Wie lange muss ich mit dem Postboten rechnen. Copyright by drubig-photo/Fotolia
Wie lange muss ich mit dem Postboten rechnen. Copyright by drubig-photo/Fotolia

Die Frage, wann genau eine Kündigung zugeht, hat die Gerichte schon häufig beschäftigt. Mit seinem Urteil vom 14. Dezember kritisierte das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 22. März 2012.

 

Wofür ist der genaue Zeitpunkt des Zugangs wichtig?

Vom Zeitpunkt des Zugangs hängen die Antworten auf zwei Fragen ab:

  • Hat der Arbeitgeber die Kündigungsfrist eingehalten?
  • Wann endet die Frist für eine Kündigungsschutzklage?

 

Hat der Arbeitgeber die Kündigungsfrist eingehalten?

Maria hat eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Quartalsende. Der Arbeitgeber kündigt zum 30. September. Er wirft die Kündigung am Mittwoch, den 30. Juni in Marias Briefkasten. Wenn die Kündigung an diesem Tag noch zugeht, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. Septembers. Geht die Kündigung dagegen erst am Donnerstag, den 1. Juli zu, endet das Arbeitsverhältnis frühestens am 31. Dezember.

Wann endet die Frist für eine Kündigungsschutzklage?

Maria erhebt am 22. Juli Kündigungsschutzklage. Ging ihr die Kündigung bereits am Mittwoch, den 30. Juni zu, hat Maria die Drei-Wochen-Frist versäumt. Ging die Kündigung erst am Donnerstag, den 1. Juli zu, hat Maria rechtzeitig Klage erhoben.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das oberste deutsche Arbeitsgericht nennt zwei Voraussetzungen für den Zugang einer Kündigung.

  • Das Schreiben muss in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Arbeitnehmers gelangt sein.
  • Er muss die Möglichkeit zur Kenntnisnahme gehabt haben.

 

Tatsächliche Verfügungsgewalt

Sobald die Kündigung im Briefkasten des Arbeitnehmers liegt, ist das Schreiben in seine Verfügungsgewalt gelangt.

Möglichkeit zur Kenntnisnahme

Wichtig ist hier zunächst, dass es nicht darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer das Schreiben tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Es reicht aus, wenn er die Möglichkeit dazu hatte.
Für die Frage, ab wann diese Möglichkeit besteht, ist nach dem BAG auf die „gewöhnlichen Verhältnisse“ und die  „Gepflogenheiten des Verkehrs“ abzustellen. Das bedeutet, es kommt darauf an, bis wann nach der Verkehrssitte davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer in seinen Briefkasten schaut. Damit, so das BAG, ist auf jeden Fall so lange zu rechnen, bis der Arbeitnehmer mit (weiteren) Briefen an diesem Tag nicht mehr rechnen muss.

Ergebnis im konkreten Fall

Der Arbeitgeber hatte die Kündigung um 13 Uhr eingeworfen. Die übliche Zeit, zu der der Briefträger dem Arbeitnehmer spätestens Post bringt, lag bei 14 Uhr. Deshalb war die Kündigung zu einer Zeit in Briefkasten, zu der der Arbeitnehmer damit rechnen musste, dass der Postbote noch kommen kann. Damit war die Kündigung bereits an dem Tag zugegangen, an dem der Arbeitgeber sie in den Briefkasten geworfen hatte.

Kritik des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg

Das BAG stelle - so das LAG - allein auf die individuelle Situation des Arbeitnehmers und auf die konkreten Gepflogenheiten an seinem Wohnort ab. Diese könnten aber von Einzelfall zu Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Es komme in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die Postmenge oder darauf an, wie viel Erfahrung ein Postbote habe. Selbst das Wetter könne einen wichtigen Einfluss haben. Deshalb sei eine rechtssichere Feststellung des Zeitpunkt des Zugangs - insbesondere für den Arbeitgeber - kaum möglich.

Vorschlag des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg

Statt individuell auf die konkreten Umstände der Postzustellung beim Arbeitnehmer abzustellen, ist das LAG dafür, bei allen Arbeitnehmer*innen 17.00 Uhr als den Zeitpunkt festzulegen, ab dem Arbeitnehmer*innen nicht mehr damit rechnen müssen, dass an diesem Tag noch ein (weiterer) Brief ankommt. Als Begründung führt das LAG an, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung erwerbstätig sei. Deshalb sei davon auszugehen, dass zumindest dieser Teil erst nach der Rückkehr vom Arbeitsplatz in den Briefkasten schaue. Zwar gebe auch hierfür keine eindeutig bestimmbare Uhrzeit. Aber im Interesse der Rechtssicherheit sei eine Festlegung auf 17.00 Uhr angemessen.

Was heißt das alles für Maria?

Nach der Sichtweise des BAG kommt es darauf an, wann der Briefträger üblicherweise gerade bei Maria vorbei kommt. Geschieht dies vor 16.30 Uhr, muss Maria nicht damit rechnen, dass noch Post kommt. Die Kündigung geht dann erst am Donnerstag zu. Kommt der Briefträger üblicherweise nach 16.30. Uhr vorbei, ist die Kündigung bereits am Mittwoch zugegangen.
Nach der Sichtweise des LAG gilt - unabhängig von ihren konkreten Zustellzeiten - auch für Maria, dass sie bis 17 Uhr mit (weiterer) Post rechnen muss. Damit ist ihr die Kündigung am Mittwoch zugegangen.

Landesarbeitsgericht lässt Revision zu

Die Frage des Zugangs einer Kündigung ist nach Auffassung des LAG  „von allgemeinem Interesse“. Deshalb ließ es die Revision zu. Der Kläger machte von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Das Verfahren beim BAG hat das Aktenzeichen 2 AZR 111/19. Der Termin zur mündlichen Verhandlung wird am 22. August 2019 stattfinden.

Hier finden Sie die vollständigen Entscheidungen:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.3.2012, Az: 2 AZR 224/11
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14.12.2018, Az: 9 Sa 69/18