LAG contra BAG: Wann beginnt die Schwangerschaft? © Adobe Stock - Von MyMicrostock/Stocksy
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Der Sonderkündigungsschutz für werdende Mütter gilt mit Beginn der Schwangerschaft. Nach dem Mutterschutzgesetz dürfen Arbeitnehmerinnen während der Schwangerschaft nicht gekündigt werden. Wenn Zweifel bestehen, ob eine

Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Kündigungszugang bestand, ist der Schwangerschaftsbeginn zu ermitteln. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) werden in solchen Fällen üblicherweise 280 Tage zurückgerechnet, um den Beginn der Schwangerschaft zu ermitteln.

LAG Baden-Württemberg hegt Zweifel an BAG-Rechtsprechung

Anders als das BAG sehen es jedoch die Richter*innen der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg. Abweichend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, bestätigen diese in ihrer Entscheidung vom 1. Dezember 2021 die Auffassung des Arbeitsgerichts Heilbronn.

Schon die Heilbronner Arbeitsrichter*innen vertraten die Auffassung, dass in Fällen, in denen zweifelhaft ist, ob die Mitarbeiterin zum Kündigungszeitpunkt bereits schwanger war, vom voraussichtlichen Entbindungstermin nur 266 Tage zurückzurechnen sind, um den Schwangerschaftsbeginn zu ermitteln. Zwei Wochen weniger, als nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung üblich.

Arbeitnehmerin beruft sich auf Sonderkündigungsschutz für Schwangere

Anlass für die Richter*innen der baden-württembergischen Arbeitsgerichtsbarkeit sich mit Frage zu befassen, wie der der Schwangerschaftsbeginn zu ermitteln sei, war die Kündigungsschutzklage einer Frau, die während ihrer Probezeit am 7. November 2020 gekündigt wurde und sich zu einem späteren Zeitpunkt durch Vorlage einer Schwangerschaftsbescheinigung auf den Sonderkündigungsschutz für Schwangere berief. Der voraussichtliche Geburtstermin wurde mit dem 5. August 2021 angegeben.

Arbeitgeber bestreitet Vorliegen einer Schwangerschaft

Nachdem der Arbeitgeber das Vorliegen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung bestritt, kamen die Richter*innen beider Instanzen zu dem Ergebnis, dass zwar nach der ständigen Rechtsprechung des BAG von dem Vorliegen einer Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt auszugehen sei, hielten diese jedoch für nicht zutreffend und entwickelten eine eigene Berechnungsmethode.

Wie der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg zu entnehmen ist, geht dieses davon aus, dass die Berechnungsmethode des BAG zu Ergebnissen führt, "die mit typischen Schwangerschaftsverläufen nicht in Deckung zu bringen seien“.

LAG reduziert Berechnung des Schwangerschaftsbeginns um 14 Tage

Abweichend von der Rechtsprechung des BAG hält das LAG einen Zeitpunkt von 266, statt der 280 Tagen vor der voraussichtlichen Entbindung für geeigneter, um den Schwangerschaftsbeginn zu ermitteln. Schließlich erfolge, so das Berufungsgericht, "die Befruchtung der Eizelle durchschnittlich erst am 12. oder 13. Zyklustag“. Eine weitere Vorverlegung des Schwangerschaftsbeginns würde den Kündigungsschutz nach Ansicht des LAG zu einem Zeitpunkt beginnen lassen, an dem eine Schwangerschaft nicht nur wenig wahrscheinlich, sondern extrem unwahrscheinlich und praktisch fast ausgeschlossen sei.

Unter Zugrundelegung dieser Berechnungsmethode und dem voraussichtlichen Entbindungstermin 5. August 2021 ergibt sich bei einer Rückrechnung von nur 266 Tagen der Schwangerschaftsbeginn bei der Klägerin erst am 12. November 2020. Da der Zugang der Kündigung mit Schreiben vom 6. November am 7. November 2020 erfolgte. Dementsprechend war das LAG der Ansicht, die Arbeitnehmerin könne sich nicht auf den Sonderkündigungsschutz berufen, was die Zurückweisung Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 15.04.2021 zur Folge hatte.

Revision zugelassen

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde durch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wegen der Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des BAG zugelassen.

Hier finden Sie die das vollständige Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 01.12.2021 - 4 Sa 32/21

Für Interessierte:

Ständige BAG-Rechtsprechung, Urteil vom 26.03.2015, Az: 237/14

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 17 Abs. 1 Nr.1 Mutterschutzgesetz (MuSchG)

§ 17 Abs. 1 Nr. 1 Mutterschutzgesetz

Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz - MuSchG)

§ 17 Kündigungsverbot

(1) Die Kündigung gegenüber einer Frau ist unzulässig

1. während ihrer Schwangerschaft