Arbeitgeberin scheitert mit Rückforderung wegen zu viel gezahlten Lohns auch zweitinstanzlich an vertraglicher Ausschlussfrist
Arbeitgeberin scheitert mit Rückforderung wegen zu viel gezahlten Lohns auch zweitinstanzlich an vertraglicher Ausschlussfrist

Nachdem sich der erste Schock über die Rückforderung gelegt hatte, suchte die Altenpflegerin ihre Gewerkschaft ver.di auf. Über diese und über den dann eingeschalteten DGB Rechtsschutz in Bielefeld wurde zunächst versucht, eine außergerichtliche Lösung zu finden. Doch die Arbeitgeberin behielt sofort pro Monat 420 € vom Lohn ein und erhob später Klage über knapp 6.000 Euro. 

Lohnbüro verwechselte Jahresarbeitszeit mit Bruttolohn

Wie konnte es zu diesem Versehen kommen? Der Arbeitsvertrag der Parteien regelte zur Arbeitszeit Jahresarbeitsstunden von 1.560. Diese Zahl muss der Personalsachbearbeiterin wohl ins Auge gesprungen sein. Zumindest rechnete sie monatlich einen Bruttolohn von 1.560 € ab. Im Arbeitsvertrag war allerdings an anderer, späterer Stelle ein monatliches Bruttoentgelt von 1.140 € angegeben. 

Die Klägerin arbeitete ausschließlich Nachtdienste und erhielt dafür Zuschläge, die im Folgemonat ausgezahlt wurden. Da der „falsche“ Lohn von Beginn des Arbeitsverhältnisses abgerechnet wurde, hielt die betroffene Mitarbeiterin das Geld, welches sie erhielt, für das was ihr zusteht. Sie glich den Arbeitsvertrag nicht mit den Abrechnungen ab.

Abweichender Lohn fiel erst bei Vertragsänderung auf

Erst zwei Jahre später stellte die Arbeitgeberin im Rahmen einer geplanten Vertragsänderung fest, dass ein höherer Bruttolohn ausgezahlt wurde, als im Vertrag stand. 

Die Mitarbeiterin wurde damit konfrontiert und brach in Tränen aus – verständlich angesichts der hohen Summe, die gefordert wurde. Diese Reaktion versuchte die Arbeitgeberin im späteren Prozess als Schuldeingeständnis darzustellen, drang damit aber nicht durch. 

Die Altenpflegerin war bereit das zurückzuzahlen, was sie zurückzahlen musste. Hier gingen die Meinungen dann allerdings auseinander. Nur das, was noch nicht verfallen ist, so informierte ver.di die Arbeitgeberin. Diese wollte alles zurück haben und erhob Klage. Später erhob die Mitarbeiterin Widerklage, da auch dann noch 420 € vom Lohn einbehalten  wurden, als die nicht verfallene Summe mit den laufenden Lohnzahlungen verrechnet war.

Arbeitsvertragliche Ausschlussfrist von drei Monaten

Der Arbeitsvertrag der Parteien regelte folgendes: „Alle beidseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden.“

Viele Arbeitsverträge und Tarifverträge enthalten solche Regelungen, wonach Ansprüche nach einer bestimmten Zeit – üblich sind drei Monate – ausgeschlossen sind. 

Arbeitgeberin unterstellte Treuwidrigkeit

Die Arbeitgeberin erhob Klage um einen Rückzahlungsanspruch wegen Überzahlung durchzusetzen. Die Berufung auf Ausschlussfristen sei treuwidrig, so das Argument, warum ihr der Anspruch auch für die Monate zustehen soll, die länger als drei Monate zurücklagen. Sie behauptete, die Mitarbeiterin habe von den Überzahlungen gewusst. 

Keine positive Kenntnis von der Überzahlung

Und genau da lag rechtlich sowohl für das Arbeitsgericht Bielefeld wie auch für das Landesarbeitsgericht die entscheidende Frage: Hatte die Mitarbeiterin positiv Kenntnis von den konkreten Überzahlungen? 

Zu dieser Überzeugung konnten die Richter sämtlich nicht gelangen, weshalb Klage und auch Berufung der Arbeitgeberin erfolglos waren. 

Rückzahlungsanspruch bei überzahlter Vergütung unterliegt Verfallfrist

Das Landesarbeitsgericht stellt in seiner Entscheidung zum Thema Verfallfrist zu Beginn seiner Überlegungen zwei Dinge klar. Erstens: Die Ansprüche auf Rückzahlung überzahlten Entgelts (wegen ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 BGB) unterliegen als „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ der Ausschlussfrist. Zweitens: Wenn der Arbeitgeber die Vergütung fehlerhaft berechnet, obwohl ihm die maßgeblichen Berechnungsgrundlagen bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, entsteht der  Rückzahlungsanspruch im Zeitpunkt der Überzahlung. Daran gemessen waren die streitgegenständlichen Forderungen verfallen. 

Zeugenvernehmung ergibt kein pflichtwidriges Unterlassen der Arbeitnehmerin

Das Landesarbeitsgericht kam  – wie zuvor das Arbeitsgericht Bielefeld – nach erfolgter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten nicht verwehrt ist, gegen die Klageforderung die Verfallfrist einzuwenden. Grundüberlegung ist hier, dass von einer unzulässigen Rechtsausübung dann auszugehen ist, wenn die eine Partei die andere durch aktives Tun von der Einhaltung der Ausschlussfrist abgehalten oder es pflichtwidrig unterlassen hat, die zur Einhaltung der Frist nötigen Umstände mitzuteilen. 

In Frage kam hier nur ein pflichtwidriges Unterlassen. Davon wäre auszugehen, wenn ein Arbeitnehmer den Irrtum des Arbeitgebers erkennt, die Überzahlung aber nicht mitteilt. Und eben diesen Nachweis hat die Arbeitgeberin nicht erbracht. Auch die Richter des Landesarbeitsgerichts waren nicht davon überzeugt, dass der Altenpflegerin die Auszahlung eines erhöhten Arbeitsentgelts bewusst war.

Der Zahlungsforderung steht also die im Arbeitsvertrag geregelte Ausschlussfrist entgegen und das Verdi-Mitglied muss kein Geld mehr an seine ehemalige Arbeitgeberin zurückzahlen. 

Anmerkung der Redaktion:

Und das ist auch gut so! Schon deshalb, da es der Altenpflegerin schlichtweg nicht möglich gewesen wäre, fast 6.000 € zu zahlen. Denn auch mit dem „zu hohen“ Bruttolohn von 1.560 € lassen sich keine riesigen Sprünge machen. Zumindest reicht das Nettoentgelt sicher nicht, um noch groß was zur Seite zu legen. Die ohnehin niedrige Vergütung muss man sich vor Augen halten, da ja 420 € pro Monat erst mal nach viel klingen. Aber eben nur brutto. Außerdem enthielt die Altenpflegerin unterschiedliche Zahlungen, da Zuschläge im Folgemonat zur Auszahlung kamen. Der Bruttogrundlohn von 1.560,- € hingegen ist von Beginn des Arbeitsverhältnisses an abgerechnet worden. Da Arbeitnehmer*innen grundsätzlich nicht verpflichtet sind, Abrechnungen zu überprüfen, besteht schon gar keine Verpflichtung die Abrechnung mit dem Arbeitsvertrag abzugleichen. Von einem pflichtwidrigen Unterlassen kann keine Rede sein.

Arbeitgeberin stellte auch falsche Verdienstbescheinigung aus

Das gilt im Besonderen, da die überzahlte Mitarbeiterin sogar noch eine Verdienstbescheinigung angefordert hatte. Dies deshalb, da sie Wohngeld bezog und die Behörde sich wegen der Zuschläge Klarheit über den Lohn verschaffen wollte. Das Personalbüro bescheinigte einen Bruttoverdienst von 1.560 €. Spätestens hier konnte die Arbeitnehmerin auf die Richtigkeit der Entlohnung vertrauen. Eine Beweisaufnahme wäre deshalb unserer Ansicht gar nicht notwendig gewesen, denn schon an dem Punkt war klar: Der beklagten Mitarbeiterin konnte keine positive Kenntnis von einer „falschen“ Abrechnung angelastet werden und damit auch kein Rechtsmissbrauch. 

Schieflage der Rechtsprechung zu Lasten der Arbeitnehmer*innen

Ohnehin finden wir die Rechtsprechung zum pflichtwidrigen Unterlassen eines Arbeitnehmers bei der Frage, ob Rückforderungsansprüche verfallen sind, verfehlt. Im Regelfall sind es die Arbeitnehmer, die Ansprüche gegen ihre Arbeitgeber zu spät geltend machen. Mit dem Vorbringen, die Arbeitgeberseite handele rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf eine Verfallfrist beruft, stoßen wir mit schöner Regelmäßigkeit bei den Gerichten auf taube Ohren. Und dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber positive Kenntnis davon hatte, dass der Arbeitnehmer Ansprüche hatte. Ein Rechtsmissbrauch wird nur dann gesehen, wenn die rechtzeitige Geltendmachung aktiv verhindert wurde. Warum bei arbeitgeberseitigen Ansprüchen andere Maßstäbe gelten sollen, erschließt sich uns nicht und wird dem ohnehin nicht ausgeglichen Kräfteverhältnis im Arbeitsverhältnis sicher nicht gerecht. Vielmehr besteht hier eine klare Schieflage der Rechtsprechung zu Lasten der Arbeitnehmerschaft. Denn wenn man die Argumentation der Rechtsprechung umdreht, würde dies bedeuten, dass sich ein Arbeitgeber immer dann nicht auf eine Ausschlussfrist berufen dürfte, wenn er wusste, dass der Arbeitnehmer noch Ansprüche hat. Dies ist aber nicht so.

Dass der Fall hier nicht in die Kategorie Rechtsmissbrauch fällt, wird schließlich auch deutlich bei einem Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. 

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Rechtsmissbrauch bei Überzahlung

2001 hatte das BAG einen Fall zu entscheiden, wo der Arbeitgeber versehentlich über einen längeren Zeitpunkt Vergütung für eine Vollzeitstelle gezahlt hatte, obwohl der Arbeitnehmer nur in Teilzeit mit 20 Stunden beschäftigt war. Hier konnte unterstellt werden, dass dem Arbeitnehmer die Rechtsgrundlosigkeit eines Teils der Vergütung bekannt war. Dennoch sah das BAG den Anspruch des Arbeitgebers als erloschen an. Denn: Seitens der Agentur für Arbeit hatte es eine Anfrage zu den korrekten Bezügen gegeben.

Das BAG führt dazu aus: „Der Vorwurf des Rechtsmißbrauchs in Fällen wie dem vorliegenden beruht darauf, daß der Arbeitnehmer in Kenntnis des Irrtums des Arbeitgebers diesem Informationen vorenthält, die ihn seinen Irrtum entdecken lassen und ihm bezüglich erfolgter Überzahlungen die Einhaltung der Ausschlußfrist ermöglichen würden. Ein solcher Rechtsmißbrauch durch den Arbeitnehmer liegt aber nur vor, wenn sein eigenes Unterlassen für das Untätigbleiben des Arbeitgebers kausal ist. Das ist nur solange der Fall, wie der Arbeitgeber nicht von anderer Seite Umstände erfährt, die den wirklichen Sachverhalt entweder unmittelbar aufklären oder ihm zumindest Anlaß dafür hätten sein müssen, möglichen Unstimmigkeiten nachzugehen und von sich aus den wahren Sachverhalt zu klären.“

Hier wird hier nochmals deutlich, dass die Sache der Altenpflegerin von den Fällen des Rechtsmissbrauchs abweicht. Hier wurden keine Informationen vorenthalten. Zudem kommt hier wieder die Verdienstbescheinigung ins Spiel. Die beklagte Mitarbeiterin hatte zur Klärung ihres tatsächlichen Verdienstes eine Bescheinigung angefordert. Wenn diese mit einem Gehalt von 1.560,- € (wie auf den Abrechnungen) ausgestellt wird, so kann erstens die Mitarbeiterin darauf vertrauen und zweitens ist es nicht ihr, sondern allein der Arbeitgeberin anzulasten, dass der Fehler selbst hier noch nicht aufgefallen ist. Diese hätte die Anfrage zum Anlass nehmen können und müssen, die Gehaltszahlungen zu überprüfen. Dies hat sie aber nicht gemacht. 

Ergebnis kann nur sein: Die Arbeitgeberin ist nicht schützenswert und die Einwendung des Rechtsmissbrauchs fällt weg. Im Ergebnis sind die Gerichte zu diesem Ergebnis zwar auch gekommen, aber eben ohne diese rechtliche Wertung, sondern über eine Beweisaufnahme. 

 

Das vollständige Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 09.06.2015, Az.: 11 Sa 61/16, kann hier nachgelesen werden.