Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto kann der Arbeitgeber nicht auf den Lohn anrechnen. Er schuldet den vollen Lohn aus Annahmeverzug.
Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto kann der Arbeitgeber nicht auf den Lohn anrechnen. Er schuldet den vollen Lohn aus Annahmeverzug.

 Arbeitgeber behält Lohn für Minusstunden ein

Der Arbeitgeber betätigt sich als Zulieferer von Werften. Zusätzlich besitzt er eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, um die Arbeitnehmer in den Phasen fehlender Aufträge nicht entlassen zu müssen. Neben seiner Arbeit als

Monteur war der Kläger bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses auch als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Zusätzlich zum Arbeitsvertrag haben er und der Arbeitgeber vereinbart, ein Arbeitszeitkonto zu führen. Die über die geschuldete Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitsstunden sollten entweder in Freizeit ausgeglichen oder abgegolten werden.

Für den Fall, dass mehr Freizeitausgleich gewährt wurde, als überhaupt gegeben war, konnte dies mit weiteren Überstunden ausgeglichen oder als »unbezahlt frei« abgerechnet werden. Nach der Kündigung des Klägers behielt der Arbeitgeber Arbeitslohn für 376 Minus-Stunden ein, die auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers eingetragen waren.

Minus-Stunden sind kein Vorschuss

Das Gericht hat dem Kläger die Vergütung ohne Abzüge durch den Arbeitgeber zugesprochen. Zwar könne im Einzelfall ein negatives Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto so gedeutet werden, dass es sich um einen Gehaltsvorschuss handelt.

Allerdings sei dies nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer verlangt hat, von der Arbeit befreit zu werden. Das negative Stundenkonto beruht also auf seiner Entscheidung. Im Übrigen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber einen Vorschuss zahlen wollte.

Wenn der Arbeitnehmer mangels Aufträgen nicht beschäftigt werden könne, bleibe der Lohnanspruch bestehen. Der Arbeitgeber befinde sich im Annahmeverzug.

Praxistipp: Annahmeverzug des Arbeitgebers

Das wirtschaftliche Risiko seines Unternehmens trägt der Arbeitgeber selbst. Damit er das Risiko bei einer schlechten Auftragslage nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen kann, muss er die Beschäftigten weiter bezahlen, wenn er sie in einer solchen Situation von der Pflicht zur Arbeitsleistung freistellt. Damit dieser Grundsatz nicht umgangen werden kann, ist er gesetzlich geregelt (§ 615 BGB).

Ausnahmen können vereinbart werden

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können miteinander vereinbaren, dass der Anspruch auf Lohn entfällt, wenn der Arbeitgeber in Annahmeverzug gerät. Gleiches kann auch durch einen Tarifvertrag geregelt werden. Jedoch sind die Anforderungen an entsprechende Klauseln hoch. Sie müssen klar und eindeutig sein, sonst sind sie unwirksam. Sobald das Entgeltrisiko auf den Arbeitnehmer verlagert werden soll, ist der Spielraum begrenzt.

Besonderheiten bei Leiharbeitern

Nach dem Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) kann das Recht des Leih-AN auf Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers nicht aufgehoben oder beschränkt werden. Im Bereich der Leiharbeit kann es zu Schwankungen in der Auftragslage kommen. Trotzdem hat der Verleiher in allen Fällen, in denen er die Leiharbeitnehmer nicht beschäftigen kann, den vereinbarten Lohn zu zahlen. Damit sind auch Regelungen zur »Arbeit auf Abruf« unwirksam, da der Verleiher so das Betriebsrisiko auf die Beschäftigten verlagern möchte.

Mitbestimmung bei Arbeitszeitkonten

Der Betriebsrat hat mitzubestimmen, wenn Arbeitszeitkonten eingeführt werden ( § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). In einer entsprechenden Betriebsvereinbarung ist darauf zu achten, dass Risiken des Arbeitgebers nicht auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Die Fälle, in denen ein Konto ins »Minus« rutschen kann, sollten genau geprüft werden.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: „AiB-Newsletter, Rechtsprechung für den Betriebsrat“ des Bund-Verlags, Ausgabe 16/2016 vom 22.06.2016.

 

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13.10.2015 – 2 Sa 113/15 hier im Volltext 


Lesen sie auch unsere Beiträge:


Bundesarbeitsgericht: „Zwangsfreizeit“ für Leiharbeitnehmer*innen unzulässig
Leiharbeitsfirma darf bei Auftragsmangel nicht die Arbeitszeitkonten plündern
„Zwangsfreizeit“ bei Annahmeverzug – Arbeitszeitkonten in der Zeitarbeitsbranche

 

Im Praxistipp: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko

Rechtliche Grundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.