Schwerbehinderte in Werkstätten sind keine Arbeitnehmer und haben deshalb keinen Anspruch auf Mindestlohn
Schwerbehinderte in Werkstätten sind keine Arbeitnehmer und haben deshalb keinen Anspruch auf Mindestlohn

Der Kläger war ein unter Betreuung stehender Schwerbehinderter, der in einer Werkstatt für Behinderte im Gemüseanbau und der Verpackung tätig war. Er belieferte außerdem zweimal wöchentlich Kund*innen auf einer festgelegten Tour mit Lebensmitteln.


Vergütung von 216,75 € netto monatlich


Gemäß dem Werkstattvertrag erhielt der Kläger für eine 38,5-Stunden-Woche eine Nettovergütung in Höhe von monatlich 216,75 Euro. Der Kreis Rendsburg Eckernförde hatte als Träger der Eingliederungshilfe die Kosten für die teilstationäre Betreuung des Klägers in der Werkstatt übernommen.


Der Kläger sah die Vergütung als viel zu gering an. Wegen seiner Leistungsfähigkeit und seiner positiven Persönlichkeitsentwicklung habe sich das arbeitnehmerähnliche Arbeitsverhältnis in ein reguläres Arbeitnehmerverhältnis umgewandelt. Er habe letztlich aber nur einen sittenwidrigen Stundenlohn von 1,49 Euro erhalten.


Für das Jahr 2014 müsse ihm daher ein „angemessener Lohn“ von mindestens sechs Euro gezahlt werden. Ab Januar 2015 greife der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro.


Doch das Arbeitsgericht urteilte, dass dem Schwerbehinderten weder für 2014 eine „angemessene Vergütung“ noch ab 2015 der gesetzliche Mindestlohn zustehe.


Kein Anspruch auf Mindestlohn


Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn ab 2015 habe der Schwerbehinderte nicht. Das Mindestlohngesetz gelte nur für Arbeitnehmer*innen, nicht aber für arbeitnehmerähnliche Personen wie den Kläger.


Der Mindestlohn solle Arbeitnehmer*innen vor Niedriglöhnen schützen. Ein entsprechendes Arbeitsverhältnis setze aber reguläre Austauschverhältnisse zwischen Arbeitsleistung und Entgelt voraus und umfasse nicht „Aufgaben zur Teilhabe von schwerbehinderten Menschen unter anderem am Arbeitsleben“.


Der Kläger sei kein Arbeitnehmer. „Im Gegensatz zu einem Arbeitsverhältnis, welches ein Austauschverhältnis zwischen weisungsgebundener Arbeit und Vergütung ist, kommt in einem Werkstattverhältnis als maßgeblicher zusätzlicher Aspekt noch die Betreuung und Anleitung des schwerbehinderten Menschen hinzu“, stellte das Arbeitsgericht klar.


Kein Anspruch auf „angemessene Vergütung“


Ein Anspruch auf „angemessene Vergütung“ bestehe ebenfalls nicht. Diese könne nach dem Gesetz nur verlangt werden, wenn die Entlohnung im Vertrag nicht geregelt oder sittenwidrig ist.


Der Werkstattvertrag sei nicht sittenwidrig, weil die in ihm enthaltene Vergütung sich an den gesetzlichen Bestimmungen für in einer anerkannten Werkstatt tätige behinderte Menschen orientiere. Nur weil der Kläger ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeitsleistung erbringt, bestehe noch kein Arbeitsverhältnis.


Außerdem sei bei dem Schwerbehinderten eine sozialversicherungsrechtliche Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden. Der Bericht der Werkstatt über die Entwicklung des Klägers zeige zudem, dass dieser weiterhin auf Förderung angewiesen sei. Dies spreche gegen eine „wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung als Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses“, urteilte das Arbeitsgericht.


Anmerkung: Entscheidung zwingend


Die Entscheidung hätte nicht anders getroffen werden können: So schwer verständlich dies für den betroffenen Menschen sein mag, rechtlich bestehen keine Zweifel daran, dass die Tätigkeit in Behindertenwerkstätten keine Tätigkeit im arbeitsrechtlichen Sinne ist, weil es hier eben nicht nur um den Austausch von Arbeitsleistung gegen Geld geht.


Die Behindertenwerkstätten dienen der Aktivierung der dort beschäftigten Menschen, das Gericht spricht von „einem zusätzlicher Aspekt der Betreuung und Anleitung“. Solche Beschäftigte gelten zum Beispiel auch im Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich nicht als Arbeitnehmer.


Grundlage der Beschäftigung ist der Werkstattvertrag. Dieser wandelt sich auch nicht nur deshalb in einen Arbeitsvertrag, weil die Leistungsfähigkeit zugenommen hat und der Kläger eine positive Persönlichkeitsentwicklung vorweisen kann.


Das Ergebnis dürfte für den Kläger schwer verdaulich sein, da er vom Gericht nun bescheinigt bekommt, dass seine Arbeitsleistung eben doch nicht in gleichem Maße verwertbar ist, wie bei einem Arbeitnehmer. Dabei geht es in Behindertenwerkstätten ja gerade darum, dass die dort beschäftigten Menschen mit ihrer Arbeitskraft Werte schaffen und hierdurch in die Gesellschaft integriert werden.


Wirtschaftlich gesehen ist das Urteil aber nicht nur negativ zu sehen: Hätte das Gericht festgestellt, dass der Kläger tatsächlich als Arbeitnehmer im Umfang von 38,5 Stunden wöchentlich tätig ist, wäre ihm mit Sicherheit die Erwerbsminderungsrente entzogen worden, die er jetzt in jedem Fall sicher hat. Ein Anspruch auf Mindestlohn setzt aber immer ein Arbeitsverhältnis voraus, das eben auch gekündigt werden kann.

 

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Rechtliche Grundlagen

Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG)
§ 1 Mindestlohn

(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet. Der Vorrang nach Satz 1 gilt entsprechend für einen auf der Grundlage von § 5 des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag im Sinne von § 4 Absatz 1 Nummer 1 sowie §§ 5 und 6 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 612 Vergütung

(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.
(3) (weggefallen)