Polizeiärztin verharmlost Nationalsozialismus und dessen Opfer. Copyright: @Adobe Stock - Антон Ткаченко
Polizeiärztin verharmlost Nationalsozialismus und dessen Opfer. Copyright: @Adobe Stock - Антон Ткаченко

Die seit 2019 im polizeiärztlichen Dienst in Teilzeit beschäftigte Klägerin veröffentlichte in einer kostenfrei erscheinenden Sonntagszeitung im Raum Offenburg unter ihrem Namen folgende Kleinanzeige:

  • Infektionsschutzgesetz = Ermächtigungsgesetz
  • Zwangsimpfung - Wegnehmen der Kinder
  • Schutzlos in der eigenen Wohnung - Geschlossene Grenzen
  • Arbeitsverbot - Gefängnis
  • Wir, die Bürger von Deutschland, sollen alle unsere Rechte verlieren.
  • Wir müssen Widerstand leisten.
  • 18.11.2020, 14-17.00 Uhr - Bundestag Berlin
  • Es geht wirklich um Alles!

An dem Erscheinungstag der Kleinanzeige beschloss der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das "Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite", das u.a. das Infektionsschutzgesetz (IfSG) geändert hat. Für den selben Tag war eine hiergegen gerichtete Demonstration in Berlin vor dem Bundestag angemeldet.

Dienstherr kündigt wegen Verstoß gegen Treuepflicht

Nachdem dem Dienstherrn die Kleinanzeige zur Kenntnis gelang, sprach dieser gegenüber der Ärztin am 10. Februar 2021 eine ordentliche Kündigung aus. Das beklagte Land Baden-Württemberg begründete die Kündigung mit der mangelnden Eignung für die Tätigkeit als Polizeiärztin. Auch habe die im öffentlichen Dienst beschäftigte Klägerin mit ihrem Verhalten arbeitsvertragliche Pflichten verletzt. Denn zu den Treuepflichten gehöre es, den Staat, die Verfassung und staatliche Organe nicht verächtlich zu machen. Die von der Klägerin in der Kleinanzeige gebrachte Überzeugung sei nicht durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt.

Klägerin sieht sich als Verfechterin der Grundrechte

Die Klägerin trat der Auffassung des beklagten Landes entgegen. Sie verwies drauf, dass ihr außerdienstliches Eintreten für die Wahrung der Grundrechte keine Verletzung ihrer Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber darstellten. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. Denn ihr Verhalten untermauere gerade ihre Loyalität zum Grundgesetz, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zu den Grundfesten des Landes Baden-Württemberg.

Klage wird abgewiesen

Die Argumente der Klägerin vermochten das Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Offenburg, nicht zu überzeugen. Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen. Die ordentliche Kündigung, so das Gericht, sei aufgrund der fehlenden Eignung der Klägerin sozial gerechtfertigt. Als Polizeiärztin habe die Klägerin als eine im öffentlichen Dienst Angestellte, eine gesteigerte politische Treuepflicht. Mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ habe sie bewusst auf das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz von 1933 Bezug genommen und damit Staatsorgane verächtlich gemacht.

Klägerin legt Berufung ein

Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts legte die Ärztin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg ein. Weiterhin vertrat sie die Auffassung, dass die Kündigung unwirksam sei. Weder habe sie außerdienstlich eine strafbare Handlung begangen noch habe sie gegen ihre vertragliche Pflicht zur politischen Zurückhaltung und Verfassungstreue verstoßen. Davon, dass die Verwendung des Begriffs „Ermächtigungsgesetz“ den Bundestag und seine Mitglieder verächtlich mache, könne nicht die Rede sein. Ihr Anliegen sei es allein gewesen, das Gewaltenteilungsprinzip auch in einer Notlage zu wahren. Es stehe ihr frei, eine Meinung darüber haben, wessen Aufgabe es sei, den richtigen Weg zur Bekämpfung der Pandemie zu finden. Als Polizeiärztin übe sie überdies keine hoheitliche Aufgabe aus.

Beklagtes Land verweist auf beamtenähnliche Treuepflicht der Ärztin

Dem Vortrag der Klägerin trat das beklagte Land entgegen, in dem es darauf verwies, dass die Klägerin einer gesteigerten beamtenähnlichen Treuepflicht unterliege. Mit ihrer Kleinanzeige habe sie die verfassungsmäßige Ordnung aktiv bekämpft und den Bundestag sowie die Abgeordneten verächtlich gemacht, indem sie ihnen eine demokratiefeindliche Gesinnung unterstellt habe. Auch habe sie habe mit ihrem Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration zum Widerstand gegen die Polizei aufgerufen. Äußerungen der Klägerin in einem Personalgespräch hätten ergeben, dass sie die Covid-19-Pandemie leugne. Auch hierdurch mache sie die Entscheidungsträger des Infektionsschutzgesetzes verächtlich.

LAG bestätigt Entscheidung des Arbeitsgerichts

Mit Urteil vom 2. Februar 2002 wies das LAG die Berufung der Klägerin zurück.

Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Klägerin in einer Anzeige die Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 18.11.2020 mit dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 23.3.1933 gleichgesetzt hat. Hierdurch so das Berufungsgericht, hat sie gegen ihre Rücksichtnahmepflicht auf die Interessen des beklagten Landes verstoßen, insbesondere gegen die Pflicht, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des GG zu bekennen (§ 3 Abs. 1 S. 2 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder).

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht hat das LAG nicht zugelassen, mithin die Entscheidung des Berufungsgerichts rechtskräftig.

Und noch eine Kündigung

Im Sommer 2021 hat das Land Baden-Württemberg der Polizeiärztin eine weitere, diesmal fristlose Kündigung ausgesprochen, weil sie unrichtige Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben soll. Diese Kündigung sollte am 31. März vor dem Arbeitsgericht Freiburg verhandelt werden. Da die erste Kündigung aber wirksam ist, dürfte sich der Termin Ende März 2022 erledigen.

Hier finden Sie die Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg:

Das sagen wir dazu:

Das meinen wir dazu

Man kann gegen alle Maßnahmen des Staates sein und offen dafür eintreten, dass Politik sich ändert. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit garantiert nicht nur das Recht, eine Meinung zu haben. Die Meinung darf man auch frei äußern und verbreiten. Das gibt mir das Recht, in jeder Form, also auch auf Facebook und Twitter oder in einer "kostenfrei erscheinenden Sonntagszeitun" frei kundzutun, was ich denke. Das Grundrecht schützt aber nicht nur das Äußern einer Meinung als solche, sondern auch das geistige Wirken durch die Meinungsäußerung. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Das ist ein großer Unterschied zur Situation in Diktaturen und Willkürstaaten. Es gibt nach dem Grundgesetz aber auch Schranken, wenn es um darum geht, Meinungen frei zu äußern. Diese findet sie in den Vorschriften von Gesetzen, die allgemein gelten, also insbesondere auch die Vorschriften des Straf- und Zivilrechts. Das Recht gilt auch dort nicht uneingeschränkt, wo Grundrechte anderer betroffen sind. Und ganz entschieden endet es dann, wenn Meinungen die Würde anderer Menschen verletzen. 

Es geht hier um die Kündigung einer Ärztin. Um jemanden also, die das Privileg hatte, einen sehr hohen Bildungsgrad zu erlangen. Um einer Frau, bei der man davon ausgehen kann, dass sie dazu in der Lage ist, sich aus allgemein zugänglichen Quellen gut zu informieren und über den Tellerrand des "Stammtisches" der sozialen Medien zu blicken. Und die nicht unreflektiert und dumm irgendwelche Vergleiche zwischen dem Handeln"unserer" Politiker und dem Nationalsozialismus anstrengt.

Selbstverständlich darf jede/r, auch eine Polizeiärztin, die Politik kritisieren, ohne dabei ernsthafte Folgen befürchten zu müssen. Wer aber die Coronapolitik in unserem Land als" faschistisch" deklariert und sich selbst in der Tradition von Georg Elster und Sophie Scholl sieht, hat nicht mehr nur nicht alle Tassen im Schrank, sondern handelt in hohem Maße zynisch den Millionen Opfern des Nationalsozialismus gegenüber. Sophie Scholl wurde von den Nazis umgebracht, weil sie ein Flugblatt verteilt hatte.

Die Polizeiärztin in dem vom LAG Baden-Württemberg entschiedenen Fall hat die Vergleiche zwischen den Corona-Maßnahmen und diktatorischer Herrschaft auf die Spitze getrieben, indem sie etwa Hygienemaßnahmen mit Arbeitsverbot und Gefängnis gleichsetzte. Und sie hat das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis auf eine Stufe gestellt, was nicht nur unhistorisch, sondern vollkommener Blödsinn ist. 

Das Urteil des LAG Baden-Württemberg ist zu begrüßen. Nicht, weil es die Kündigung einer "kritischen" Arbeitnehmerin für rechtens befunden hat. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt grundsätzlich auch im Arbeitsverhältnis, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) mehrfach betont hat. Es wäre auch mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, wenn wir in der betrieblichen Arbeitswelt unsere Auffassungen nur eingeschränkt oder gar nicht äußern dürften. Dabei besteht der Grundrechtsschutz unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist. Es spielt auch keine Rolle, ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Das ist ganz herrschende Meinung und sieht sicherlich auch das LAG Baden-Württemberg nicht anders.

Die Tatsache, dass die Ärztin vollkommenen Blödsinn verbreitet hat, rechtfertigt allein ihre Kündigung also nicht. Bei einer Kündigung geht es aber um die Prognose, ob in Zukunft das Arbeitsverhältnis bei objektiver Betrachtung störungsfrei verlaufen wird. Und daran kann es aber erheblichen Zweifel im vorliegenden Fall geben. Die Ärztin hat faktenwidrig die Gesetzesänderungen durch das dritte Bevölkerungsschutzgesetz als ein Ermächtigungsgesetz bezeichnet, um ganz offensichtlich in einer Weise Stimmung gegen ein rechtsstaatliches Gesetzgebungsverfahren zu machen, die einer Verhetzung der Öffentlichkeit gleichkommt.

Und sie hat eine Haltung gezeigt, die letztlich den Nationalsozialismus verharmlost und dessen Opfer verhöhnt. Beschäftigt ist sie bei einem Bundesland, das Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist. Die Gründung der BRD ist eng mit der Befreiung vom Nationalsozialismus verbunden. Dessen Ablehnung und die unbedingte Achtung der Menschenwürde für alle Ewigkeit ist Staatsraison der BRD. Ein Vertrauensverhältnis zwischen der Beschäftigten eines Bundeslandes und ihrem Arbeitgeber dürfte aber als nachhaltig gestört anzusehen sein, wenn dessen rechtsstaatlich legitime Maßnahmen, auch wenn man sie für falsch hält, mit faschistischer Willkür gleichgesetzt werden.

Und um nichts anderes geht es hier. Die Ärztin wird weder bestraft noch wird ihr ein Berufsverbot erteilt. Trotz des Blödsinns, den sie verbreitet hat und der unsinnigen Unterstellungen gegen den Staat darf sie weiterhin in Freiheit ihre Meinungen äußern und verbreiten. Dass aber das Vertrauen ihres Arbeitgebers in ihrer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundhaltung nachhaltig gestört ist, hat das Gericht nachvollziehbar begründet. 

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Abs. 1 S. 2 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder

§ 3 TVÖD Länder

Allgemeine Arbeitsbedingungen Abs. 1 Satz 2



Die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung ist gewissenhaft und ordnungsgemäß auszuführen.



F:Die Beschäftigten müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen.:F