Die für die US-Streitkräfte in Deutschland arbeitenden IT-Fachleute unterliegen deutschem Arbeitsrecht © Adobe Stock: Pixel-Shot
Die für die US-Streitkräfte in Deutschland arbeitenden IT-Fachleute unterliegen deutschem Arbeitsrecht © Adobe Stock: Pixel-Shot

Der alleinerziehende Vater arbeitet für einen IT-Dienstleister im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums. Im April 2021 hatte er ein als „Corrective Action“ überschriebenes Schreiben erhalten.

 

Die Schule des Sohnes rief

 

Im November 2021 bat die Schule des Sohnes den Mann um eine dringendes Gespräch. Den Vorgesetzten konnte er nicht erreichen, deshalb meldete er sich bei einer Kollegin ab. Diese gab weiter, dass der Mitarbeiter den Arbeitsplatz verlassen hatte.

 

Am Folgetag bestellte der Vorgesetzte den Betroffenen ein. Es kam zu einem Streitgespräch. Zwei Wochen später erhielt der Mann eine "Formal Written Warning", verbunden mit der Aufforderung, den Beginn seiner Tätigkeit fortan mit einer dienstlichen Mail anzuzeigen.

 

Der Zugang zu den Büros im Betrieb war erst ab 6:00 Uhr möglich. Im März 2022 erreichte den Arbeitgeber bereits um kurz nach 4:00 Uhr eine E-Mail, mit welcher der betreffende Mitarbeiter seinen Arbeitsbeginn anzeigte. Es stellte sich heraus, dass diese E-Mail automatisiert versandt worden war. Wegen eines Systemfehlers geschah das schon morgens um 4:00 Uhr. Tatsächlicher Arbeitsbeginn war erst um 7:00 Uhr.

 

Die Kündigung erfolgte gleich mehrfach

 

Das reichte dem Arbeitgeber offensichtlich. Er überreichte dem Beschäftigte eine nicht unterschriebene außerordentliche Kündigung. Außerdem händigte er frühestens am 12. oder 14. April 2022 eine weitere, außerordentliche Kündigung aus, die jedoch unterschrieben war. Genaues zum Zugang dieser Kündigung blieb offen. Ob es darüber hinaus noch eine Kündigung gegeben hatte, wie der Arbeitgeber behauptete, ließ sich nicht klären.

 

Der Arbeitgeber wies darauf hin, es habe einen Karton mit den persönlichen Sachen des Beschäftigten gegeben, in welchem sich die weitere Kündigung befunden habe.

 

Diesen Karton konnte der Mann jedoch nicht abholen, weil er Hausverbot hatte. Eine Aufforderung des Arbeitgebers, den Karton abzuholen, gab es nicht. Einige Tage später teilte ein weiterer Arbeitskollege ihm per WhatsApp mit, er bringe die persönlichen Gegenstände mit dem Karton vorbei. Von einer Kündigung soll dabei keine Rede gewesen sein.

 

Eine Kündigungsschutzklage brachte Klarheit

 

Dr. Verena Böttner vom DGB Rechtsschutzbüro Kaiserlautern erhob Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht. Das Gericht fand eindeutige Worte.

 

Die nicht unterschriebene Kündigung sei nichtig, heißt es im Urteil. Der Arbeitgeber hätte bei der Kündigung die gesetzliche Schriftform einhalten müssen.

 

Damit blieb die Kündigung, die sich in dem Karton mit den persönlichen Sachen des Klägers befunden haben soll. Der Kläger verwies im Prozess darauf, dass die gesetzliche Frist von zwei Wochen für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung nicht eingehalten sei.

 

Der Arbeitgeber pochte darauf, der Kläger habe den Zugang dieser Kündigung treuwidrig vereitelt. Er habe sich geweigert, den Karton mit den Sachen abzuholen, sodass dieser unangekündigt von einem Arbeitskollegen bei ihm vorbei gebracht und ihm überreicht worden sei. Er müsse sich deshalb so behandeln lassen, als sei die Kündigung rechtzeitig zugegangen. Damit sei die Frist von zwei Wochen sehr wohl eingehalten.

 

An der Zwei-Wochenfrist führt kein Weg vorbei

 

Das Arbeitsgericht sah das anders und machte auch hier kurzen Prozess. Hinsichtlich dieser Kündigung habe der Arbeitgeber die Zweiwochenfrist nicht eingehalten. Die Kündigung trage das Datum vom 28. März 2022, sei dem Kläger jedoch entweder am 12. oder am 14. April 2022 zugegangen, was auch der Arbeitgeber im Verfahren eingestanden hatte.

 

Zur Fristwahrung hätte die Kündigung den Kläger jedoch spätestens am 11. April erreichen müssen. Von einer Zugangsvereitelung des Klägers ist im Urteil keine Rede.

 

Weitere Kündigungen konnte der Arbeitgeber nicht beweisen

 

Ob es eine weitere Kündigung gebe, habe der Arbeitgeber nicht nachgewiesen. Davon gebe es nicht einmal eine Kopie. Das Datum der behaupteten Kündigung sei nicht bekannt. Eine vorgelegte Sendungsverfolgung lasse nicht einmal erkennen, wer der Empfänger der Sendung gewesen sein soll.

 

Ausdrücklich weist das Arbeitsgericht im Urteil darauf hin, es sei unwahrscheinlich, dass der Kläger zur Fertigung der Kündigungsschutzklage bei der DGB Rechtsschutz GmbH gewesen sei, dort eine nicht unterzeichnete Kündigung sowie eine weitere, unterzeichnete Kündigung vorgelegt habe, dann jedoch eine dritte Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage nicht angegriffen worden sei.

 

Der Kläger musste sich die Kündigung nicht selbst abholen

 

Das Gericht hielt es auch keineswegs für treuwidrig, dass sich der Kläger auf die Nichteinhaltung der Frist zum Ausspruch der Kündigung berufen hatte. Es könne offenbleiben, ob es überhaupt treuwidrig sei, beim Arbeitgeber vorbei zu kommen, um diesem die Übergabe der Kündigung zu ermöglichen. Eher nicht, so das Arbeitsgericht, denn die Beklagte habe andere Möglichkeiten, um für einen rechtzeitigen Zugang zu sorgen.

 

Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, woher der Kläger hätte wissen sollen, dass sich in dem Kasten mit den anderen persönlichen Sachen eine Kündigung befunden habe. Aus der vorgelegten WhatsApp würde sich dies jedenfalls nicht ergeben.

 

Auch eine fristgemäße Kündigung greift nicht

 

Würde man die außerordentliche Kündigung in eine ordentliche, fristgemäße Kündigung umdeuten, ergebe sich nichts anderes. Diese sei sozial nicht gerechtfertigt und deshalb rechtsunwirksam.

 

Eine verhaltensbedingte Kündigung müsse auf einem steuerbaren Verhalten beruhen. Außerdem sei eine einschlägige Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung notwendig.

 

Das als "Corrective Action" bezeichnete Schriftstück entspreche nicht den Anforderungen an eine Abmahnung. Darin werde kein konkretes Verhalten gerügt, sondern nur der Inhalt eines Gesprächs wiedergegeben.

 

Auch die "Formal Written Warning" entspreche nicht den formellen Anforderungen einer Abmahnung nach dem deutschen Arbeitsrecht. Es werde nicht klar, was dabei genau abgemahnt werde. Die erste Hälfte des Schreibens beschäftige sich mit dem Fehlverhalten des Klägers, als dieser von seinem Vorgesetzten nach dem Grund für das frühzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes im November 2021 befragt worden war. Andererseits beziehe sich dieses Schriftstück auf den Folgetag, an welchem der Kläger den Arbeitsplatz nicht früher verlassen hatte, sondern an welchem das Streitgespräch über das frühere Verlassen stattgefunden habe.

 

Eine Straftat lag nicht vor

 

Fehle eine einschlägige Abmahnung, dürfe der Arbeitgeber nur dann kündigen, wenn das Verhalten so gravierend war, dass das Verhalten des*der Betroffenen auch ohne eine Abmahnung die Kündigung sozial rechtfertige. Das sei beispielsweise bei Straftaten der Fall.

 

Der Kläger habe keine Straftat begangen. Ein Arbeitszeitbetrug sei ihm im Zusammenhang mit der automatisiert versandten E-Mail nicht nachzuweisen. Damit habe der Kläger zwar gegen die Arbeitsanweisung seines Arbeitgebers verstoßen und diesen Verstoß auch eingeräumt. Dies würde jedoch nur dann zu einer Straftat werden, wenn der Kläger in den Zeiten auch tatsächlich nicht gearbeitet, also Arbeit vorgetäuscht habe, die in Wahrheit nicht erbracht worden sei.

 

Der frühzeitige Versand der E-Mail sei aufgrund eines technischen Fehlers erfolgt und habe mit dem tatsächlichen Arbeitsbeginn des Klägers nichts zu tun gehabt. Eine schuldhafte Täuschungshandlung liege darin nicht. Insgesamt betrachtet habe der Kläger auch die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit vollständig eingehalten.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern.