Hat der Arbeitgeber zugesagt, einen Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden, muss er den Beschäftigten den erhöhten Tariflohn zahlen. Copyright by Eisenhans/Fotolia
Hat der Arbeitgeber zugesagt, einen Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden, muss er den Beschäftigten den erhöhten Tariflohn zahlen. Copyright by Eisenhans/Fotolia

Oft ist für Betroffene schwer nachvollziehbar, wie Gerichte entscheiden. Kaum zu verstehen war etwa die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bis zum Jahr 2007 zu Klauseln in Arbeitsverträgen, die auf Tarifverträge Bezug nehmen. Viele Arbeitgeber schreiben in Formulararbeitsverträgen Sätze hinein, die etwa so lauten:
 
Auf das Arbeitsverhältnis finden die für den Betrieb räumlich und fachlich jeweils geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung Anwendung
 
Jurist*innen sprechen hier von einer dynamischen Verweisung. Der Tarifvertrag soll nicht nur in der Form gelten, wie er beim Abschluss des Arbeitsvertrages ausgeschaut hat. Spätere Änderungen sollen vielmehr auch gelten.
 

Früher hielt das BAG solche Regelungen für Gleichstellungsabreden

Und jetzt kam es darauf an: war der Arbeitgeber Mitglied des Arbeitgeberverbandes, der den Tarifvertrag abgeschlossen hat, hatte er  -nach Auffassung des BAG- damit keine Vereinbarung darüber getroffen, dass die jeweils geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden sollen. Er habe vielmehr nur eine sogenannte Gleichstellungsabrede treffen wollen. Beschäftigte, die nicht in der Gewerkschaft sind, sollten nicht anders behandelt werden als Gewerkschaftsmitglieder. Schließlich wisse der Arbeitgeber im Zweifel ja nicht einmal, wer Mitglied welcher Gewerkschaft sei, so das BAG.
 
Die Folge war, dass die Tarifverträge dann nicht mehr in der jeweils geltenden Fassung angewendet werden mussten, wenn der Arbeitgeber aus dem Verband austrat. Sie galten dann nur statisch weiter. Lohnerhöhungen nach dem Austritt brauchte der Arbeitgeber nicht mehr gewähren. Diese Rechtsprechung kam dann schlussendlich wohl auch dem BAG seltsam vor und es änderte diese mit einer Entscheidung vom April 2007. Gestützt hatte das BAG seine neue Rechtsprechung auf eine Änderung im Gesetz zum 1. Januar 2002: an diesem Tag trat die  Schuldrechtsreform in Kraft. Formulararbeitsverträge gelten seitdem als allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) schreibt vor, dass unklare Regelungen zulasten desjenigen gehen, der diese Geschäftsbedingungen anwendet. Bei Formulararbeitsverträgen ist das in aller Regel der Arbeitgeber. Er legt den zukünftig Beschäftigten einen vorformulierten Arbeitsvertrag vor, den dieser nur noch unterschreiben kann.
 

Wenn Änderungen des Tarifvertrages nach einem Austritt aus dem Arbeitgeberverband nicht mehr gelten sollen, muss das ausdrücklich vereinbart werden

Seitdem gilt: wenn einzelvertraglich vereinbart wird, dass ein Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung auf das Arbeitsverhältnis angewendet werden soll, gelten auch die Änderungen, die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelt werden, nachdem der Arbeitgeber aus dem Verband ausgetreten ist. Das BAG nennt solche Regelungen unbedingte zeitdynamische Verweisungen. Wenn Arbeitgeber wünschen, dass die jeweils aktuellen tariflichen Vereinbarungen nur solange gelten sollen, wie der Arbeitgeber Mitglied des Verbandes ist, müssen sie das in die entsprechende Klausel konkret hineinschreiben.
 
Seit mehr als 10 Jahren ist also die alte Rechtsprechung zu den Gleichstellungsabreden Geschichte. Das haben viele Arbeitgeber offensichtlich aber noch nicht mitbekommen. Eine Berliner Arbeitgeberin trat Ende Januar 2018 aus dem Arbeitgeberverband aus und meinte, danach auch keine Tariferhöhungen mehr zahlen zu müssen.
 
Betroffen war ein Arbeitnehmer, der sich zu jenem Zeitpunkt in der aktiven Phase der Altersteilzeit befand. Grundlage war ein Arbeitsvertrag für verblockte Altersteilzeit, in dem sich u.a. zwei Regelungen befanden:
 

  • Das Altersteilzeitentgelt nimmt während der Arbeitsphase an der allgemeinen tariflichen Entwicklung teil.
  • Auf das Arbeitsverhältnis finden die aufgrund Tarifgebundenheit des Arbeitgebers für den Betrieb räumlich und fachlich jeweils geltenden Tarifverträge (derzeit die Tarifverträge für die Metall-und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet 1) in der jeweils gültigen Fassung und die jeweils gültigen Betriebsvereinbarungen Anwendung, soweit der Beschäftigte unter den persönlichen Geltungsbereich fällt und im Einzelfall nicht ausdrücklich etwas anderes zwischen dem Arbeitgeber und dem Beschäftigten vereinbart

 

Arbeitsgericht Berlin: damit wird dynamisch auf den Tarifvertrag verwiesen

Die Arbeitgeberin ging davon aus, dass sie an Tarifabschlüsse, die die Tarifpartner nach
ihrem Verbandsaustritt vereinbaren, nicht mehr gebunden sei. Die Regelung, wonach das Altersteilzeitentgelt während der Arbeitsphase an der allgemeinen tariflichen Entwicklung teilnehme, enthalte keine arbeitsvertraglich-dynamische Bezugnahme auf den Tarifvertrag in der jeweils gültigen Fassung.
 
Mit Hilfe unserer Kolleg*innen aus dem Büro Berlin klagte der Arbeitnehmer tarifliches Entgelt für die Zeit nach dem Austritt der Arbeitgeberin aus dem Verband ein. Mit Urteil vom Juni 2019 gab ihm das Arbeitsgericht Berlin jetzt Recht.
 
Es nahm dabei insbesondere auf die zweite der o.g. Regelungen aus dem Altersteilzeitvertrag Bezug, nachdem die aufgrund Tarifgebundenheit des Arbeitgebers für den Betrieb räumlich und fachlich jeweils geltenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden seien. Hierbei handele es sich um eine unbedingte zeitdynamische Verweisung im Sinne der BAG-Rechtsprechung.
 
Ein anderes Ergebnis folge auch nicht daraus, dass die Formulierung aufgenommen worden sei: ,, ... die aufgrund Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ... geltenden Tarifverträge".
 
Die Formulierung beschreibe die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirkende Ursache für die Auswahl eines bestimmten Tarifvertragswerkes und sei nicht dahin zu verstehen, dass die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie nur während der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin Anwendung finden sollten. Eine derart einschränkende Wirkung der Verweisung hätte eindeutig zum Ausdruck gebracht werden müssen und stünde im Übrigen im Widerspruch zu der ersten o.g. Regelung des Altersteilzeitvertrages, wonach das Altersteilzeitentgelt während der Arbeitsphase an der allgemeinen tariflichen Entwicklung teilnehme.
 
Hier geht zur Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin
Hier geht es zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom  18. April 2007