Das Arbeitsgericht Nienburg (Weser) hat in einem Urteil vom 13.08.2015 bestätigt, dass Zeitungszusteller*innen den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto prinzipiell auch schon vor dem Jahr 2017 beanspruchen können.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Zeitungsboten auch Werbeprospekte zustellen, die nicht in der Druckerei maschinell, sondern zumindest teilweise händisch vom Boten in die Zeitung eingelegt werden.

Für Zeitungszusteller gelten Ausnahmen

Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde gilt seit Januar 2015 – nur leider mit Ausnahmen. Zu denen gehören grundsätzlich auch die Zeitungszusteller*innen.

Ein Teil von ihnen erhält den gesetzlichen Mindestlohn für eine Übergangszeit nicht: Im Jahr 2015 darf der Botenlohn 25 Prozent unter dem Mindestlohn liegen, 2016 noch 15 Prozent darunter. Erst ab 2017 sollen auch Zeitungszusteller*innen 8,50 Euro brutto bekommen – also zwei Jahre später als Angestellte in anderen Branchen.

Kläger fordert den Mindestlohn

Der klagende Arbeitnehmer, Mitglied der IG Metall trägt an sechs Tagen in der Woche Tageszeitungen und Anzeigenblätter aus. Seine Tätigkeit gestaltet sich so, dass die Werbeprospekte nicht stets bereits in der Zeitung liegen, wenn sie am Abladepunkt angeliefert werden. Vielmehr gehört es zu seinen arbeitsvertraglichen Pflichten, Werbebeilagen mit der Hand einzulegen. 


Der Arbeitnehmer, der derzeit nur einen Stundenlohn von 6,38 Euro erhält, forderte den gesetzlichen Mindestlohn und klagte diesen schließlich, vertreten durch die DGB Rechtsschutz GmbH beim Arbeitsgericht Nienburg (Weser) ein.


Der beklagte Zeitungsverlag hatte dagegen argumentiert, dass die Tätigkeit des Arbeit-nehmers unter eine Ausnahmevorschrift des Mindestlohngesetzes (MiLoG) falle. Danach erhalten Zeitungszusteller*innen, die ausschließlich Zeitungen oder Anzeigenblätter mit redaktionellem Inhalt austragen, lediglich den reduzierten gesetzlichen Mindestlohn. 


Sobald Zeitungszusteller*innen aber auch andere Produkte austragen – in der Branche also vor allem die so genannten „Resthaushalte“ (= Werbesendungen an Haushalte von Nicht-Abonnenten) – erhalten sie den vollen gesetzlichen Mindestlohn.

Was bedeutet „ausschließlich“?

Die Parteien haben in dem Rechtsstreit in erster Linie darum gestritten, was das Merkmal „ausschließlich“ bedeutet. Für die Bestimmung der Personengruppe, die unter dieser Ausnahmeregelung fällt, ist der Gesetzestext genau zu lesen. Das MiLoG spricht von Personen, „die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen und Zeitschriften an Endkunden zustellen“. 


Dazu ist die gewerkschaftliche Position eindeutig: Ausschließlichkeit bedeutet, dass der volle Mindestlohn für Arbeitnehmer*innen zu zahlen ist, die neben periodischen Zeitungen und Zeitschriften auch andere Schriftstücke, Werbeprospekte oder Kataloge zustellen.


Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass eine „ausschließliche“ Tätigkeit auch vorliegt, wenn in die Zeitung Werbeprospekte vorab maschinell eingelegt werden, bleibt es in diesem Fall dabei, dass der klagende Zeitungszusteller den vollen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro brutto beanspruchen kann.


Entscheidend kommt es hier nämlich darauf an, dass die Beilagen nicht in der Druckerei maschinell, sondern zumindest teilweise vom Zeitungsboten – entsprechend seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen – händisch in die Zeitung eingelegt werden. So sind die Beilagen kein körperlicher Teil der Tageszeitung mehr, was zur Folge hat, dass vom Arbeitgeber der volle gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro brutto zu zahlen ist.

Arbeitsgericht schließt sich der Auslegung des DGB-Rechtsschutz-Vertreters an

Diese Argumentation der DGB Rechtsschutz GmbH hat das Arbeitsgericht Nienburg (Weser) offensichtlich überzeugt. Erstinstanzlich wurde entschieden, dass der klagende Zeitungs-zusteller den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto beanspruchen kann. Der Arbeit-geber muss ihm den Differenzlohn ab Januar 2015 zahlen. 


Der Zeitungsverlag, der im Prozess vom Verlegerverband BVDA (Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter) unterstützt und von einem Anwalt aus München vertreten wurde, wird dies aller Voraussicht nach nicht akzeptieren und Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil einlegen.

Anmerkung: „Ausschließlich“ heißt „Ausschließlich“!

Offensichtlich versucht die Zeitungslobby das Merkmal „ausschließlich“ als „überwiegend“ zu interpretieren, das heißt den niedrigeren Mindestlohn auch für Fälle zu rechtfertigen, die vom Gesetzgeber nicht vorgesehen waren. Doch das Gesetz ist hier eindeutig: „Ausschließlich“ heißt „ausschließlich“!


Sollte die Arbeitgeberseite tatsächlich Berufung einlegen, wird das Berufungsverfahren beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen sicherlich vom bundesweiten Interesse sein. Wir werden über den Fortgang des Verfahrens weiter berichten.

Hier direkt zum vollständigen Urteil des Arbeitsgericht Nienburg, vom 13.08.2015, 2 Ca 151/15


Hintergründe zum Mindestlohn
Mindestlöhne in Europa
Anrechenbarkeit von Zahlungen beim Mindestlohn
Bereitschaftsdienst, Standzeiten, Anfahrtszeit – wofür bekomme ich Mindestlohn?


Im Praxistipp: § 24 Mindestlohngesetz - MiLoG

Rechtliche Grundlagen

§ 24 Mindestlohngesetz (MiLoG)

Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG)
§ 24 Übergangsregelung

(1) Bis zum 31. Dezember 2017 gehen abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien dem Mindestlohn vor, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind; ab dem 1. Januar 2017 müssen abweichende Regelungen in diesem Sinne mindestens ein Entgelt von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde vorsehen. Satz 1 gilt entsprechend für Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage von § 11 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sowie § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erlassen worden sind.
(2) Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller haben ab dem 1. Januar 2015 einen Anspruch auf 75 Prozent und ab dem 1. Januar 2016 auf 85 Prozent des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 Satz 1. Vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 beträgt der Mindestlohn für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller im Sinne der Sätze 1 und 2 sind Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dies umfasst auch Zustellerinnen und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt.