so verhalten, wie es die Agentur für Arbeit in der Zeit seiner Arbeitslosigkeit von ihm verlangt hatte und schnell eine neue Beschäftigung gefunden.

 

Das neue Arbeitsverhältnis habe noch nicht einmal zwei Monate nach der fristlosen Kündigung begonnen. Sofort nach dem Ende der ordentlichen Kündigungsfrist sei bereits ein neuer Arbeitsvertrag unterschrieben worden. Es handele sich dabei um eine Stelle, die der Ausbildung des Klägers entspreche und die ihm offensichtlich eine mehr als kurzfristige Perspektive geboten habe.

 

Der Kläger musste nicht früher beginnen

 

Irrelevant sei der Einwand der Beklagten, der Kläger hätte das neue Arbeitsverhältnis auch früher antreten können. Das müsse die Beklagte nämlich beweisen. Darlegungs- und beweispflichtig für das böswillige Unterlassen, anderweitigen Zwischenverdienst zu erzielen, sei nämlich der Arbeitgeber.

 

Nicht für – wie die Beklagte meine -, sondern gegen die Ansicht der Beklagten spreche der Umstand, dass der Kläger seine Stellensuche mit dem Makel der fristlosen Kündigung durchführen musste. Dass damit ein noch schnellerer Erfolg als der tatsächlich eingetretene wahrscheinlich gewesen wäre, sei lebensfremd.

 

Das Gericht folgte den Ausführungen des Klägers

 

Die Zeitpunkte der Meldungen des Klägers gegenüber der Arbeitsagentur hätten sich im Berufungsverfahren nachvollziehbar und glaubhaft entsprechend den Angaben des Klägers aufgeklärt. Daran bestehe für das Gericht kein Zweifel.

 

Soweit die Beklagte meine, die vom Kläger ihr gegenüber geschuldete Rücksichtnahme hätte gefordert, dass er sich trotz der gefundenen Stelle um eine Beschäftigung schon unmittelbar ab der fristlosen Kündigung hätte bemühen und gegebenenfalls sogar seine gefundene Stelle wieder hätte absagen müssen, um eine unter Umstanden für ihn weniger „passende" Stelle nur wegen deren früheren Beginns anzunehmen, verkenne sie einen wesentlichen Umstand. Sie sei es nämlich gewesen, die die Ursache für die Situation gesetzt habe, und zwar durch ihre fristlose Kündigung, die - gemäß dem unstreitigen Inhalt des früheren Vergleichs - keinen Bestand hatte.

 

Keine Rechtsvorschrift fordert einen unmittelbaren Anschlussverdienst

 

Dass der Kläger die eigenen Interessen in dem von der Beklagten geforderten Maße hinter deren Interessen stellen sollte, würde den wesentlichen Anteil der Beklagten an der Verursachung des Problems nicht angemessen würdigen. Die Beklagte sei es gewesen, die die Beschäftigung des Klägers - im Nachhinein zu Unrecht - in der Zeit ab der fristlosen Kündigung im Mai bis zum 30. Juni 2021 abgelehnt hätte und damit das Pflichtengefüge des Arbeitsverhältnisses so erschüttert habe, dass die Folgeprobleme entstanden seien.

 

Dem Kläger möge es zwar oblegen haben, die Nachteile für die Beklagte im Annahmeverzug möglichst gering zu halten. Er sei aber nicht verpflichtet gewesen, im Anschluss an die unwirksame fristlose Kündigung um jeden Preis, mit jeder denkbaren Anstrengung und unter allen Umstanden sicherzustellen, dass er einen durchgängigen Verdienst möglichst ab dem ersten Tag nach der fristlosen Kündigung hatte.

 

Die Berufsfreiheit des Grundgesetzes bietet dem Kläger Schutz

 

Zu Recht habe das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang die durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit des Klägers herausgestellt und außerdem auf den Zweck der Kündigungstrist abgehoben.

 

Eine Auskunftspflicht des Klägers über etwaige Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur hätte die Beklagte im Übrigen schon im Kündigungsschutzprozess zeitnah geltend machen können. Das habe sie nicht getan, obwohl es zumutbar und möglich gewesen wäre. Dass der Kläger entsprechende Angaben inzwischen auf Grund des eingetretenen Zeitablaufs nicht mehr machen könne, müsse der Kläger nicht vertreten.

 

Langes Streiten um eigentlich Selbstverständliches – wichtig, dass der Kläger dabei so gut vertreten war!