Eine Kündigung aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz wird nicht dadurch rechtswidrig, dass im Interessenausgleich auch der Einsatz von Leiharbeitnehmern zugelassen wird.

Der Fall

 
Ein Arbeitnehmer wehrte sich gegen seine Kündigung durch den Insolvenzverwalter seiner Arbeitgeberin. Der Kläger wurde 1974 geboren und im Jahr 1994 bei der Arbeitgeberin, die an mehreren Standorten Produkte für die Automobilindustrie herstellt, als Maschinenbediener im Betrieb A eingestellt. Nach einem Arbeitsunfall im Jahr 2005 behielt er einen Tinnitus zurück. Er weist einen GdB von 30 auf und ist einem Schwerbehinderten gleichgestellt.

Da er wegen der durch den Tinnitus eingetretenen Geräuschempfindlichkeit an Arbeitsplätzen mit lauter Umgebung nicht mehr eingesetzt werden konnte, wurde er nach dem Unfall an keinem festen Arbeitsplatz mehr eingesetzt. Seit seinem Arbeitsunfall war er an 486 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt.

Am 01.03.2009 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 18.03.2009 schloss der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat des Betriebs A einen Interessenausgleich, der den Abbau von 153 Stellen und die Kündigung von 134 namentlich aufgeführten Arbeitnehmern vorsah, darunter auch den Kläger. Zudem wurde vereinbart, dass der Arbeitgeber beim Abbau der Arbeitsplätze einen zeitweisen Personalmehrbedarf wegen Urlaubs oder Krankheit mit Leiharbeitskräften bis zu einer Gesamtzahl von bis zu 10% der Belegschaft des Werkes A abdecken kann.

Der Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Zustimmung des Integrationsamts. Der Arbeitnehmer machte in seiner Klage unter anderem geltend, der Interessenausgleich gestatte den Einsatz von Leiharbeitnehmern so uneingeschränkt, dass die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO), dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sei, nicht eintreten könne. Zudem machte er geltend, fehlerhaft der Vergleichsgruppe der Maschinenbediener zugeordnet worden zu sein, da er diese Tätigkeit zuletzt nicht mehr ausüben konnte. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen

Die Entscheidung


Das BAG wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte die Kündigung als rechtmäßig.
Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen (betriebsbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 KSchG).

Die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, wird nicht durch die Leiharbeitnehmerklausel des Interessenausgleichs vom 18.03.2009 widerlegt. Die Einschätzung des LAG, es sei nicht zu erkennen, dass Leiharbeitnehmer die Arbeit gekündigter Stammarbeitnehmer übernommen hätten und deshalb bloße Austauschkündigungen vorlägen, ist rechtsfehlerfrei.

Keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG bestehe, wenn Leiharbeitnehmer lediglich eingesetzt werden, um Auftragsspitzen aufzufangen. An einem freien Arbeitsplatz fehle es in der Regel auch, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer als Personalreserve vorhält, um den Bedarf zur Vertretung abwesender Stammarbeitnehmer zu decken. Ein Austausch eigener Arbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer liege nicht vor, wenn diese nur zur Vertretung anderer Arbeitnehmer auf von diesen besetzten Arbeitsplätzen eingesetzt werden.

Auch wenn sie dabei Tätigkeiten versehen sollen, die ggf. auch der Arbeitnehmer verrichten kann, dessen Kündigung beabsichtigt oder erfolgt ist, stehe das dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für diesen Arbeitnehmer nicht entgegen. Eine wesentliche Änderung der Sachlage im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO liege nicht vor. Sie wäre beispielsweise dann zu bejahen, wenn sich die im Interessenausgleich vorgesehene Zahl der zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer erheblich verringert hat. Davon sei nicht auszugehen. Auch zur Differenz zwischen den 153 abzubauenden Stellen und den 134 namentlich genannten Arbeitnehmern habe der Insolvenzverwalter nachvollziehbar dargelegt, 19 Arbeitsverträge seien bereits durch Eigenkündigungen oder Aufhebungsverträge beendet worden.

Da der Kläger wegen seines Leidens auf einer Vielzahl von Arbeitsplätzen eingesetzt war, durften die Betriebsparteien bei seiner Zuordnung einer Vergleichsgruppe auf seinen letzten regulären Arbeitsplatz abstellen, ohne dass diese Zuordnung grob fehlerhaft war.

Folgen für die Praxis:

Der Abschluss eines Interessensausgleichs mit Namensliste wird in der Praxis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber abgeschlossen, wobei dabei die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich benannt werden. Hierdurch wird das Prozessrisiko des Arbeitgebers erheblich reduziert, weil bei Vorliegen einer Namensliste im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens gemäß § 1 Abs. 5 KSchG zu vermuten ist, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Zudem ist die durchgeführte Sozialauswahl lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit durch das Arbeitsgericht zu überprüfen. Die Begründung der Rechtwidrigkeit einer solchen Kündigung ist für den einzelnen Arbeitnehmer bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste somit erheblich schwieriger, die Erfolgsaussicht seiner Kündigungsschutzklage damit deutlich geringer als bei dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung ohne Namensliste. Es kann also nicht zum Abschluss eines Interessensausgleichs mit Namensliste geraten werden. Tritt wie vorliegend zudem noch eine Insolvenz hinzu, wird durch § 125 InsO der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers erheblich aufgeweicht und dem Insolvenzverwalter mit der Namenliste das kündigen deutlich erleichtert. Vor diesem Hintergrund ist auch vorliegende Entscheidung zu sehen, denn wenn die sonstigen Begründungsmöglichkeiten bei arbeitsgerichtlichen Verfahren dem Arbeitnehmer durch die Namensliste entzogen werden, muss man sich als Vertreter auf anderweitige Gründe berufen, hier auf den vereinbarten Einsatz von Leiharbeitnehmern, wobei die Begründung vorliegend gescheitert ist.
Auch als Betriebsrat sollte man, vor allem wenn Insolvenz des Arbeitgebers vorliegt, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geben eine Kündigungsschutzklage mit echten Chancen zu führen und daher auf die Namensliste verzichten.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.10.2012, 6 AZR 289/11