Versuchsreihen durchführen, Stoffe analysieren, chemische Substanzen herstellen: Im Grunde erledigte die Chemielaborantin die gleichen Tätigkeiten wie ihr männlicher Kollege in der Abteilung, der täglich mit ihr zusammenarbeitete – in der gleichen Position, bei derselben Arbeitszeit von 37,5 Stunden. Nur bei der Entlohnung unterschieden sich beide erheblich: Während er mit 2.470,98 Euro brutto monatlich nach Hause ging, musste sie sich mit 1.920,73 Euro brutto begnügen. Zu Unrecht, wenn man das Benachteiligungsverbot des § 7 Absatz 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) heranzieht: „Nach diesem Gesetz sind Bestimmungen, die eine Person wegen des Geschlechts benachteiligen, unwirksam – also auch das arbeitsvertraglich geregelte Gehalt meiner Mandantin“, erklärt Christoph Hunger vom DGB Rechtsschutz-Büro Hanau, der die Chemielaborantin vertrat und für sie die Lohndifferenz von 550,25 Euro einklagte.

 

Häufig werden "Nasenprämien" gezahlt

 

Eine Ungerechtigkeit, die in einem Chemieunternehmen mit Tarifbindung so nicht hätte passieren können, denn in den gewerkschaftlichen Tarifverträgen kommt eine Unterscheidung nach Geschlecht längst nicht mehr vor. Im betreffenden Unternehmen allerdings gab es nur individualrechtliche Einzelarbeitsverträge: „Hier spielen häufig so genannte ,Nasenprämien‘ eine Rolle, bei denen Arbeitgeber nach Gutdünken die Arbeit ihrer Beschäftigten vergüten“, weiß der Jurist. Als sich nun ein Gerichtsverfahren anbahnte, bot der Arbeitgeber eine Gehaltserhöhung von 5 Prozent bei einer 40-Stunden-Woche an. Aber auch hier lohnte es sich, genau hinzuschauen: „Beim Nachrechnen bemerkten wir, dass meine Mandantin bei 2,5 Stunden mehr Arbeit wöchentlich sogar einen geringeren Stundenlohn erhalten hätte.“

Vor Gericht gelang es dem Arbeitgeber nicht, die Lohndifferenz zu erklären und einen Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz von Benachteiligungen zu widerlegen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen gemäß § 8 Absatz 1 AGG konnte das Unternehmen mit circa 60 Beschäftigten nicht glaubhaft beweisen: Zwar wurde dem männlichen Kollegen kurzfristig eine Gruppenleiterfunktion zugeschrieben, allerdings wirkte sich diese weder im organisatorischen Betriebsablauf noch anderweitig aus. In einer Zeugenanhörung gab er zu Protokoll, dass er erst zwei Wochen vor dem gerichtlichen Gütetermin seiner Kollegin über seine Ernennung zum Gruppenleiter informiert worden sei. Auch die Behauptung, den Chemielaboranten aufgrund seiner zehn Jahre längeren Betriebszugehörigkeit höher zu vergüten, taugte nicht: „Das Gericht erkannte hierin kein generalisierendes Prinzip des Arbeitgebers, das meine Mandantin mit ihrer Klage durchbrechen würde“, erklärt Christoph Hunger.

 

321,70 Euro mehr Gehalt durchgesetzt

 

Zwar konnte Christoph Hunger keine Erschwerniszulage für seine Mandantin durchsetzen – diese erhielt der Kollege für eine frühere Tätigkeit in der Produktion –, dennoch zahlt der Arbeitgeber anstandslos seit dem Urteil des Arbeitsgerichts Hanau rückwirkend für zwei Jahre und mit Wirkung für die Zukunft eine erhöhte Vergütung um 321,70 Euro an die Chemielaborantin. „Eigentlich hatte ich fest mit einer Berufung gerechnet“, fasst Jurist Hunger zusammen, „aber offensichtlich hatte der Arbeitgeber sich das erspart, da er merkte, dass er hier nicht gegen das AGG ankommt.“