Fehler bei der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse berechtigen nicht zur verhaltensbedingten Kündigung. Copyright by Adobe Stock/blende11.photo
Fehler bei der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse berechtigen nicht zur verhaltensbedingten Kündigung. Copyright by Adobe Stock/blende11.photo

Schon mit Betreten des Gerichtssaals machte der Richter dem Arbeitgeber deutlich, dass ein Grund für die Kündigung weit und breit nicht zu erkennen sei, sagt Tatjana Dette vom DGB Rechtsschutzbüro Ludwigshafen, die den klagenden Logistikmitarbeiter gerichtlich vertrat. Das habe den Arbeitgeber aber nicht gestört. Er ließ es auf ein Urteil ankommen.
 

Was war geschehen?

Der Unternehmenschef hatte seinen 22-jährigen Mitarbeiter schon drei Mal aus unterschiedlichen Gründen abgemahnt. Ob die Abmahnungen berechtigt waren, konnte das Gericht im Verfahren nicht abschließend klären.
 
Der Kläger erhielt eine fristgemäße Kündigung, nachdem er sich mehrfach krank gemeldet und während der Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung erhalten hatte. Für die Kündigung bezog sich der Arbeitgeber auf die Umstände der Krankmeldung des Klägers.
 

Die Information der Krankenkasse kam verzögert

Der Kläger war bereits einige Wochen lang krank, als ein Mitarbeiter seiner Krankenkasse beim Arbeitgeber telefonisch mitteilte, dass es seitens des Klägers Vorerkrankungszeiträume gebe, die auf seine laufende Erkrankung anzurechnen seien. Die Pflicht zur Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers habe damit zwei Tage früher geendet, als der Chef angenommen hatte.
 
Der Kläger habe es einmal versäumt, seine Krankmeldung bei der Kasse einzureichen. Deshalb habe sich die Mitteilung der Kasse an den Arbeitgeber über die Dauer der Entgeltfortzahlung verzögert, ließ die Krankenkasse den Chef wissen. Das nahm der Chef zum Anlass, dem unliebsamen Mitarbeiter zu kündigen.
 
Dadurch, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ordnungsgemäß bei der Krankenkasse abgegeben habe, sei es zu einer Überzahlung im Rahmen der Entgeltfortzahlung von zwei Tagen gekommen.
 

Der Arbeitgeber kündigte wegen grober Pflichtverletzung des Klägers

Damit habe der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten grob und vorwerfbar verletzt. Er habe das Vertrauen des Arbeitgebers dadurch auch erheblich gestört. Das berechtige zur Kündigung. Der Kläger habe durch sein Verhalten gezielt bewirken wollen, dass der Arbeitgeber das volle Gehalt weiter bezahle, obwohl er hierzu nicht verpflichtet gewesen sei.
 
Nachdem der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben hatte, verwies der Chef darauf, Wochen vorher habe der Kläger ihn bereits angeschrieben, und auf grauenvolle auf Missstände im Unternehmen hingewiesen. Diese Missstände solle der Chef abstellen. Dabei habe der Kläger deutlich gemacht, einen bestehenden Rückstand innerhalb einer Woche aufzuarbeiten, wenn der Chef die an ihn gerichteten Forderungen erfülle.
 

Die Beklagte wirft dem Kläger eine bewusste Pflichtverletzung vor

Das könne die Beklagte nur so deuten, dass der Kläger bewusst die ihm übertragenen Tätigkeiten nicht verrichtet habe. So habe der Kläger einen bestehenden Rückstand nicht aufgearbeitet, obwohl dies möglich gewesen wäre.
 
Ein solches Verhalten stelle eine vorsätzliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Zudem habe der Kläger den bestehenden Arbeitsrückstand genutzt, um Druck auf seinen Arbeitgeber auszuüben.
 

Das Gericht erkennt keinen Kündigungsgrund

Die von der Beklagten zur Rechtfertigung der Kündigung aufgeführten Vorwürfe seien schon "an sich" nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen, hält das Gericht der Beklagten klar und deutlich vor. Nach dem Gesetz sei eine Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers lägen, bedingt sei.
 
Das sei der Fall, wenn der*die Arbeitnehmer*in vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und schuldhaft verletzt. Dadurch dürfe eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten sein.
 

Der Arbeitgeber handelte ungewöhnlich übertrieben

Sowohl der Vorwurf im Zusammenhang mit dem Schreiben des Klägers als auch der Vorwurf hinsichtlich der fehlerhaft eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erachtete das Gericht als ungewöhnlich übertrieben. Im Urteil heißt es, diese Vorwürfe bezögen sich auf kein Fehlverhalten, das objektiv geeignet wäre, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.
 
Eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sei nur gerechtfertigt, wenn das Verhalten, das dem Arbeitnehmer vorgeworfen werde, eine Vertragspflicht verletze und das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtige. Es dürfe keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung bestehen. Außerdem müsse die Lösung des Arbeitsverhältnisses bei Abwägung der Interessen beider Parteien billigenswert und angemessen erscheinen.
 

Vertragspflichtverletzungen des Klägers gab es nicht

Der Kläger müsse mithin ein Fehlverhalten an den Tag gelegt haben, das auch einen verständig beurteilenden Arbeitgeber zur Kündigung veranlasst hätte. Der Kläger habe jedoch nicht gegen gesetzliche oder arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen.
 
In seinem Schreiben an den Arbeitgeber habe er lediglich seine Unzufriedenheit mit bestimmten Arbeitsbedingungen zum Ausdruck gebracht. Er habe damit verdeutlichen wollen, zu welchen Bedingungen er bereit wäre, das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fortzuführen. Es gebe keine Vorschrift, nach der das nicht erlaubt sei.
 

Der Arbeitgeber nahm unsachliche Interpretationen der Situation vor

Soweit die Beklagte meine, der Kläger habe angedroht, seine Arbeitskraft zurückzuhalten und sich in der Lage sehe, den Rückstand in etwa einer Woche aufzuholen, wenn eine weitere Vollzeitkraft eingestellt werde, stelle das eine unsachliche Interpretation dar, die sich aus dem Kontext des Schreibens nicht ergebe.
 
Auf dieses Schreiben habe die Beklagte die Kündigung zunächst auch nicht gestützt. Sie habe das Schreiben erst später im Prozess vorgelegt.
 

Der Kläger hat allenfalls fahrlässig gehandelt

Auch die Ausführungen der Beklagten zu der angeblich unterbliebenen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse ließen nicht erkennen, welcher Vorwurf dem Kläger in diesem Zusammenhang gemacht werden könne.
 
Selbst wenn der Kläger hier einen Fehler gemacht habe, stelle das allenfalls ein fahrlässiges Handeln dar. Das habe keine konkreten Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis gehabt. Die Annahme der Beklagten, der Kläger habe absichtlich so gehandelt, um sich einen unberechtigten Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu verschaffen, sei offenkundig unsachlich. Der Arbeitgeber verkenne außerdem, dass er seine Behauptung auch beweisen müsste.
 

Der Kläger hatte die zu viel erhaltene Entgeltfortzahlung zurückgezahlt

Das Gericht könne nicht erkennen, weshalb der Kläger hätte annehmen sollen, dass eine entsprechende Mitteilung der Krankenkasse über die Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber unterbleiben würde. Schließlich sei es auch genauso gekommen. Die zu viel überwiesene Entgeltfortzahlung habe der Arbeitgeber zurückerhalten.
 
Ein tragfähiger Vorwurf einer Pflichtverletzung welcher Art auch immer bleibe damit nicht übrig. Ein vernünftig und gerecht denkende Arbeitgeber hätte nicht gekündigt, sondern jeweils die entsprechende Aufklärung und Klarstellung veranlasst.
 
Von der Kündigung blieb damit nichts als Ärger übrig - Ärger für den Kläger und Ärger für das Gericht. Der Arbeitgeber selbst ärgerte sich sicher schlussendlich auch.


Hier geht es zum Urteil