Im Gesetz steht nicht nur Kleingedrucktes zur Betriebsratsanhörung – was da geschrieben ist, gilt auch. © Adobe Stock: Coloures-Pic
Im Gesetz steht nicht nur Kleingedrucktes zur Betriebsratsanhörung – was da geschrieben ist, gilt auch. © Adobe Stock: Coloures-Pic

Der klagende Vertriebsingenieur genießt tarifvertraglichen Sonderkündigungsschutz. Der Arbeitgeber wirft ihm Pflichtverletzungen vor. Er soll Angebote verspätet erstellt haben. Am 11. Oktober hört der Arbeitgeber den Betriebsrat zur fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung des Mitarbeiters, hilfsweise zu dessen fristloser Kündigung mit sozialer Auslauffrist an. Der Betriebsrat äußert am 13. Oktober schriftlich seine Bedenken zur beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung. Der vorgesehenen Kündigung mit sozialer Auslauffrist widerspricht der Betriebsrat am 18. Oktober.

 

Dennoch kündigt die Firma. Am 17. Oktober erhält der Betroffene die fristlose Kündigung und am 19. Oktober die Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Mit Unterstützung der Jurist:innen des DGB Rechtsschutzbüros Ulm erhebt der Mann Kündigungsschutzklage gegen beide Kündigungen.

 

Erhebliche Pflichtverletzungen lägen nicht vor, argumentiert der Kläger. Es liege in der Natur der Geschäfte, dass sich von ihm zu erstellende Angebote aus verschiedenen Gründen verzögerten. Zum Teil hätten ihm die Angebotspreise gefehlt, zum anderen sei sein Urlaub dazwischen gekommen. Vom Arbeitgeber zuvor erteilte Abmahnungen hält der Kläger nicht für einschlägig, auch hier sei ihm keine Verletzung von Pflichten vorzuwerfen. Die Beklagte sieht das anders.

 

Das Arbeitsgericht Ulm gibt beiden Kündigungsschutzklagen statt

 

Es stellt fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung und die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht aufgelöst wurde und verurteilt die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

 

Auf die Frage der Pflichtverletzung kommt es nicht an, denn der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht ordnungsgemäß angehört.

 

Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

 

Was eine Betriebsratsanhörung enthalten muss

 

Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 BetrVG richte sich nach Sinn und Zweck der Anhörung, so das Arbeitsgericht. Dieser bestehe darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d. h. auch zugunsten des:der Betroffenen auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat solle überprüfen, ob die Kündigungsgründe für die beabsichtigte Kündigung stichhaltig und gewichtig sind. Er solle sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Dabei gehe es nicht um die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. darum, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen zu können.

 

Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sei deshalb grundsätzlich subjektiv festgelegt. Der Arbeitgeber müsse dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt hätten.

 

Unrichtige Sachverhalte sind unzureichend

 

Dem komme der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreite. Schildere er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken könne, sei die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam.

 

Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, „bloß" objektive Fehlinformation führe dagegen für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber bei größerer Sorgfalt die richtige Sachlage hätte kennen können. Maßgeblich sei, ob er subjektiv gutgläubig gewesen und ob trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung Genüge getan sei. Dies gelte bei einer unbewussten Falschinformation, wenn sich der Inhalt der Unterrichtung mit dem tatsächlichen Kenntnisstand des Arbeitgebers decke und der Betriebsrat damit auf derselben Tatsachenbasis wie der Arbeitgeber auf dessen Kündigungsabsicht einwirken könne.

 

Sinn und Zweck der Anhörung haben Bedeutung

 

An einer ordnungsgemäßen Unterrichtung über die Kündigungsgründe fehle es, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen Beurteilung bedeutsame, zuungunsten des:der Betroffenen sprechende, objektiv unzutreffende Tatsachen mitteile, von denen er selbst durchaus für möglich halte, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Das stelle keine unbewusste Fehlinformation dar. Der Arbeitgeber sei in diesem Fall nicht gutgläubig. Er gebe vielmehr seinen Kenntnisstand bewusst als umfassender wieder, als es der Wirklichkeit entspreche und nehme damit in Kauf, den Betriebsrat in unzutreffender Weise zu unterrichten.

 

Der Arbeitgeber dürfe auch ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren. In diesem Sinne sei die Betriebsratsanhörung ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers auch objektiv - dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung - bestimmt.

 

Der Arbeitgeber gab bewusst falsche Informationen

 

Die Betriebsratsanhörung der Beklagten habe diesen Anforderungen nicht genügt. Die Beklagte habe dem Betriebsrat bewusst einen aus ihrer eigenen Sicht unvollständigen Sachverhalt unterbreitet.

 

Das Gericht führt dazu aus, die Beklagte habe behauptet, der Kläger hätte einem Kunden im September zugesichert, dass dieser vor seiner geplanten, urlaubsbedingten Abwesenheit noch im September das dringliche und vom Kunden schon erwartete Angebot unterbreiten und zusenden werde. Es existiere aber eine Mail des Klägers, die dem widerspreche. Der Kläger habe dem Gericht diese E-Mail vorgelegt.

 

Hierin stehe geschrieben, der Kläger werde das Angebot erstellen, sollten die versprochenen, aktualisierten Preise diese Woche verfügbar sein. Auch der Vorgesetzte des Klägers habe in einer weiteren E-Mail mitgeteilt, dass der Kläger mit der Erstellung des Angebotes warten musste, bis die nötigen Infos aus dem Einkauf vorlagen.

 

Die bewusste Falschinformation macht die Kündigung unwirksam

 

Die Beklagte habe den Betriebsrat bewusst unrichtig informiert, indem sie den Inhalt der Mails nicht in die Anhörung aufnahm. Der dem Betriebsrat nicht mitgeteilte Umstand wirke sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers aus; denn es habe sich um eine wesentliche Information gehandelt, die dem Betriebsrat nicht vorenthalten werden durfte. Es stelle einen gänzlich anderen Sachverhalt dar, ob der Kläger unbedingt zugesagt habe, das Angebot noch vor seinem Urlaub zu erteilen oder ob diese Zusage entsprechenden der eingereichten E-Mails lediglich unter dem Vorbehalt aktualisierter Preise stand.

 

Dass es sich um eine bewusste Falschinformation handele, habe die Beklagte auf Vorhalt des Vorsitzenden im Kammertermin auch nicht bestritten. Wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung seien die ausgesprochenen Kündigungen deshalb rechtsunwirksam. Der Kläger habe auch einen Anspruch, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterbeschäftigt zu werden.

Rechtliche Grundlagen

§ 102 Abs. 1 BetrVG

§ 102 Mitbestimmung bei Kündigungen
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.