Am 24. Juni 2021 traf das Bundearbeitsgericht eine weitreichende Entscheidung zur 24-Stunden-Pflege. Die Klägerin des Verfahrens, eine Bulgarin, vertraten die Jurist*innen des Gewerkschaftlichen Centrums für Revision und Europäisches Recht des DGB Rechtsschutzes.
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Gewerkschaftlicher Rechtsschutz erstreitet Mindestlohn für die 24-Stunden-Pflege
Auf die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin hatte das Bundesarbeitsgericht das zweitinstanzliche Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (LAG) aufgehoben und die Sache zur erneuten mündlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Arbeitszeiten standen weiter im Streit
Das Landesarbeitsgericht habe den Vortrag der Beklagten zum Umfang der von der Klägerin geschuldeten und geleisteten Arbeit nicht ausreichend gewürdigt und zu Unrecht angenommen, die Beklagte könne sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die im Arbeitsvertrag vereinbarte zeitliche Begrenzung der Arbeitszeit berufen.
Im erneuten Berufungsverfahren werde sich das Landesarbeitsgericht - gegebenenfalls nach weiterem Vortrag der Beklagten und zu erhebender Beweise -unter umfassender Würdigung des beiderseitigen Tatsachenvortrags die Überzeugung bilden müssen, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst auf Veranlassung der Beklagten geleistet habe.
Die Beweiserhebung war sehr umfangreich
Das hat das Berufungsgericht inzwischen in Form einer umfassenden Zeugenvernehmung und Beweiserhebung nachgeholt. Nun steht fest, der Klägerin standen statt der gezahlten 6.600 € netto insgesamt fast 40.000 € brutto für die geleistete Arbeitszeit zu.
Für das Gericht stand fest, dass die Bulgarin für die Betreuung und Pflege der ihr anvertrauten 94-jährigen Frau in großem Umfang auch Bereitschaftszeiten leisten musste.
In der nun vorliegenden Entscheidung führt das LAG Berlin-Brandenburg dazu aus, Arbeitszeit seien nicht nur Zeiten, in denen der*die Arbeitnehmer*in Vollarbeit leiste, sondern auch Bereitschaftsdienst. Das seien Zeiten, in denen sich der*die Arbeitnehmer*in an einem von dem*der Arbeitgeber*in bestimmten Ort aufhalten müsse, um im Bedarfsfalle die Arbeit von sich aus oder auf Aufforderung aufzunehmen. Die Darlegungs- und Beweislast für die konkludente Anordnung von Arbeitszeit liege bei dem oder der Arbeitnehmer*in.
30 Stunden reichten nicht aus
Nach dem gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlungen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin im Zeitraum von Mai bis August und von Oktober bis Dezember 2015 über die im Arbeitsvertrag der Parteien ausgewiesenen 30 Arbeitsstunden wöchentlich hinaus zahlreiche weitere Arbeitsstunden zumindest in Form von Bereitschaftsdienst erbringen musste und auch erbracht hat.
Die Klägerin habe der Beklagten zur Betreuung der Seniorin grundsätzlich an sieben Tagen in der Woche für 24 Stunden zur Verfügung stehen müssen und damit zumindest Bereitschaftsdienst geleistet.
Für alle von der Klägerin geltend gemachten Arbeitstage sah das Gericht das nicht so. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht mit der ausreichenden Gewissheit fest, dass die Klägerin an allen noch im Streit stehenden 209 Arbeitstagen durchgängig Bereitschaftsdienst leisten musste.
Die Klägerin konnte nicht alle Beweise bringen
Die Kinder der Seniorin hatten sporadisch für einige Stunden bei der Betreuung der Mutter ausgeholfen, diese zu Restaurantbesuchen ausgeführt und ihr auch selbst längerdauernde Besuche abgestattet. Dabei soll die Anwesenheit der Klägerin nicht erforderlich gewesen sein.
Hier war das Problem letztlich die Beweislage, die das Gericht nicht uneingeschränkt zu Gunsten der Klägerin werten konnte.
Zum Schluss bleibt der vom gewerkschaftlichen Rechtsschutz durchgesetzte finanzielle Erfolg für die bulgarische Betreuerin. Der vom Bundesarbeitsgericht gesetzte Meilenstein der Zahlung von Bereitschaftszeiten und der Vergütung mit dem Mindestlohn in der 24-Stunde-Pflege ist nicht mehr hinwegzudenken. Dank gebührt dafür auch dem Rechtsschutzbüro Berlin, das die Klägerin während der umfangreichen und zeitraubenden Beweiserhebung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg begleitete und deren abschließenden Erfolg damit sicherte.
Hier geht es zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg.