Wer arbeitet hat auch Anspruch auf den vereinbarten Lohn. Copyright by Adobe Stock/SZ-Designs
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„Aktuell streiten wir über die Jahressonderzahlung 2020“ berichtet Gert Becker vom DGB Rechtsschutzbüro Göppingen. Er vertrat insgesamt vier Kläger vor dem Arbeitsgericht. Es ging dabei um Jahressonderzahlungen aus den Jahren 2018 und 2019. Alle Verfahren gewann Becker.
 

Der Arbeitgeber zahlte weniger als vereinbart

Der Arbeitgeber hatte für das Jahr 2018 statt eines vollen 13. Monatsgehalts nur 600 Euro gezahlt. 2019 waren es mit 400 Euro noch weniger, obwohl die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) schon im Jahr 2003 einen Haustarifvertrag mit der Betriebsvorgängerin der Beklagten über die Zahlung eines 13. Monatsgehaltes geschlossen hatte.
 
Der Haustarifvertrag galt für alle Mitglieder der IG BCE, die in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten standen. Dieser Haustarifvertrag sah vor, dass die Beschäftigten im November eines jeden Jahres ein 13. Monatsgehalt erhalten sollten.
 

Der Arbeitgeber geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten

Da sich 2011 schon wirtschaftliche Schwierigkeiten des früheren Betriebsinhabers abzeichneten, schloss er mit der Gewerkschaft eine Betriebsvereinbarung über die Zahlung eines 13. Monatsgehaltes für das Jahr 2011 in Höhe von 400 Euro ab. Die Firma geriet schließlich 2013 in Insolvenz. Das Unternehmen wurde verkauft.
 
Die Beklagte übernahm anschließend Maschinen und weitere Werte. Sie beschäftigte etwa 50 Arbeitnehmer*innen mit deren bisherigen Tätigkeiten weiter. Im Rahmen einer Betriebsversammlung erhielt die Belegschaft die Information, ein Betriebsübergang sei erfolgt.
 

Der Arbeitgeber überwies unterschiedliche Beträge

Seit damals zahlte die Beklagte kein 13. Monatseinkommen mehr. Vielmehr überwies sie den Mitarbeitern ein jährliches Weihnachtsgeld in wechselnder Höhe bis maximal 800 €. Gemeinsam mit seinen Mandant*innen vertrat Becker vor dem Arbeitsgericht die Auffassung, der Tarifvertrag gelte weiter und machte Ansprüche in Höhe eines Monatsgehaltes geltend.
 
Das Arbeitsgericht gab nun allen Klagen statt. Der Arbeitgeber hatte zwar behauptet, es sei kein Betriebsübergang erfolgt. Er habe auch den alten Tarifvertrag von Beginn an nicht mehr vollzogen. Schließlich meinte der Arbeitgeber, es habe Betriebsvereinbarungen aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit der Gewerkschaft und dem früheren Betriebsinhaber gegeben.
 

Die Beklagte hält am Tarifvertrag nicht mehr fest

Die Beklagten selbst habe mit der Gewerkschaft zwar keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Sie habe aber auch nicht mehr weiter nach dem Tarifvertrag bezahlt. Weshalb jetzt der Tarifvertrag noch gelten solle, sei für sie rechtlich nicht nachvollziehbar.
 
Diese Argumente zogen vor Gericht nicht. Das Gericht wies die Beklagte darauf hin, dass der Tarifvertrag aus dem Jahr 2003 zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs im Jahr 2013 Gegenstand des Arbeitsvertrages mit den Kläger*innen gewesen sei.
 
Die Kläger*innen seien auch nach wie vor Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft. Die Tarifbindung der Beklagten selbst ergebe sich daraus, dass es sich um einen Haustarifvertrag handele, in den er durch die Betriebsübernahme eintrat. Die Beklagte sei damit unmittelbar tarifvertragschließende Partei.
 

Das Gericht geht von einem Betriebsübergang aus

Am früheren Betriebsübergang hatte das Gericht keinen Zweifel. Die Beklagte habe den überwiegenden Teil der Belegschaft übernommen. Gleiches gelte für die Betriebsmittel. Außerdem habe sie in einer Betriebsversammlung auf den Betriebsübergang hingewiesen.
 
Sofern die Beklagte behaupte, der Betriebsvorgänger habe den Tarifvertrag gekündigt, müsse sie das nachweisen. Das sei aber nicht geschehen. Die Beklagte selbst habe erst 2019 gekündigt. Diese Kündigung könne sich nicht auf Ansprüche aus 2018 auswirken.
 
Im Übrigen würde Tarifvertrag auch nach der Kündigung erst einmal weiter gelten. Er habe nämlich Nachwirkung.
 

Tarifverträge haben nach der Kündigung regelmäßig Nachwirkung

Wenn ein Tarifvertrag gekündigt wird oder seine Laufzeit endet, gelten dessen Regelungen so lange weiter, bis sie durch eine neue Abmachung ersetzt werden. Diese Nachwirkung gilt kraft Gesetzes. Sie endet dann, wenn es einen neuen Tarifvertrag gibt oder nach dem Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien feststeht, dass eine Neuregelung nicht mehr getroffen werden soll.
 
Das Arbeitsgericht sah keine Regelung, die den Anspruch aus dem Tarifvertrag beseitigt hätte. Außer einer Betriebsvereinbarung für das Jahr 2011 lägen keinerlei schriftliche Unterlagen vor. Diese Betriebsvereinbarung für 2011 gelte nicht für die Jahre 2018 und 2019.
 

Eine „Nichtzahlung“ beseitigt den Anspruch nicht

Dass die Beklagte über Jahre hinweg die tarifliche Sonderzahlung nicht überwiesen habe, ändere nichts am Anspruch der Kläger. Eine einseitig vorgenommene „Nichtzahlung“ beseitige die arbeitsvertragliche Regelung nicht. Es gebe auch keine sogenannte negative betriebliche Übung, wonach ein dreimaliges Nichtzahlen einen Anspruch entfallen lassen könne.
 
Die Arbeitnehmer*innen hätten sich durch die unterbliebenen Zahlungen vergangener Jahre nicht auf eine Vertragsänderung eingelassen. Ein bloßes Schweigen stelle keine Willenserklärung dar. Auch das Vorliegen wirtschaftlicher Probleme führe nicht automatisch zu einem Wegfall des Anspruchs auf eine tarifliche Sonderzahlung. Ausweislich der Formulierung im Tarifvertrag seien dann Ausnahmelösungen zu vereinbaren.
 

Die Beklagte genießt keinen Vertrauensschutz

Die Beklagte habe auch kein berechtigtes Vertrauen darin gehabt, dass die Kläger*innen ihre Ansprüche ab 2018 nicht mehr geltend machen würden, nur weil dies für die Vorjahre nicht geschehen sei.
 
Der Arbeitgeber musste also zahlen. Ganz einverstanden war er damit nicht, denn gegen alle Urteile legte er zunächst Berufung ein. Die Berufungen sind zwar zwischenzeitlich zurückgenommen, für das Jahr 2020 geht der Streit beim Arbeitsgericht jedoch zunächst weiter.

Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 8. Dezember 2020 – 7 Ca 460/20
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 27. Februar 2020 – 9 Ca 32/19


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