Hintergrund ist ein Streit um den Manteltarifvertrag für Zeitarbeit in Deutschland. Der Tarifvertrag sieht vor, dass in Monaten mit 23 Arbeitstagen ab einer geleisteten Arbeitszeit von mehr als 184 Stunden ein Zuschlag in Höhe von 25 Prozent gezahlt wird. Unter die geleisteten Stunden sollen jedoch nur tatsächlich erbrachte Stunden fallen, aber nicht die Urlaubszeit.

Erfolglos in den Tatsacheninstanzen – Revision nicht zugelassen

Gegen diese tarifliche Regelung klagte ein Leiharbeiter, der im August 2017 an 13 Tagen gearbeitet und für die verbleibenden zehn Arbeitstage bezahlten Urlaub genommen hatte. Weil er tatsächlich weniger als 184 Stunden gearbeitet hatte, bekam er für diesen Monat keinen Zuschlag. Hätte er tatsächlich an den 10 Tagen gearbeitet, wäre er für diesen Monat auf über 184 Stunden gekommen, so dass er für die überschießenden Stunden einen Zuschlag erhalten hätte.

Vor dem Arbeitsgericht Dortmund und dem Landesarbeitsgericht Hamm war seiner Klage kein Erfolg beschieden. Die Richter*innen in Hamm bestätigten mit ihrer Entscheidung vom 14. Dezember 2018 die Entscheidung des Arbeitsgerichts und ließen die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zu 

Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt-Vorlagebeschluss an EuGH

Gegen die Nichtzulassung der Revision legte das Gewerkschaftliche Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein, der stattgegeben wurde. Mit seiner Entscheidung vom 17. Juni 2020 rief der 10. Senat des BAG den EuGH an und ersuchte diesen, darüber zu befinden, 

„ob ein Tarifvertrag, der für die Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt und nicht auch die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Mindesturlaub in Anspruch nimmt, gegen Unionsrecht verstoßen könnte."

EuGH: Tarifliche Regelung kann davon abhalten, Urlaub zu nehmen

Der EuGH stellte in seiner Entscheidung vom 13. Januar 2022 fest, dass die fragliche Regelung den Arbeitnehmer davon abhalten könne, in dem Monat, in dem er „Überstunden erbracht hat“, bezahlten Urlaub zu nehmen. Es sei, so die Richter*innen, das Ziel des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub, dass Arbeitnehmer*innen Zeit zur Erholung habe, um ihre Sicherheit und ihre Gesundheit zu schützen. Jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die Arbeitnehmer*innen davon abhalten könne, bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, verstoße gegen dieses Ziel.

In seiner Entscheidung bezieht sich der EuGH auf Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. In dieser ist geregelt, dass die Mitgliedstaaten erforderliche Maßnahmen treffen müssen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Jahresmindesturlaub von vier Wochen erhält. Diese Regelung sei im Lichte von Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta (GrCh) auszulegen, der jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin ein Recht auf einen bezahlten Jahresurlaub zuspreche.

Bundesarbeitsgericht erneut gefordert

Unter Beachtung der Entscheidung des EuGH wird nunmehr das BAG endgültig über die Sache zu entscheiden haben.

Rudolf Buschmann, der seitens des Gewerkschaftlichen Centrums die Interessen des Kläger vor dem EuGH wahrnahm, kommentiert die Entscheidung: 

„Der bezahlte Jahresurlaub ist ganz wesentlich für die Erhaltung der Gesundheit der Beschäftigten. Deswegen darf derjenige, der dieses europäische Grundrecht in Anspruch nimmt, nicht schlechter gestellt werden, als wenn er gearbeitet hätte.“ Für die Gewerkschaften ist es ein besonderer Erfolg, dass der gewerkschaftliche Rechtsschutz die europäischen Richter in Luxemburg ein weiteres Mal überzeugen konnte. Gerade im Arbeitszeitrecht einschließlich des Urlaubsrechts haben deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wieder von europäischen Regelungen und europäischen Entscheidungen profitiert. Das betrifft nicht nur die Länge des Mindesturlaubs sondern auch die Modalitäten seiner Umsetzung. Es kommt jetzt darauf an, dass nicht nur ein einzelner Kläger sein Recht erhält, sondern dass alle Regelungen überprüft und angepasst werden, die mit diesem höchstrichterlichen europäischen Urteil nicht im Einklang stehen."

 

Für Interessierte der Werdegang des Verfahrens: