Es gibt keinen Grund, anzunehmen, Ärzte würde Krankschreibungen aus Gefälligkeit vornehmen. © Adobe Stock: Volker Witt
Es gibt keinen Grund, anzunehmen, Ärzte würde Krankschreibungen aus Gefälligkeit vornehmen. © Adobe Stock: Volker Witt

Neumanns Neffe Toni hat die Ausbildung geschafft. Die Firma hat ihm schon drei Monate vorher einen für ein halbes Jahr befristeten Arbeitsvertrag angeboten. Er will nicht bleiben, aber damit alles nahtlos läuft, unterschreibt er den Vertrag. Mit Bestehen der Prüfung kündigt er fristgerecht und meldet sich quasi sofort krank.

 

Firma zahlt keine Entgeltfortzahlung.

 

Damit hat Toni nicht gerechnet. Die Firma äußert Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit und will deshalb nicht zahlen. Er lässt den Einbehalt geltend machen und klagt dann auf Entgeltfortzahlung.

Er hat sich doch ordnungsgemäß krank gemeldet und das elektronische Abrufen der Arbeitsunfähigkeitsmeldungen durch den Arbeitgeber funktionierte auch. Eine ärztliche Krankmeldung hat doch Beweiswert, die müssen doch zahlen, meint er gegenüber dem DGB Rechtsschutzbüro Düren.

 

Firma beruft sich auf BAG Rechtsprechung

 

Die Firma sieht das anders und fühlt sich in der BAG-Rechtsprechung bestärkt. Das BAG hat den Beweiswert einer AU-Bescheinigung im Urteil vom 8.9.2021, Az. 5 AZR 149/21 bewertet. Werde quasi zeitgleich mit der Eigenkündigung eine Krankmeldung abgegeben, die dann noch passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst, könne das deren Beweiswert erschüttern.

 

Und so war das hier, Toni hatte zuvor schon den Tag nach der Prüfung Urlaub genommen und letztlich keinen Tag des Arbeitsverhältnisses gearbeitet.

 

 

Krankenkassen sind vorleistungspflichtig

 

Da besteht natürlich direkt finanzielle Not, wenn der Lohn ausbleibt. Der Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht kann dauern. Schnelle Hilfe gibt § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Auf erste Nachfrage wird den Versicherten meist gesagt, es gebe keine Entgeltfortzahlung. Da die sechs Wochen Entgeltfortzahlung noch nicht abgelaufen seien, müsse der Arbeitgeber zahlen.

 

Das mag das Ergebnis eines Arbeitsgerichtsprozesses sein. Der Gesetzgeber hat jedoch eindeutig geregelt, dass der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit besteht (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) und dass er gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht soweit Arbeitnehmende Arbeitseinkommen erhalten.

 

Also ruht der Anspruch auf Krankengeld nicht, wenn ein Anspruch auf Arbeitseinkommen vielleicht bestehen könnte, der Arbeitgeber aber nicht zahlt. Im Regelfall wird nach Hinweis auf diese Vorschrift von den Kassen Krankengeld gewährt. Toni kann sich aber nicht entschließen, sich dorthin zu wenden.

 

Gütetermin verlief ergebnislos

 

Angesichts des Sachverhalts will das Gericht dem krankschreibenden Arzt im späteren Kammertermin „auf den Zahn fühlen“, also konkret nachfragen, aufgrund welcher Untersuchung welche Diagnose gestellt wurde und wie es zu den konkreten Krankschreibungszeiten kam. Da Zeugen nur minimal entschädigt werden, sind Ärzte regelmäßig nicht gerade begeistert, wenn sie beim Gericht vorgeladen werden. In Richtung Arbeitgeber sagte das Gericht aber auch, man habe es noch nicht erlebt, dass ein Arzt einräume, ein Gefälligkeitsattest ausgestellt zu haben.

 

Einigung auf die Hälfte?

 

Wenn die Erfolgsaussichten mangels Zeugenbefragung noch nicht beurteilt werden können, geht der typische Vorschlag des Gerichts häufig dahin, der Arbeitgeber solle die Hälfte der Klageforderung zahlen. Eine solche Einigung wäre aber schlechter als der Krankengeldanspruch, daher zog Toni das hier auch hier nicht ernsthaft in Erwägung.

 

Arbeitgeberin scheut Aufwand

 

Toni muss seinen Arzt am Ende glücklicherweise einer Befragung durch das Gericht nicht aussetzen. Die Firma überlegte sich wohl, ob sich der Aufwand einer möglicherweise langwierigen und erfolglos verlaufenden Zeugenbefragung lohnt und bot im Vergleichswege die Bezahlung der nachgewiesenen AU-Zeiten an. Auf dieser Basis konnte der Rechtsstreit erledigt werden.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V; § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V

§ 49 Abs. 1 SGB V Ruhen des Krankengeldes
(1) Der Anspruch auf Krankengeld ruht,
1. soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhalten; dies gilt nicht für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt,
2. solange Versicherte Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in Anspruch nehmen; dies gilt nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn der Elternzeit eingetreten ist oder das Krankengeld aus dem Arbeitsentgelt zu berechnen ist, das aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung während der Elternzeit erzielt worden ist,
3. soweit und solange Versicherte Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld oder Kurzarbeitergeld beziehen,
3a. solange Versicherte Mutterschaftsgeld oder Arbeitslosengeld beziehen oder der Anspruch wegen einer Sperrzeit nach dem Dritten Buch ruht,
4. soweit und solange Versicherte Entgeltersatzleistungen, die ihrer Art nach den in Nummer 3 genannten Leistungen vergleichbar sind, von einem Träger der Sozialversicherung oder einer staatlichen Stelle im Ausland erhalten,
5. solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Absatz 1 Satz 10 erfolgt,
6. soweit und solange für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung (§ 7 Abs. 1a des Vierten Buches) eine Arbeitsleistung nicht geschuldet wird,
7. während der ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit für Versicherte, die eine Wahlerklärung nach § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 abgegeben haben,
8. solange bis die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit nach § 46 Satz 3 ärztlich festgestellt wurde.


§ 46 Abs. 1 SGB V Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld
Der Anspruch auf Krankengeld entsteht
1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) von ihrem Beginn an,
2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.