Vorbehalte gegen einen gesetzlichen Mindestlohn 

Noch bis Ende der 90-ziger Jahre war die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland kein Thema. Zwar wuchs auch in den 90-ziger Jahren bereits der Niedriglohnsektor und entstand durch ausländische Arbeitnehmer, etwa im Baugewerbe, ein Unterbietungswettbewerb durch Arbeitnehmer, die von ausländischen Firmen nach Deutschland entsandt und zu Dumpinglöhnen beschäftigt wurden. Gewerkschaften und Politik setzten jedoch zur Verhinderung dieser Probleme zunächst nicht auf einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn sondern auf branchenbezogene Mindestlöhne. Sie wurden auf der Grundlage des 1996 in Kraft getretenen Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) beschlossen. Danach können Regelungen in einem bundesweiten Tarifvertrag durch Rechtsverordnung auf alle Arbeitnehmer, die in der Branche tätig sind, die der Tarifvertrag erfasst, erstreckt werden unabhängig davon, ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer tarifgebunden sind. Schon diese rechtliche Möglichkeit wurde von Arbeitgebern und arbeitgebernahen Wissenschaftlern als staatliche Lohnfestsetzung, die einen „beispielslosen Eingriff“ in die Tarifautonomie darstelle, gebrandmarkt. Eine gegen die gesetzliche Regelung und gegen eine auf der Grundlage des AEntG erlassene Rechtsverordnung im Baugewerbe im Jahr 1999 erhobene Verfassungsbeschwerde wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. AEntG und Verordnung sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz vereinbar. Neben dem Baugewerbe wurden im Laufe der Zeit immer mehr Branchen in das AEntG aufgenommen wie etwa das Gebäudereinigungshandwerk oder das Briefdienstleistungsgewerbe, ab 2012 schließlich die Zeitarbeitsbranche oder das Dachdeckergewerbe. Branchenmindestlöhne setzen jedoch immer voraus, dass in der entsprechenden Branche auch Tarifverträge bestehen. Sie verhindern daher in Bereichen, in denen kein nennenswertes Tarifwesen mehr existiert, keine Niedriglöhne.

Mindestlohn in anderen Ländern

In vielen europäischen Staaten gab es bereits seit langem gesetzliche Mindestlöhne. (Eine Übersicht gibt es hier) Seit 1.1.2015 ist Deutschland der 22. Staat von 28 EU-Staaten, der eine Mindestlohnregelung hat. In den EU-Ländern ist die Höhe des festgelegten Mindestlohns allerdings sehr unterschiedlich. Die Spanne reicht von 1,04 EUR/Std. in Bulgarien bis 11,10 EUR/Std. in Luxemburg. In den USA wurde ein gesetzlicher Mindestlohn bereits 1938 eingeführt. Der Grund für die Einführung ist bemerkenswert. Er sollte die weißen Arbeitnehmer vor der Billigkonkurrenz der schwarzen Arbeitnehmer schützen. Und das wirkte: Das Jahr vor der Einführung war das letzte Jahr, in dem die Arbeitslosigkeit der Schwarzen niedriger war wie die der Weißen.

Einsatz für einen gesetzlichen Mindestlohn durch Politik und Gewerkschaften

Es waren zunächst auf Seiten der Gewerkschaften die NGG, die sich Ende 2001/2002 für einen Mindestlohn einsetzte. Insgesamt bestanden zu diesem Zeitpunkt jedoch auch auf Gewerkschaftsseite noch viele Vorbehalte. Es wurde befürchtet, dass ein gesetzlicher Mindestlohn das Tarifgefüge nach unten drückt und, dass Gewerkschaften bei der Festsetzung staatlicher Löhne überflüssig werden könnten. Die Einstellung änderte sich jedoch in den nächsten Jahren. 2005 trat auch ver.di auf die Seite der Befürworter. Und auf dem Bundeskongress des DGB im Mai 2006 stimmten dann bereits 7 von 8 Gewerkschaften für einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 7,50 EUR/Std.; nur die IG-BCE unter ihrem Vorsitzenden Hubertus Schmoldt stimmte dagegen. Im Anschluss an den DGB-Beschluss wurde die Mindestlohnkampagne des DGB gestartet und damit breit in der Öffentlichkeit über den Mindestlohn informiert und für ihn geworben (s. dazu ausführlich Rückblick auf die Mindestlohnkampagne des DGB, www.mindestlohn.de). Im Mai 2010 erhöhte der DGB auf seinem Bundeskongress die Mindestlohnforderung auf 8,50 EUR/Std.

Wegbereiter für einen gesetzlichen Mindestlohn war auch der auf dem 68. Deutschen Juristentag in Berlin im September 2010 von der arbeits- und sozialrechtlichen Abteilung gefasste Beschluss, in dem sich die stimmberechtigten Teilnehmer mit großer Mehrheit für die Einführung eines einheitlichen allgemeinen Mindestlohns als fixierter Untergrenze aussprachen.

Auf Seiten der Politik setzte sich vor allem die Linkspartei schon früh für die Einführung eines Mindestlohns ein. So brachte erstmals die PDS 2001 und deren Nachfolgepartei Die Linke im Januar 2006 entsprechende Anträge in den Bundestag ein. Damals wurden beide Anträge allerdings noch von allen anderen Fraktionen im Bundestag abgelehnt. Auch ein weiterer Antrag der Linksfraktion im Juni 2006 scheiterte. 2007 nahm auch die SPD die Forderung nach Einführung eines Mindestlohns auf und startete eine Unterschriftenaktion. Sie brachte einen Mindestlohn-Antrag in den Bundestag ein, ohne allerdings eine konkrete Höhe zu nennen. 2014 ist es dann so weit. Bundesarbeitsministerin Nahles bereitet ein Mindestlohngesetz vor, das vom Bundestag verabschiedet wird. Ein Mindestlohn von 8,50 EUR/Std. gilt seit 1.1.2015.

Gründe für die Einführung des Mindestlohns

Dass die Zahl der Befürworter für einen gesetzlichen Mindestlohn schließlich auch auf Seiten der Arbeitgeber und konservativer Politiker stieg, hatte mit unterschiedlichen Entwicklungen zu tun. Zum einen war festzustellen, dass immer weniger Unternehmen und Beschäftigte an einen Tarifvertrag gebunden waren. Das lag nicht nur an der abnehmenden Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern, sondern auch daran, dass immer weniger Unternehmen in Arbeitgeberverbänden organisiert waren, oder nur eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung bestand. Dadurch fehlte es in manchen Branchen an der Geltung von Tarifverträgen mit der Folge, dass Tarifverträge nicht für allgemeinverbindlich erklärt und damit auch branchenbezogene Mindestlöhne nicht durchgesetzt werden konnten. Nach einer Studie des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (Betriebspanel) ging die Tarifbindung von 1996 bis 2012 rapide zurück. In Westdeutschland waren 1996 noch 76% der Beschäftigten und 63% in Ostdeutschland tarifgebunden, 2012 waren es schon nur noch 60% im Westen und nur noch 48% im Osten. Folge davon war, dass etwa im Wach- und Schließgewerbe 2007 in Thüringen ein Wachmann für 4,28 EUR brutto/Std. und Friseure für 3,82 EUR brutto/Std. arbeiten mussten. Dazu kam, dass auch manche Tarifverträge, vor allem in der Leiharbeitsbranche, selbst nicht mehr vor Dumping-Löhnen von 6 EUR brutto/Std. schützen konnten bzw. wollten (s. die Tarifverträge der Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften, CGZP, in der Leiharbeitsbranche). Auch die Hartz-Gesetzgebung trug wesentlich zur Zunahme des Niedriglohnsektors bei. Denn zum einen waren Arbeitslose gezwungen, jeden Job unabhängig von ihrer Qualifikation und unabhängig davon, ob ein Tariflohn gezahlt wurde, anzunehmen; zum anderen konnten Arbeitgeber den Lohn auch deshalb auf ein Niveau unter das Existenzminimum drücken, weil der Lohn durch Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II entsprechend aufgestockt wurde. All diese Entwicklungen führten dazu, dass schließlich Gewerkschaften, Politiker fast aller Fraktionen und eine breite Öffentlichkeit die Einführung des Mindestlohns befürworteten.

Nun gilt es, das Mindestlohnkonzept auch zu einem Erfolg zu führen. Dazu ist vor allem eine effektive Kontrolle von wesentlicher Bedeutung, damit ein gutes Gesetz nicht deshalb leer läuft, weil es von ihren Anwendern folgenlos umgangen werden kann.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 18.7.2000, Az.: 1 BvR 948/00 können sie hier im Volltext nachlesen.


Hier gehts direkt zur Kampagnen-Website „Deutschland braucht den Mindestlohn“! des Deutschen Gewerkschaftsbundes - DGB


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