In der Probezeit arbeitsunfähig erkrankt und gleich gekündigt – ganz so leicht darf sich der Arbeitgeber das nicht machen. © Adobe Stock: Gina Sanders
In der Probezeit arbeitsunfähig erkrankt und gleich gekündigt – ganz so leicht darf sich der Arbeitgeber das nicht machen. © Adobe Stock: Gina Sanders

Der 52-jährige Zerspanungsmechaniker befand sich noch in der Probezeit als er arbeitsunfähig erkrankte. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis noch vor Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung. Vergütung zahlte er nur bis zum Kündigungsdatum.

 

Die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Hildesheim erhoben Klage beim Arbeitsgericht. Dem Kläger stehe die Entgeltfortzahlung für die gesamten sechs Wochen trotz der vorherigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu, begründeten sie den Klageantrag auf Zahlung von 2.000 € brutto.

 

Die Krankenkasse zahlte nicht

 

Der Gekündigte hatte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zunächst bei seiner Krankenkasse Krankengeld beantragt. Diese lehnte ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, es bestehe auch dann ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn der Arbeitgeber wegen der Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des sechs Wochenzeitraumes kündige. Da der Kläger die Kündigung während seiner Arbeitsunfähigkeit erhalten habe, könne diese sehr wohl Anlass für die Kündigung gewesen sein. Krankengeld könne der Mann deshalb erst nach Ablauf von sechs Wochen erhalten.

 

Im Prozess brachte der Arbeitgeber vor, Anlass der Kündigung sei nicht die Erkrankung des Mitarbeiters gewesen. Der Mann habe mangelhafte Leistungen und Arbeitsergebnisse erbracht. Bereits ab Beginn des Arbeitsverhältnisses sei der Kläger umfangreich von seinem Vorgesetzten sowie weiteren Mitarbeitern an diversen CNC-Fräsmaschinen eingearbeitet worden.              

 

Er habe jedoch sehr unkonzentriert und flüchtig gearbeitet. Wiederholt seien ihm Fehler unterlaufen. Überdies habe er durch fehlerhafte Bedienung ein wertvolles Geräteteil beschädigt. Der daraus resultierende Schaden habe sich auf über 2.000 € belaufen. Auch gegenüber vergleichbaren Mitarbeiter*innen seien seine Arbeitsergebnisse deutlich minderwertiger gewesen. Er habe die Zeitvorgaben nicht eingehalten. In einem persönlichen Gespräch habe der Kläger selbst geäußert, für die Arbeit nicht geeignet zu sein und kündigen zu wollen. Einen anderen Arbeitsplatz habe er mit der Begründung abgelehnt, dieser sei ihm zu schmutzig.

 

§ 8 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz steht dem Kläger zur Seite

 

Das Arbeitsgericht Hildesheim sprach dem Kläger die offene Entgeltfortzahlung bis zum Ablauf von sechs Wochen zu. Wer ohne eigenes Verschulden durch die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert sei, habe während des Bestands des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis zur Dauer von sechs Wochen. Voraussetzung sei der Bestand des Arbeitsverhältnisses und darüber hinaus die Erfüllung einer Wartezeit von vier Wochen.

 

Regelmäßig ende der Entgeltfortzahlungsanspruch auch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Das Gesetz durchbreche diesen Grundsatz jedoch durch § 8 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz. Danach wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. In diesem Fall behalte der*die Arbeitnehmer*in den Anspruch auf die sechswöchige Entgeltfortzahlung. 

 

Auf die objektive Ursache kommt es an

 

Der Arbeitgeber kündige das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit eine wesentliche Bedingung der Kündigung sei. Es komme auf die objektive Ursache an. Das Motiv der Kündigung spiele keine Rolle. Maßgebend seien die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung.

 

Den Begriff „aus Anlass“ müsse man weit auslegen. Es genüge, wenn die Arbeitsunfähigkeit für die Kündigung eine objektive Ursache und wesentliche Bedingung gewesen sei und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben habe. Beweisen müsse das der*die Arbeitnehmer*in. Habe der Arbeitgeber in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit gekündigt, spreche der Anscheinsbeweis zugunsten des*der Gekündigten.

 

Der Arbeitgeber muss den Anscheinsbeweis erschüttern

 

Dann sei es zunächst Sache des Arbeitgebers, diesen Anscheinsbeweis dadurch zu erschüttern, dass nicht die angezeigte Arbeitsunfähigkeit, sondern andere Gründe zum Ausspruch der Kündigung führten.

 

Die Arbeitsunfähigkeit müsse dabei nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein, sondern nur Anlass für deren Ausspruch. Sie müsste daher den Kündigungsentschluss als solchen wesentlich beeinflusst haben.

 

Der Kläger habe den notwendigen Anscheinsbeweis dafür erbracht, dass die Kündigung der Beklagten aus Anlass seiner Erkrankung erfolgte. Der zeitliche Zusammenhang der Kündigung mit der Anzeige der Arbeitsunfähigkeit stehe fest.

 

Die Beklagte habe diesen Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Zwar habe sie auf die mangelhaften Leistungen und Arbeitsergebnisse des Klägers verwiesen sowie auf dessen unkonzentriertes und flüchtiges Arbeiten trotz ausreichender Einarbeitung.

 

Die Kündigung kam zu spät

 

Ob diese Angaben der Beklagten zutreffend seien, könne jedoch offenbleiben. Hätte man den Kläger für untauglich gehalten, wäre es naheliegend gewesen, den Kläger schon unmittelbar nach dem Gespräch über dessen fehlende Tauglichkeit zu kündigen. Denn, wenn ausschließlich die schlechte Leistung des Klägers den Kündigungsentschluss herbeigeführt hätte, sei überhaupt kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte mit dem Ausspruch der Kündigung noch abwarten wollte.

 

Trotz fehlenden Interesses an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses habe die Beklagte abgewartet bis der Kläger erkrankt sei. Dieser Umstand spreche dafür, dass die Beklagte ihren endgültigen Kündigungsentschluss aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Klägers getroffen habe. Es spiele keine Rolle, dass zumindest teilweise auch Leistungsdefizite des Klägers Motiv gewesen seien.

 

Zwar sei es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn ein Arbeitgeber sich vor Ausspruch einer Kündigung noch ein wenig Bedenkzeit nehme. Ob die Beklagte sich vorliegend überhaupt eine Bedenkzeit genommen habe und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt diese Bedenkzeit benötigt werden sollte, ergebe sich aus deren Äußerungen im Verfahren jedoch nicht.

 

Daher habe die Beklagte den vom Kläger erbrachten Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Dem Kläger stehe die geltend gemachte Entgeltfortzahlung bis zum Ablauf von sechs Wochen zu.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Abs. 3 EFZG; § 8 Abs. 1 EFZG

§ 3 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
(1) Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn
1. er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder
2. seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

(2) Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Absatzes 1 gilt auch eine Arbeitsverhinderung, die infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. Dasselbe gilt für einen Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen.

(3) Der Anspruch nach Absatz 1 entsteht nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses.

§ 8 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(1) Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. (…)