Spätestens am Ende des Arbeitsverhältnisses, kann sich eine Überprüfung der Schlussabrechnung lohnen. Copyright by Adobe Stock
Spätestens am Ende des Arbeitsverhältnisses, kann sich eine Überprüfung der Schlussabrechnung lohnen. Copyright by Adobe Stock

Viele Arbeitnehmer*innen vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Lohnabrechnung. Wenn Chefs jedoch grobe Lohnkürzungen vornehmen, Urlaub nicht auszahlen etc., läuft das Fass über. Die Neumanns sind eher prozessscheu, aber, wenn so überzogen wird, dann gehen auch sie zur Gewerkschaft. In unseren Beispielen stellen Frau Neumann und Neumann Junior fest, dass ihnen mehr Lohn vorenthalten wurde, als sie glaubten.
 

KAPOVAZ - Arbeit auf Abruf

Frau Neumann erhielt zum Jahresbeginn 2019 einen Arbeitsvertrag. Der Stundenlohn betrug 10 €, eine wöchentliche Stundenzahl enthielt der Vertrag nicht. Auch nichts zum Urlaub. Das klingt schräg, ist aber gar nicht so selten.
 
Die Arbeit auf Abruf (KAPOVAZ kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit) nutzt der Arbeitgeber, um Mitarbeiter*innen so einzusetzen, wie es ihm passt. Frau Neumann bekam nur Geld für die tatsächlich gearbeiteten Stunden. Obwohl sie immer zur Stelle war. Auch dann, wenn die Arbeit nicht wie gesetzlich vorgeschrieben vier Kalendertage im Voraus angekündigt wurde. Sie reklamierte die wenigen Arbeitsstunden öfters, es änderte sich aber nichts.
 
Frau Neumann war es satt. Sie kündigte ordentlich zu Ende Juli 2019. Der Arbeitgeber machte eine Schlussabrechnung und zahlte wiederum nur für die Stunden, für die er Frau Neumann auch eingeteilt hatte. Nachdem sie gekündigt hatte, teilte er sie gar nicht mehr ein. Dieser Dreistigkeit war es zu verdanken, dass sich Frau Neumann gewerkschaftlichen Rat einholte.
 

Arbeitsstunden nicht geregelt - Bezahlung für mindestens 20 Wochenstunden

Es gibt Mindestrechte für dieses Teilzeitmodell. Und der Gesetzgeber hat hier zum Jahresbeginn 2019 nachgebessert: Der Arbeitgeber wollte keine fixen Wochenstunden vereinbaren. Dann aber musste er bis 2018 mindestens 10 Stunden und ab 2019 20 Wochenstunden bezahlen. Dabei ist es egal, ob er den Arbeitnehmer einsetzt.
 
In den sieben Monaten der Beschäftigung war Frau Neumann nur einen Monat mit 20 Wochenstunden beschäftigt, ansonsten deutlich geringer. Sie kann mit gutem Erfolg für die anderen Monate Lohn für die Differenz in den Wochenstunden fordern.
Beispiel: Woche vom 24.-30.6.2019 - 20 Stunden Anspruch - 10 Stunden eingesetzt => Forderung 10 Stunden.
Da kommt für die 6 Monate ganz schön was zusammen.
 

Der Mindestlohn verfällt nicht

Der Arbeitgeber kann sich auch nicht erfolgreich auf Ausschlussfristen berufen. Der Mindestlohnanspruch verjährt frühestens nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren.
Der Mindestlohnanspruch in 2019 beträgt 9,19 €. Allenfalls 0,81 Cent pro Stunde könnten also verfallen sein. Und das auch nur dann, wenn der Arbeitsvertrag eine wirksame Ausschlussfrist für den Lohnanspruch oberhalb der Mindestlohngrenze enthält. Nach § 3 des Mindestlohngesetzes sind nämlich Vereinbarungen unwirksam, die den Anspruch auf Mindestlohn beschränken.
 

Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt vier Wochen

Entsprechend der Arbeitgeberlogik, nur tatsächlich gearbeitete Stunden zu bezahlen, wurde Urlaub weder gewährt noch abgegolten. Doch auch damit kommt der Chef nicht durch.
Ist keine Regelung zum Urlaub getroffen, gilt das Bundesurlaubgesetz. Danach besteht ein Jahresurlaubsanspruch von 24 Werktagen. Hierbei zählt der Samstag als Werktag mit, unabhängig davon, ob jemand in der 5 Tage Woche arbeitet oder mehr oder weniger. Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt vier Wochen, also in der Sechs-Tage-Woche 24 Werktage, umgerechnet in der Fünf-Tage-Woche 20 Arbeitstage.
 
Da Frau Neumann in der zweiten Jahreshälfte - hier zum 31.07.2019 - ausgeschieden ist, steht ihr der komplette gesetzliche Jahresurlaub zu. Die Berechnung lautet:
20 Wochenstunden : 5 Arbeitstage = 4 Stunden x 10 € = 40 € x 20 Urlaubstage => 800 €.
 
So hatte sich der Arbeitgeber das nicht vorgestellt.
 

Wenig Arbeitsstunden im Vertrag, aber immer Überstunden

Neumann Junior - ein angehender Student - hatte sich auf einen Aushilfsjob beworben. Der Arbeitgeber hatte ihm mündlich zugesagt, er könne so viel arbeiten, wie er wolle. Nur pro Forma würden aber im Vertrag 14 Wochenstunden festgelegt. Das hatte er zwar nicht verstanden, aber den Vertrag trotzdem so unterschrieben.
 
Neumann arbeitete mehrere Monate immer um die 30 Wochenstunden. Diese wurden mit dem normalen Stundenlohn bezahlt. Dann erkranke Neumann für zwei Wochen. Auf seiner Lohnabrechnung waren als Entgeltfortzahlung nur die vertragsgemäßen 14 Stunden ausgewiesen.
 

Rückfall auf die vertragsgemäßen Stunden bei Krankheit?

Nach vierwöchigem Arbeitsverhältnis haben Arbeitnehmer*innen gegenüber ihrem Arbeitgeber Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In den ersten vier Wochen besteht bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen ein Anspruch auf Krankengeldzahlung gegenüber der Krankenkasse. Aber in welcher Höhe besteht die Entgeltfortzahlung?
Wenn keine tariflichen Regelungen gelten, ist das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) anzuwenden. Maßgeblich ist danach die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers.
 
Hier nur in den Arbeitsvertrag zu schauen, ist zu kurz gegriffen. Das Bundesarbeitsgericht hat schon mit Urteil vom 21.11.2001 (5 AzR 296/00) entschieden, dass bei Schwankungen der Arbeitszeit die tatsächlich gearbeiteten Zeiten in der Vergangenheit herangezogen werden dürfen. Damit zählen auch Überstunden zur regelmäßigen Arbeitszeit.
Das bedeutet für Neumann, dass er auch für die zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit eben nicht nur Anspruch auf 14 bezahlte Wochenstunden hat, sondern auf 30. Das macht sich mit 320 € zu wenig bezahlter Lohnfortzahlung deutlich bemerkbar (2 Wochen x 16 Sunden x 10 €).
 

Tarifverträge können Abweichungen enthalten

Das Gesetz gibt den Tarifvertragsparteien allerdings die Möglichkeit, sich auf andere Berechnungsweisen auch hinsichtlich des Zeitfaktors zu einigen. Diese gehen dann dem Gesetz vor.
 
Auch für die Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertages ausfällt, hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte. Auch hier kommt es nicht auf die vertraglich vereinbarten, sondern auf die tatsächlich gearbeiteten Stunden an.
Die vertragliche Variante wie bei Neumann Junior werden informierte Chefs nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2018 (10 AzR 231/18) nicht mehr fahren. Die Entscheidung betraf zwar die Systemgastronomie, besagte aber ganz klar: Wenn Vollzeitkräfte einen Überstundenzuschlag erhalten, ist dieser Zuschlag auch bei Teilzeitkräften zu zahlen, wenn diese mehr als die vertragsgemäßen Stunden arbeiten. Neumann Junior hat damit dann Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Stunden, die 14 Wochenstunden überschreiten.
 
Als Neumann Junior einen Studienplatz an einer weit entfernten Uni erhalten hat, kündigt er sein Arbeitsverhältnis. Urlaub hatte er nicht genommen. Er ist deshalb abzugelten.
 

6 Tage Woche= Mindesturlaub 24 Werktage

Neumann Junior hat sonntags nie gearbeitet, aber alle Werktage. Es besteht also ein Jahresurlaubsanspruch von 24 Werktagen. In vielen Arbeitsverträgen ist die Anzahl der Arbeitstage genannt. In der Drei-Tage-Woche müsste der Mindesturlaub z.B. zwölf Arbeitstage sein.
Neumann Junior hat zu Ende des Jahres 2018 gekündigt. Begonnen hatte das Arbeitsverhältnis am 4. September 2018. Dies sind knapp vier Monate. Das Bundesurlaubsgesetz regelt dazu, dass für jeden vollen Monat, in dem das Arbeitsverhältnis besteht, ein Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs entsteht. Er hätte also bis zum 4. Januar 2018 beschäftigt sein müssen, um auch für den vierten Monat einen Anspruch auf anteiligen Urlaub zu bekommen. So besteht Anspruch auf Urlaub für drei Monate.
 

Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass Arbeitnehmer Urlaub nimmt

Arbeitgeber können sich nach der neuen Rechtsprechung nicht darauf berufen, dass der Arbeitnehmer doch gar keinen Urlaub beantragt hat. Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 19.02.2019 (9 AzR 541/15) die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt. Danach verfallen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers nicht einfach. Der Arbeitgeber muss notfalls den Arbeitnehmer auffordern, seinen Urlaub zu nehmen.
 
Den vollen Urlaubsanspruch erwirbt Neumann sowieso erst nach der sogenannten Wartezeit, also nach sechs Monaten.
Da der Urlaub nicht genommen werden konnte, steht ihm Urlaubsabgeltung nach Ende des Arbeitsverhältnisses für eine Woche zu, weil das Arbeitsverhältnis drei Monate bestanden hat.
 

Urlaubsentgelt: Durchschnitt der letzten 13 Wochen

Der Urlaub berechnet sich entsprechend dem Verdienst des letzten Quartals, ausgenommen des für die zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Der Arbeitsvertrag lautet hier auf 14 Wochenstunden, die darüberhinausgehenden Stunden sind dann Überstunden.
 
Das liest sich erst mal so, als ob Neumann Junior nur für eine Woche mit 14 Wochenstunden Urlaubsabgeltung verlangen kann. Doch auch hier wird für den Arbeitnehmer, der regelmäßig mehr Stunden leistet, als in seinem Vertrag vorgesehen sind, das Lohnausfallprinzip angewendet.
Hätte Neumann Junior also nur ab und zu mehr als 14 Wochenstunden gearbeitet, dann würde die abzugeltende Urlaubswoche nur mit 14 Stunden bezahlt. Da er aber immer 30 Stunden gearbeitet hat, kann er eine Urlaubsabgeltung von einer Woche auf Basis von 30 Stunden zu 10 €, also insgesamt 300 € statt 140 € verlangen.
 

Kein gesetzlicher Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld

Sind Tarifverträge anzuwenden, ergibt sich häufig ein viel höherer Urlaubsanspruch. Meist sind in Tarifverträgen auch die Berechnungen geregelt. Dann gehen diese vor.
Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgelt, welches in Tarifverträgen entweder als Einmalbetrag oder mit einem Prozentsatz auf das Urlaubsentgelt gezahlt wird, ist kein gesetzlicher Anspruch. Das heißt, nur wenn es im Arbeitsvertrag vereinbart ist oder ein Tarifvertrag gilt, haben Arbeitnehmer auf diese zusätzliche Leistung Anspruch. Neumanns Arbeitsvertrag sagt dazu nichts.
 

Einbehalte vom Nettolohn

Die gleiche Kategorie von Arbeitgebern wie in unseren Beispielen der Neumanns behält bei der Schlussabrechnung eines Arbeitsverhältnisses gerne vom Nettolohn des Arbeitnehmers Beträge ein.
Da finden sich dann Positionen wie Arbeitskleidung, Vorschuss, gerne auch Schadensersatz.
Klar ist, dass ich Eigentum des Arbeitgebers zurückgeben muss. Wenn ich das nicht mehr kann, mache ich mich gegebenenfalls sogar schadensersatzpflichtig. Diese Fälle meinen wir hier aber nicht. Sondern es geht um die Abzocke, wo angeblich etwas nicht zurückgegeben wurde und dann ein überteuerter Wert vom Nettolohn abgezogen wird. Oder der angebliche Vorschuss war eine Zahlung, die alle bekommen hatten, weil ein Auftrag sehr erfolgreich gelaufen ist. Es war nie die Rede davon, dass es eine Vorauszahlung auf den Lohn sein sollte. Bei der Endabrechnung taucht es auf einmal als Minus auf.
 
Ganz dreist war eine Leiharbeitsfirma. Die ließ Frau Neumann und andere Mitarbeiter morgens zu ihrer Geschäftsstelle kommen, brachte die Mitarbeiter dann mit einem Bus zum Einsatzort und zog hierfür vom Nettolohn Fahrtkosten ab.
 

Schadensersatz und Pfändungsfreigrenzen

Eine Spezialität  - zumindest in unserer Region - ist, bei fristloser Kündigung den Lohn bis zum Kündigungsdatum wegen angeblicher Schadensersatzansprüche gar nicht erst auszuzahlen.
 
Der Arbeitgeber muss aber die individuellen Pfändungsfreigrenzen beachten. Selbst wenn er tatsächlich eine berechtigte Forderung gegen einen Mitarbeiter hat, sind die pfändungsfreien Beträge auszubezahlen. Diese hängen davon ab, ob jemand Unterhaltspflichten hat und können in einer Tabelle nachgeschaut werden.

Das sagen wir dazu:

Es ist eine Genugtuung, wenn Arbeitgeber, die es so übertreiben, nachher deutlich mehr zahlen müssen. Die Neumanns der Arbeitswelt können nicht immer wissen, was ihnen zusteht. Doch spätestens, wenn die Schlussabrechnung eines beendeten Arbeitsverhältnisses da ist, kann eine Überprüfung zu durchsetzbaren Ansprüchen führen. Dies vor allem im Niedriglohnsektor.